Musik Text: magdalenasküche | Bild: magdalenasküche

«Zuhören ist mega wichtig»

Schon eine Weile ist es her. Das letzte ZOFF ZORRE. Ich denke an die wummernden Bässe, einnehmenden Bühnendesigns, farbig-flashigen Lichtinstallationen und Artists. Ich tauche ein in die Erinnerung, mit meinen Freund*innen einen Space zu haben in dem wir uns bewegen können. Hinter alldem, steckt Forcefield. Ein TINFA* Kollektiv aus Bern.

«Forcefield Records» ist ein queerfeministisches Label aus Bern, das sich auf das Fördern, Unterstützen und Begleiten von Musiker*innen und Veranstalter*innen fokussiert. So lautet die Beschreibung auf der Label-Website. Das Label übernimmt den Vertrieb, die Vermarktung und das Promoten von Musik und begleitet seine Artists, bei der Produktion von neuen Releases. Forcefield ist längst nicht mehr ein kleines Untergrundlabel aus dem Keller einer Zwischennutzung. Forcefield wächst. Als TINFA+ Kollektiv heben sie sich von vielen anderen Labels ab. Die Musikwelt ist nach wie vor dominiert von cis Männern.

 

Ich habe mich mit Alma Schindler (she/her) und Nori Schnell (they/them) getroffen. Sie sind beide Teil des Kollektivs. Ich möchte mehr wissen. Dieses Label noch besser kennenlernen. Das Kraftfeld spüren.

 

Hallo Alma. Hallo Nori. Wie fühlt sich das an, zu einem Projekt das vor ein par Jahren erst entstanden ist, interviewt zu werden und den Dachstock mit einer eigenen Partyreihe zu füllen?

Nori: Sehr viele Gefühle! 🙂 Das Projekt ist schnell gross geworden. Das ist für uns alle mega krass. Wir stellen uns aber auch viele Fragen. Eine der zentralsten im Moment ist: Wie können wir uns irgendwann Löhne auszahlen? Es ist fast alles unbezahlt was wir machen. Wir wollen die Sorgfalt, den Austausch und Care innerhalb des Teams weiter bewahren. Das Projekt soll unbedingt das bleiben, wofür es seit Anfang steht: ein Netzwerk.

Alma: Ja und dann ist es einfach auch sehr schön! Wir bekommen so viele Möglichkeiten. Das haben wir uns am Anfang nicht denken können. Ich bin einfach dankbar für das Privileg, das wir haben. Dass wir uns mit alldem auseinandersetzen dürfen. Es ist beeindruckend zu merken, dass wir einen Einfluss haben. Das erfüllt mich mit viel Stolz und sicher auch mit gewissen Unsicherheiten.

 

Ihr arbeitet also ohne Entlöhnung?

Alma: Es ist für alle Beteiligten ein Herzensprojekt, deshalb machen wir diese Arbeit. Die Frage der Finanzierung kam wirklich erst dann, als wir gemerkt haben; wir machen gerade Dinge, für die andere Menschen normalerweise Geld bekommen. Wir möchten oft noch mehr geben. Aber wir müssen daneben ja auch noch Lohnarbeit verrichten. Wir stellen uns dann schnell auch die Frage: Inwiefern wollen wir professionell sein?

 

Habt ihr euch diese Überlegungen schon von Anfang an gemacht? Wann kam dieser Lohnaspekt dazu?

Alma: Nein überhaupt nicht. Am Anfang wollten wir einfach ein gemeinsames Band-Rümli 😉

Nori: Schon hauptsächlich als dieses Ressort «Booking und Management» dazu gekommen ist. Wir haben so low-key angefangen und wurden dann auch bizi überrumpelt. Jetzt übernehmen wir wirklich für die Artists Verantwortung. Es wird also zu einer Art Dienstleistung.

 

Ihr seid eines der einzigen TINFA* Labels der Schweiz. Braucht das auch Mut? Stösst ihr auf schwierige Situationen oder ist es vorallem empowernd?

