Filmfestival Kino Kosova Text: rex | Bild: Charlie Blaize

Kosovo ist mehr als seine Vergangenheit

Im September geht das Kino Kosova in Bern zum dritten Mal über die Bühne. Das Filmfestival bildet eine Plattform für kosovarische Filmschaffende, bei dem ein Austausch zwischen Künstler*innen und
Kulturen stattfindet. Im Zentrum stehen dieses Jahr Geschichten von Frauen: Geschichten aus dem Gefecht gegenüber patriarchalen, konservativen Systemen; Geschichten, die ein vielfältiges und nuanciertes Bild von Kosovo zeichnen; Geschichten, von denen wir viel lernen können.

Vom 14. Bis 18. September findet in Bern das Kino Kosova statt. Schon zum dritten Mal geht dieses Filmfestival über die Bühne, welches auserwählte Spiel-, Kurz- und Dokumentarfilme von Regisseur*innen und Schauspieler*innen aus Kosovo präsentiert. Das megafon traf sich mit Sabo, Linda und Jonas, den drei Organisator*innen des Festivals, um über kosovarisches Kino, Kultur und Kunst zu sprechen.

m*: Das Kino Kosova findet nun schon zum dritten Mal statt. Wie hat das Festival begonnen?
Sabo: Ich bin in Kosovo aufgewachsen und lebe jetzt seit acht Jahren in der Schweiz. So habe ich eine gewisse Sensibilität für beide Kulturen entwickelt. In Kosovo stellte ich fest, dass viele Kulturschaffende, insbesondere Filmschaffende mit sehr geringen Mitteln, grosse, beeindruckende Projekte auf die Beine stellen. Mit verschwindend kleinem Budget gelingt es ihnen, ihre Subkulturen zu offenbaren, ihre individuelle Realität in Kosovo darzustellen und ihre Geschichten zu teilen: Es entstehen wirklich grossartige Filme mit faszinierenden, fantastischen Geschichten.
Kulturschaffende in Kosovo wollen nicht auf kosovarische Klischees reduziert werden. Darin sehe ich eine Parallele zu vielen Schweizer Kulturschaffenden und jungen Menschen, die sich von schweizerischen Klischees distanzieren und ihre individuelle Wahrnehmung ihres Umfeldes kundgeben wollen. Ganz klar, kosovarische Kunstschaffende müssen viel grössere Hürden überwinden, um einen Film zu drehen. Dennoch, in den vergleichbaren Themen sehe ich eine Chance, eine Plattform für kosovarische Kulturschaffende zu schaffen, die den Austausch zwischen Kulturen und Künstler*innen fördert.
Als wir begannen, das Projekt zu verwirklichen, kam das Kino in der Reitschule auf uns zu. Sie ermöglichten schliesslich die Umsetzung des Festivals. Drei Jahre später hat sich nun das Interesse an einem Raum zum Austausch zwischen kosovarischen und schweizerischen Kulturschaffenden bewährt. Unsere Community wächst Jahr um Jahr.

m*: Was darf man von einem Filmabend am Kino Kosova erwarten?
Linda: Die Filme, die wir präsentieren, würde ich nicht als lustig oder freudig charakterisieren. Uns geht es vielmehr darum, Leute mit einem anderen Blickwinkel zu konfrontieren; einem, der geprägt ist von Mühsal, ungerechten Hindernissen und unfairen Verhältnissen; mit den harschen Realitäten anderer Menschen, von welchen wir viel lernen können.
Jonas: Im Hinblick auf Kosovo passiert das vor dem Hintergrund der Nachkriegszeit, wo diese Ungleichheiten noch besonders ausgeprägt sind. Doch mit diesen unfairen Lebensumständen hat die ganze Welt zu kämpfen. Es handelt sich um allgegenwärtige Themen: Systematische Unterdrückung, das Patriarchat, Stigmatisierung – Themen, die überall auf der Welt einen systematischen Wandel erfordern.
Linda: Für uns ist auch ein sehr wichtiger Teil unserer Filmvorführungen die anschliessende Fragerunde – der Austausch zwischen Kulturschaffenden. Wir merken, dass diese gemeinsame Reflexion und Auseinandersetzung mit den Filmen ein vollumfänglicheres und abgeschlosseneres Filmerlebnis ermöglicht. Wir haben in den vergangenen Jahren sehr gute Erfahrungen damit gemacht. So haben wir auch dieses Jahr mindestens eine moderierte Fragerunde pro Filmblock organisiert, wofür alle Regisseur:innen eingeladen worden sind.
Jonas: Dieser Aspekt liegt uns sehr am Herzen beim Kino Kosova. Die Künstler*innen kommen hierher und bleiben auch ein paar Tage hier. Sie kommen mit dem Publikum, mit uns als Gastgeber*innen und miteinander in einen Austausch. Diese Intimität macht das Kino Kosova schlussendlich aus. So zum Beispiel bei unseren Fragerunden, wo wir über die Jahre wirklich tolle Erfahrungen gemacht haben: Letztes Jahr besuchte der kosovarische Botschafter eine Vorführung und sprach von seinen Erfahrungen auf einer ganz persönlichen Ebene.

