Transfeindlichkeit Text: lea | Bild: jem

Kein Schutz vor Tagesanzeiger&Co

Medien wie der Tagesanzeiger berichten zurzeit gehäuft über trans Menschen – im Fokus stehen dabei vor allem medizinische Eingriffe und die vermeintlichen Negativfolgen. Ein Aktionsbündnis will nun entgegenhalten.

Sind die medizinischen Eingriffe bei trans Personen zu leichtfertig? Fühlen sich Frauen und Kinder in Umkleidekabinen und WC`s «für alle» noch sicher? Könnten AHV-Profiteure und Wehrdienstverweigerer die einfache Umwandlung des Geschlechtereintrags für falsche Zwecke nutzen? Was wenn man die medizinische Transition(1) bereut?

Es sind diese Themen, die den Tagesanzeiger und den Bund, die Sonntagszeitung oder die NZZ seit einiger Zeit beschäftigen. Auffallend dabei ist: Selten stehen Personen, die die medizinische Transition als positiv oder als zu hürdenreich wahrnehmen im Fokus. Die Berichterstattung ist oft negativ.

Der Verein «Transgender Network Switzerland» (TGNS) versucht schon länger gegen spezifische Artikel von Schweizer Medien über trans Personen und medizinischen Transitionen vorzugehen. Er reichte Beanstandungen bei der NZZ wie auch bei Tamedia ein und wandte sich an den Schweizer Presserat. Die besagten Artikel würden eine negative Einstellung gegenüber trans Personen befeuern, argumentierte TGNS.

Von der Strasse in die Redaktion

Nun will ein neu gegründetes Aktionsbündnis «gegen transfeindlichkeit» dem Anliegen mit einem offenen Brief mehr Öffentlichkeit verschaffen. Initiantin ist die Juso Stadt Zürich, beteiligt am Aktionsbündnis sind 27 Organisationen, wie der Dachverband der Schweizer Frauenhäuser und TGNS.

Mit dem offenen Brief und einer Demonstration versucht das Aktionsbündnis vor allem mehr Solidarität gegenüber trans Personen in der Gesellschaft zu erzielen. «So wie in den 70er Jahren gegen Schwule und Lesben gehetzt wurde, wird derzeit gegen trans Personen gehetzt», sagt Maëlle Meli, Vorstand bei TGNS und Mitglied des Aktionsbündnisses. «Heute würde es aber einen Aufschrei geben, wenn eine als politisch liberal geltende Zeitung wie der Tagesanzeiger hetzerisch gegen Schwule und Lesben anschreiben würde. Diesen Aufschrei soll es nun zugunsten von trans Menschen geben.»

«Hormoncocktails» und «Brustamputationen»

Viele Artikel würden zurzeit vor allem medizinische Eingriffe in den Vordergrund stellen, so Meli, und diese problematisieren. Dabei sei die medizinische Transition längst nicht bei allen trans Personen ein Thema: «Es gibt so viele andere wichtige Themen, die trans Personen beschäftigen, die aber viel seltener behandelt werden». Hinzu komme, dass medizinische Eingriffe, wie Pubertätsblocker oder Mastektomien(2) – die fälschlicherweise als Brustamputationen beschrieben werden – fast ausschliesslich kritisiert würden. Eine Ausnahme stellt hier ein Interview mit Dagmar Pauli dar, die als Ärztin trans Kinder begleitet. Bei medizinischen Eingriffen handle es sich entgegen der Darstellungen oft um langwierige Prozesse, erklärt Meli: «Bis man überhaupt an eine Fachperson gerät, die über das Thema trans informiert ist, kann es ewig dauern, Hausärzt*innen kennen sich oft nicht aus.» Auffallend ist ausserdem, wie Pubertätsblocker und Hormontherapien Teil einer öffentlichen Debatte sind. Während etwa die Einnahme der Antibabypille viel mehr als Privatangelegenheit betrachtet wird. Auch sie wird an Minderjährige verschrieben, ihre Auswirkungen sind vielseitig und nicht vorhersehbar.

«Es ist ein komplexes Thema und es gibt dazu verschiedene Erfahrungswerte», hält Meli fest. Und gerade deshalb sei es so wichtig, dass darüber vielseitig geschrieben werde.

trans Frauen vs. cis Frauen

Besonders unter Beschuss stehen zurzeit trans Frauen: «Sie werden als Gefahr für cis Frauen und Kinder dargestellt», so Meli. «Was, wenn nicht-operierte trans Frauen in den Umkleidekabinen auf Mädchen treffen?» lautet eine Bildunterschrift in einem Artikel der Sonntagszeitung.

Auch in Bezug auf den Feminismus wird die Gefahr, die angeblich von trans Frauen ausgeht, heraufbeschworen: «Es tobt ein Streit zwischen Transaktivisten und Feministinnen», heisst es in einem NZZ Artikel von 2022, die «biologische Frau» sei neben trans Frauen nur noch «Menstruation, zyklische Natur, ein abbaubares Restprodukt auf dem Komposthaufen der Geschichte». Anlässlich des 8. März wurden bei Tamedia jüngst ähnliche Äusserungen laut: «Und wenn nun der Frauentag als eine Art Sammelbecken für alle möglichen Opfer des Patriarchats herhalten muss, sagt man Frauen das, was man ihnen seit Jahrhunderten sagt: Nehmt euch nicht so wichtig […]», die Queere Community solle sich zurücknehmen, sie hätte schliesslich schon die Pride.

Trans Frauen, eine stete Gefahr für cis Frauen im Alltag und für feministische Errungenschaften. So der Unterton.