Alma: Es braucht vorallem Selbstvertrauen.

Nori: Es gibt in verschiedenen Städten der Schweiz TINFA* Kollektive die sich politisch organisieren und wertvolle politische Arbeit leisten aber im Bezug auf Label/ Booking sind wir schon eines der einzigen. Innerhalb des Kollektivs unterstützen wir uns und schauen zueinander.

 

Denkt ihr es bringt auch Vorteile mit sich, dass ihr nicht alle bereits Erfahrungen aus der Musikbranche und dadurch bestimmte Prägungen mit euch bringt?

Nori: Ich glaube ein Vorteil ist es sicher. Wir konnten uns von Anfang an überlegen: Wie wollen wir uns als Kollektiv organisieren? Wie wollen wir uns verständigen? Was sind unsere Strukturen? Das ist sicher wertvoll.

Alma: Es ist vielleicht auch einfacher alternative Wege zu finden. Weil Ausbildungen in diesem Bereich haben wir nicht. Die Personen vom Booking und Management sind aber bereits mit Erfahrung zu uns gestossen.

 

Auf eurer Website schreibt ihr, ihr wollt «regelmässig konventionelle Schritte in der Musikbranche hinterfragen….wobei ihr euch nicht davor scheut, unkonventionelle Ideen umzusetzen und neue Wege zu suchen». Was für unkonventionelle Schritte habt ihr bis jetzt getan? Wobei ein TINFA* Label zu Gründen ja wohl bereits der unkonventionellste Schritt wäre 😉

Nori: Ja das ist sicher der grösste Punkt. Dass wir ein Kollektiv aus TINFA* Personen sind, das queerfeministische Werte vertritt und sich fest an denen orientiert. Die Musikbranche ist extrem von patriarchalen und kolonialen Strukturen geprägt. Im Gegensatz dazu legen wir grossen Wert auf die persönliche und feinfühlige Begleitung der Artists. Wir sind auch dazu da die Leute zu pushen, wenn sie es selbst gerade nicht können.

Bei Veranstaltungen setzen wir den Fokus auf Awareness Strukturen, möglichst diskriminierungsarme Räume und ein diverses Booking. Dabei ist sicher auch unkonventionell, dass wir immer wieder darauf hinweisen, was wir nicht nice finden und aktiv verändern wollen. Immer den politischen Gedanken im Vordergrund.

 

Ihr habt vorhin über den Zusammenhalt in der Gruppe und die Privatbeziehungen/Freund*innenschaften als etwas sehr positives gesprochen. Ist das manchmal auch herausfordernd?

Alma: Es ist beides. Grundsätzlich ist es mega schön. Es gibt aber auch verschiedene Aspekte, die herausfordernd sein können. Beispielsweise die Balance zwischen den verschiedenen Rollen zu finden. Und sich abzugrenzen. Wir überlegen uns immer wieder, wie wir auch unsere privaten Beziehungen mehr pflegen können.

 

Habt ihr auch schon negative Kritik erfahren? Wie reagiert ihr darauf?

Alma: Nein. Ich denke weil wir politisch etwas machen, wo sich viele Menschen nicht getrauen negative Kritik anzubringen. Aber das wird früher oder später kommen. Und wir wollen da, solange es respektvoll ist, offen sein für Rückmeldungen. Wir haben ja eh Flecken die wir nicht sehen.

Nori: Da spielt sicher auch eine Rolle, dass wir als Kollektiv vielleicht eine starke Wirkung oder Dynamik nach aussen haben, welche auch raumeinnehmend wirken kann.

Alma: Ja besonders Kritik zu erhalten, von Menschen die eigentlich die gleichen Werte wie wir teilen. Das wäre sicher wertvoll.

 

Forcefield hat viele neue Artists gesigned (ins Label aufgenommen). Wie läuft das ab? Wer kommt da auf wen zu?