m*: Was für Filme werden am diesjährigen Kino Kosova vorgestellt?
Linda: Im Programm finden sich Spielfilme, Dokus wie auch Kurzfilme. Dieses Jahr liegt der Themenfokus auf Frauen; ihren Schwierigkeiten und Herausforderungen im Alltag gegenüber konservativen Normen und patriarchalen Systemen. Entsprechend sind auch 70% unserer Filme von Frauen gedreht worden, wobei auch die Hauptfiguren mehrheitlich Frauen sind.
Der Film ‹Vera, Dreams of the Sea› steht beispielhaft für die Herausforderungen von Frauen in einem patriarchalen System. Die Hauptfigur muss sich den konservativen Werten ihres Heimatdorfes stellen, um sich den Lebensunterhalt zu verdienen, was bis anhin die Aufgabe ihres verstorbenen Ehemanns war.

m*: Was sollen die Zuschauer:innen vom Kino Kosova mitnehmen können?
Sabo: Für mich sind diese Filme eine Aufforderung, uns mit diesen schwierigen Fragen auseinanderzusetzen. Es liegt in unserer Hand, dieselben Fehler nicht zu wiederholen und Verständnis aufzubauen.
Jonas: Viele Schweizer*innen haben eine voreingenommene Haltung gegenüber Kosovo: Wir sahen die Bilder des Krieges und erinnern uns an die schreckhaften Medienberichte. So hat sich ein Bild von Kosovo eingebrannt, welches nicht die Vielfältigkeit und die Nuancen des Alltags in Kosovo abbildet. Mit unserem Filmfestival hoffen wir, dem Schweizer Publikum ein nuanciertes Bild von Kosovo vorzustellen.
Linda: Ich hoffe es erweitert den Horizont vieler Menschen. Ich merkte, dass sich viele Bilder des Kosovokrieges aus der damaligen Tagesschau in meinem Gehirn eingebrannt haben. Vielen Menschen geht das sicher ähnlich. Ich finde derartige Berichterstattung im Fernsehen sehr reduzierend: Davon wirst du kein Verständnis für die Seelenwunden betroffener Menschen erlangen. Für mich ermöglicht Kunst diesen Zugang, um dieses Verständnis und diese Sensitivität wieder aufzubauen. Einen Krieg kann man zeitlich eingrenzen, doch die Wunden verschwinden niemals ganz.
Jonas: Unser Konsum von Medien heutzutage lässt eine differenzierte und reflektierte Auseinandersetzung mit dem Thema nicht zu. Dafür will das Kino Kosova einstehen: Wir wollen einen sicheren Raum schaffen, um offen über sehr heikle und schwierige Themen zu sprechen. Ich hoffe, dass unsere Besucher:innen sich die Zeit nehmen, um sich mit diesen schwierigen Themen auseinanderzusetzen, um zu reflektieren und offen darüber zu reden.

m*: Das Kino Kosova wächst Jahr um Jahr. Was erhofft ihr euch für die Zukunft dieses Projekts?
Sabo: Bisher hat es Sinn ergeben, uns auf kosovarische Kulturschaffende einzugrenzen. Doch überall auf der Welt wird Kulturschaffenden der Raum für ihre Kunst und ihre Geschichten verweigert. Ich wünsche mir mehr Möglichkeiten, diesen Menschen Sichtbarkeit zu schenken. Ich sehe darin die Möglichkeit, wichtige Dialoge zu führen, Horizonte erweitern und Verständnis aufbauen. Den transformativen Austausch, den ich an den letzten zwei Kino Kosova beobachtet habe, zeigte mir, wie wichtig es ist, solche Räume zu ermöglichen.
Linda: Kunst, insbesondere Film, ist etwas, dass man verdauen muss. Dass wir weiterhin einen Raum kurieren können, wo Kunst auf einer langsamen, menschlichen Ebene diskutiert werden kann, ist mir sehr wichtig. Ich hoffe mit dem Kino Kosova einen neuen Umgang mit Film zu kurieren: Einer, der den langsamen Konsum fördert.
Jonas: Ähnlich wie das Aufschwellen von «Slow Food», entgegengesetzt dem «Fast Food»: Das Kino Kosova ist ein «Slow Food-Film Festival».

Das Kino Kosova findet vom 14. bis 18. September statt.Programm und Tickets für das Kino Kosova sind auf kinokosova.com zu finden.

Infobox: Kosovo
Kosovo gehört zu den jüngsten Staaten der Welt und liegt als Binnenland mitten im Balkan. Im Jahr 2008 deklarierte Kosovo seine Unabhängigkeit von Serbien, zehn Jahre nachdem der Kosovokrieg über Kosovos Unabhängigkeit ausbrach. Der Konflikt entstand, als sich in den 1990er Jahren die ethnisch-albanischen Mehrheit gegen Freiheitseinschränkungen zuhanden der autoritären Regierung Jugoslawiens wehrte. Friedlicher Protest wich im Verlauf der 90er Jahre bewaffneten Auseinandersetzungen. Der Kosovokrieg erlangte bald internationale Aufmerksamkeit durch das Ausmass an Verwüstung und Menschenrechtsverletzungen. Ein umstrittener Eingriff der NATO von März bis Juni 1999 brachte dem Krieg schliesslich ein Ende. Der Krieg zwang über eine Million Kosovar*innen zur Flucht, so auch in die Schweiz. Laut dem Bundesamt für Statistik gingen 1999 47’513 Asylgesuche ein – bis heute eine Rekordzahl. Als sogenannte Gastarbeiter*innen hatten Kosovar*innen schon eine Beziehung zur Schweiz aufgebaut, umgekehrt kannten viele Schweizer*innen schon viele Menschen aus der damaligen Provinz Jugoslawiens. So ist die kosovarische Diaspora heute die fünftgrösste Bevölkerungsgruppe in der Schweiz, mit rund 200’000 Menschen.