Die angebliche Diskreditierung von cis-Frauen und Feministinnen durch trans Aktivist*innen machen die Autorinnen der Artikel an Vorbildern wie J. K. Rowling («Sie ist eine feministische Ikone») fest. Schweizweit gibt es queerfeministische-Bewegungen, die zeigen, dass feministische und queere Anliegen in keinem Widerspruch zueinander stehen. Darüber schweigen die Autorinnen.

Michèle Binswanger: Journalistin oder Aktivistin?

Auch das trans-Sein an sich wird gelegentlich infrage gestellt. Männer wollten zu Frauen werden, weil es sie sexuell erregen würde, heisst es in einem ausführlichen Interview mit dem Philosophen Alex Byrne in Tagesanzeiger und Bund. Von «nach innen gerichteter Heterosexualität» ist die Rede. Die Verfasserin des Artikels: Michèle Binswanger. Die einzige Journalistin, die vom Aktionsbündnis namentlich genannt wird.

Warum? Weil sie oft über die Thematik schreibe, und zwar ausschliesslich im Negativton. Mitte April 2024 sind von ihr 4 Artikel zum Thema Transgender bei Tagesanzeiger und Bund erschienen. Wobei sie auch misgendert: Die trans Jungen, die eine Mastektomie vornehmen liessen, bezeichnet sie als Mädchen.

Die namentliche Erwähnung von Binswanger hat aber auch mit ihren Aktivitäten auf der Plattform X zu tun, erklärt Meli. «Die schönste Frau Hollands ist ein Mann», schreibt Binswanger im Juli 2023 auf X. Gemeint ist Miss-Holland Rikkie Valerie Kollé, die als erste trans Frau den Titel geholt hat. Öffentlich beklagt sich Binswanger auf X über «All die Männer in Frauenkleidern, die sich zum Frauentag auf die Titelblätter drängen» (März 2024) und bekundet, es gäbe nur zwei biologische Geschlechter (April 2024), «weil kein Gesetz den Menschen verbieten kann, die Wahrheit zu sagen». Ihr dauerndes Engagement gegen queere Genderidentitäten mutet aktivistisch an. Wobei Binswanger Aktivismus gerne als Problem betrachtet, insbesondere, wenn er Einzug in den Journalismus findet. «Wir finden es problematisch, dass eine Journalistin, die sich auf X diskriminierend über trans Personen äussert, weiterhin Artikel zu diesem Thema veröffentlichen darf», so Meli.

Während die Artikel von Binswanger offensichtlich mit ihrer Meinung übereinstimmen, handle es sich laut Meli bei einigen Journalist*innen wohl auch um fehlendes Wissen: «Das zeigt sich etwa an den veralteten und teilweise falschen Begriffen, die sie verwenden.»

Fehlender Schutz

Viele Menschen kommen kaum mit Themen rund um Transgender in Berührung, wenige haben trans Personen in ihrem Umfeld. Was die Medien berichten, präge deshalb das Bild sehr stark, erklärt Meli. «Aber viele Artikel haben reisserische Titel und Inhalte, damit sie angeklickt werden, der Schutz von trans Personen geht dabei verloren.»

2022 wurde die Strafrechtnorm gegen Diskriminierung erweitert; Menschen dürfen aufgrund ihrer Sexualität nicht mehr diskriminiert werden. Dass das Diskriminierungsverbot auch  gegenüber trans Menschen und intergeschlechtlichen Personen gilt, wurde im Parlament jedoch abgelehnt. Trans Menschen dürfen zwar nicht aufgrund ihrer Geschlechtsidentität diskriminiert werden. Laut Amnesty International und TGNS gibt es aber in der Schweiz keine rechtliche Grundlage, um Äusserungen und Handlungen gegen trans Menschen als Gruppe anzuklagen. Was das Vorgehen des Aktionsbündnisses erschwert.

«Mit unserem Schritt in die Öffentlichkeit wollen wir zeigen, dass die Artikel direkte Auswirkungen auf trans Personen haben», erklärt Meli: «Es sind keine Phantasmen, keine leere Stereotypen, sondern Menschen, über die geschrieben wird». In einem Bericht von 2023 wird ein Anstieg an Gewalt auf queere Personen und insbesondere trans Menschen festgehalten. Der Bericht wurde von den Medien breit rezipiert, auch von Tagesanzeiger und NZZ. Wie die Redaktionen nun auf die öffentliche Kritik, die sie in die Mitverantwortung solcher «Hate-Crimes» zieht, eingehen, wird sich zeigen.

(1) Als Transition wird der Prozess bezeichnet, in dem eine trans Person soziale, körperliche und/oder juristische Änderungen vornimmt, um das eigene Geschlecht auszudrücken. Ob und wie eine trans Person transitioniert und welche Schritte in welcher Reihenfolge unternommen werden, ist individuell.

(2) Eine Mastektomie ist eine Operation, bei der Brustgewebe entfernt wird. Diese OP wird von einigen trans Männer und nichtbinäre Menschen im Rahmen einer Transition unternommen, die wegen ihrer Brust bzw. Brüste Dysphorie empfinden.

Offener Brief gegen transfeindliche Berichterstattung:
https://www.gegen-transfeindlichkeit.ch

Menschenrechte von trans Personen in der Schweiz, Amnesty International:
https://www.humanrights.ch/de/ipf/menschenrechte/lgbtiq/menschenrechte-trans-personen-schweiz#:~:text=Kein%20Diskriminierungsschutz%20für%20trans%20Menschen,und%20bifeindliche%20Handlungen%20und%20Äusserungen.

«Hate-Crime» Bericht, Pink Cross:
https://www.pinkcross.ch/de/aktuelles/politik/hate-crimes/230517-hate-crime-bericht-2023