Nori: Die meisten melden sich per Mail oder man trifft sich irgendwo. Die Anfragen werden an das ganze Kollektiv geleitet und dann wird an der Labelsitzung über Kapazitäten und so gesprochen. Wir gehen meistens nicht auf Personen zu.

Alma: Oft finde ich es ehrlichgesagt schockierend wieviele Leute sich bei uns melden und sagen: Ihr seid imfall das einzige Label, bei dem ich mir vorstellen kann gesigned zu werden. Das ist einfach mega krass zu merken, dass es wahrscheinlich nicht wirklich eine Alternative gibt. Also wenn ihr Lust habt, ein queerfeministisches TINFA* Label zu gründen, macht es unbedingt!!!

Nori: Forcefield funktioniert in einem gewissen Sinne auch wie ein Dach. Es bietet irgendwie einen Grundbaustein, der ein Gefühl von Sicherheit gibt. Einfach dabei zu sein. Schon nur dieser Faktor kann sehr bestärkend sein.

 

ZOFF ZORRE, so heisst die Partyreihe, die ihr veranstaltet. Warum habt ihr euch für diesen Namen entschieden? Für was steht ZOFF ZORRE?

Nori: Diese Wörter haben keine direkte Bedeutung. Es ist mehr ein Ausdruck, was diese Partyreihe alles beinhalten kann. Es fühlt sich nice an es auszusprechen, es sieht cool aus, es hat Kraft, es ist energetisch. Die Idee ist auch, dass der Begriff mit Bedeutung gefüllt wird.

 

Ich habe einen Mitbewohner von mir gefragt ob es etwas gibt, dass er Forcefield fragen möchte. Deshalb: Plant ihr, ein Festival durchzuführen?

Alma: Das ist tatsächlich eine aktuelle Überlegung. Mehr können wir noch nicht sagen.

Nori: Also ja: es wird passieren.

Stay tuned 😉

 

Was sind vielleicht noch weitere entfernte Utopien?

Alma: Jeden Club, also jeden Ort den es gibt, pushen jegliche öffentliche Räume sicherer als jetzt zu machen.

Nori: Ja oder überlegen, wie man auf mehrere Städte ausweiten könnte. Mehr TINFA* Labels gründen und vernetzen. Die Arbeit bezahlen können. Ich spüre das Knistern ehrlichgesagt von allen Seiten. Die Energie ist da.

Alma: Und vieles politischer machen. Mit dem Geld unterstützen, auf Dinge aufmerksam machen.

 

Und zum Schluss: Wie trage ich als konsumierende Person dazu bei, Forcefield zu unterstützen? Wie helfe ich, einen Event wie das ZOFF ZORRE zu einem Safer Space zu machen?

Nori: Wir versuchen, Leute zu sensibilisieren im Bezug auf eigene Privilegien, die eigene Wirkung und das Ausmass der eigenen Handlungen. Beispielsweise im Bezug auf Konsens.

Alma: Ja das Verhalten jeder einzelnen Person spielt eine riesige Rolle. Das muss man sich bewusst sein. Zuhören ist wichtig. Wir wählen unsere Artists so sorgfältig aus. Es ist wichtig, einfach zuzuhören und das auf sich wirken zu lassen.

Nori: Wir haben jetzt ja oft von einem Netzwerk gesprochen. Wir meinen damit nicht nur uns und unsere Artists sondern auch Menschen die diese Art von Gedanken und Haltungen teilen. Sensibel und sorgfältig miteinander sein. Es ist schön zu merken, dass wir alle immer wieder zusammenkommen und diese Energie bündeln können. Das gibt einfach schöne Momente, die Kraft geben. Kraft, die man dann in anderen Auseinandersetzungen mit anderen politischen Themen brauchen kann.

Kraft tanken. Das Kraftfeld als das nutzen, was es sein soll. Forcefield wird seinem Namen gerecht. Bündeln, zusammenbringen, energetisieren und verändern. Schaut hin, nehmt teil, bewundert, und vorallem: hört zu!