Der Journalist Max Zirngast vor Gericht in Ankara Text: ANM | Bild: Anja Eichenberger

Teil einer Terrororganisation die keine ist?

Der Ankara-Verantwortliche der TKP/K soll er sein – so die Vorwürfe gegen Max Zirngast, Journalist, Politikwissenschaftler und Aktivist aus Österreich, der seit mehreren Jahren in Ankara lebt und arbeitet. Im Falle einer Verurteilung drohen dem Angeklagten mehrere Jahre Haft. Am 11. April 2019 fand der erste Verhandlungstag im Prozess gegen Max Zirngast und weitere Personen statt. Ein Bericht.

In den frühen Morgenstunden des 11. Septembers 2018 drangen türkische Sicherheitskräfte in Ankara und Hatay in die Wohnungen von Max Zirngast, Mithatcan Türetken und Hatice Göz ein und nahmen die Aktivist*innen fest. Gut drei Monate später, am 24. Dezember 2018, wurde Max Zirngast überraschend aus der Untersuchungshaft entlassen – mit Auflagen. Konkret wird eine Ausreisesperre verhängt und er muss sich wöchentlich bei der Polizei melden, um mit Unterschrift seine Anwesenheit zu belegen. Gleichzeitig kann er seinen Aufenthaltstitel in der Türkei nicht verlängern und darf damit auch nicht mehr arbeiten.

Konstruktion einer Organisation

In der 123-seitigen Anklageschrift wird Max Zirngast vorgeworfen, der Ankara-Verantwortliche der Türkiye Komünist Partisi/Kıvılcım (TKP/K) zu sein. Diese, eine Splittergruppe der Kommunistischen Partei, wird in der Anklage als «illegale bewaffnete Terrororganisation» bezeichnet. Es wird dargestellt, wie Anhänger*innen des, Anfang der Siebziger im Exil verstorbenen, kommunistischen Theoretikers Hikmet Kıvılcımlı eine politische Organisation geschaffen haben, aus der nach vielen Abspaltungen die TKP/K hervorgegangen sei. Ein erstes Fragezeichen in der staatsanwaltschaftlichen Argumentation hinterlässt der Umstand, dass die TKP/K weder auf der Terrorliste des türkischen Innenministeriums noch auf der vom Polizeigeneraldirektorat geführten Liste der aktiven Terrororganisationen zu finden ist. Mehr noch: Der Organisation lassen sich seit Jahren keine Aktivitäten mehr gesichert zurechnen und es liegen bereits Freisprüche aus ähnlich gelagerten Fällen vor, in welchen das urteilende Gericht zum Schluss gekommen war, der TKP/K keine illegale Aktivitäten nachweisen zu können. Und trotzdem soll Max Zirngast als angeblicher Regionalverantwortlicher die Antiterrorgesetze der Türkei verletzt haben.

Anklage-Wirr-Warr

Max Zirngast wird vorgeworfen, Verbindungen zu linken Organisationen wie Toplumsal Özgürlük Parti Girişimi (TÖPG, Deutsch: Parteiinitiative Soziale Freiheit), den feministischen Kampüs Cadıları (Deutsch: Campushexen) oder Doğanın Çocukları (Deutsch: Kinder der Natur) zu haben. Und diese politischen und zivilgesellschaftlichen Gruppierungen sollen wiederum legale Frontorganisationen der illegalen TKP/K sein. Keiner der genannten Gruppen werden konkrete Straftaten angelastet, die Befehle für ihre Tätigkeiten sollen sie aber von der TKP/K erhalten.

Aus der Anklageschrift geht hervor, dass Max Zirngast über fünf Monate hinweg abgehört und während zwei Monaten sogar beschattet worden war. Unzählige Gespräche und Treffen werden in der Anklageschrift zwar aufgeführt, gemäss der Solidaritätskampagne #FreeMaxZirngast, die das 123-Seiten-Dokument analysiert hat, beinhalten diese jedoch keine Straftaten. Als Beleg für seine Aktivität für die TKP/K werden etwa Bildungskurse für bedürftige Kinder oder Philosophieseminare genannt, die Max Zirngast angeboten und durchgeführt hat – unter eigenem Namen und öffentlich angekündigt. Die Kurse und Seminare sollen laut Anklage dem Zweck gedient haben, für die «bewaffnete illegale Terrororganisation» zukünftige Kader zu gewinnen. Weiter werden 79 Bücher, Zeitschriften und Zeitungen angeführt, die während der Razzia in der Wohnung von Max Zirngast beschlagnahmt wurden. Darunter sind auch Bücher von Hikmet Kıvılcımlı, dessen Schriften die ideologische Quelle der TKP/K seien. Dass die Bücher Kıvılcımlıs in der Türkei nicht verboten sind, sondern legal gedruckt und gekauft werden können, scheint den Staatsanwalt nicht zu irritieren. Denn schliesslich besitzt Max Zirngast auch andere Schriften mit regierungskritischem Inhalt und schreibt auch selber solche Texte, etwa in der monatlich erscheinenden Zeitung der TÖPG – Beweis genug?

Nach diesem wackeligen Konstrukt aus Annahmen wird die Anklageschrift mit dem Bekenntnis, politische Aktivitäten für Frauen- und Kinderrechte sowie Bildung seien an sich unterstützenswerte Tätigkeiten, vollständig absurd. Spätestens an diesem Punkt stellt sich die Frage, worum es in diesem Prozess denn eigentlich gehen soll.

Verhandlungsauftakt

Mit Max Zirngast stehen Hatice Göz, Mithatcan Türetken sowie Burçin Tekdemir vor Gericht, wobei letztere, gemeinsam mit den anderen am 11. September 2018 festgenommen, nach zehn Tagen Polizeigewahrsam freigelassen worden war. Allen vieren wird vorgeworfen, Mitglied der TKP/K zu sein. Am 11. April 2019 mussten sie nun zum ersten Mal vor der 26. Strafkammer für schwere Straftaten in Ankara erscheinen. Dem Ablauf des deutschen Strafprozesses folgend, konnten sich die Angeklagten einleitend mit einer eigenen und selber vorgetragenen Verteidigungsrede zu den Vorwürfen in der Anklageschrift äussern.

Ohne einen Hehl aus den eigenen Überzeugungen und politischen Aktivitäten zu machen, wiesen alle die gegen sie erhobenen Vorwürfe zurück und zeigten die eklatanten Mängel in der Anklageschrift auf. Die Verflechtungen zwischen legalen Gruppierungen und illegalen Organisationen seien nur behauptet und könnten mit keinen Beweisen untermauert werden – die vermeintlichen Beziehungen als Vorfeld-, Front- oder Tarnorganisationen würden sich in der Darstellung gemäss Anklage teilweise sogar widersprechen.

Der Angeklagte Mithatcan Türetken tritt offen als Gründungsmitglied der sozialistischen Initiative TÖPG auf und fügte vor Gericht an: «Die TÖPG ist die TÖPG und nichts weiter». Zudem sei er früher in einem anderen Verfahren von der Mitgliedschaft in der TKP/K freigesprochen worden. Darüber hinaus stellten die Angeschuldigten die Legitimität des Prozesses an sich in Frage. Hatice Göz kritisierte etwa, dass die Regierung in der Türkei über die Einführung von Gesetzen diskutieren könne, mit welchen Vergewaltigung straffrei bleibt, wenn der*die Täter*in das minderjährige Opfer nachträglich heiratet, während sie selber als feministische Aktivistin des Terrors verdächtigt werde: «Ich kann nicht verstehen, wie feministischer Einsatz gegen patriarchalen Terror so ausgelegt werden kann, als sei man selbst Teil einer Terrororganisation» zitiert sie die Kampagne #FreeMaxZirngast.

Fortsetzung folgt

«Es sollte nicht so einfach sein, Menschen mit so schweren Anschuldigungen vor Gericht und ins Gefängnis zu bringen», richtete sich Max Zirngast an das Gericht. Das sollte es nicht, nein. Und doch zeigt die Beobachtung der zahlreichen in der Türkei – nicht erst seit dem gescheiterten Putsch 2016 – geführten Prozesse genau das: Systematischer Missbrauch der Strafjustiz, um legale politische Tätigkeit unter dem Vorwand von Terroranschuldigungen zu kriminalisieren. Im gewohnten Modus Operandi politischer Prozesse zeigt sich die Schwächung der kritischen Zivilgesellschaft als Ganzes als primärer Zweck der Verfahren.

Nach einer kurzen Besprechung unter den Richtern, verkündete der Vorsitzende, den Prozess auf den 11. September 2019 zu vertagen; die Meldepflicht wurde aufgehoben, die Ausreisesperre aber bestätigt. Auch hier wiederholt sich ein bekanntes Muster der politischen Strafverfolgung in der Türkei: Einzelne Prozesstage und dazwischen monatelange Pausen. Das ist nicht nur eine Verletzung des Beschleunigungsgebots, sondern ein bewusst eingesetztes Mittel, um Druck zu erzeugen und – teilweise – über Jahre hinweg aufrechtzuerhalten.

Weitere Informationen: https://freemaxzirngast.org

Im August 2019 ist nun der Sammelband «Die Türkei am Scheideweg und weitere Schriften von Max Zirngast» im Verlag edition assemblage erscheinen.