Häuserkampf Text: Recht auf Stadt Basel | Bild: lka

Die Chemie stimmt nicht

Für die Pharmakonzerne wird Basel von einer Industrie- und Hafenstadt zum Life-Science-Cluster umgebaut. Die Wohnpolitik der Verdrängung richtet sich gegen das schlechte Image der Stadt und Bewohner*innen mit geringer Kaufkraft. Von Häuserkämpfen, Wohninitiativen und abgerissenen Altbauten.

«Vielfältig Innovativ.» Dem Slogan der kantonalen Liegenschaftsverwaltung Immobilien Basel-Stadt entspricht die Standortpolitik der rot-grünen Regierung: Gnadenloses Marketing. Vermarktet wird seit den 2000er-Jahren in Basel fast alles. Die Stadt ist «Life-Science-Cluster», sprich ein Schmelztiegel der globalen Ausbeutung durch die Pharmaindustrie, angeführt von Novartis, Roche und Syngenta. Ebenso international soll Basels Ausstrahlung als «Messestadt» sein. Ausgestrahlt wird durch die Reichen und Schönen, an der Uhren- und Schmuckmesse Baselworld respektive der Kunstmesse Art Basel. Vor allem sollte aber der städtische Wohnraum wieder als Renditequelle für private Investoren vermarktet werden. In den Fokus der Stadtplanung geriet dabei «Basel Nord», besonders die Arbeiter*innenviertel St. Johann im Grossbasel und das untere Kleinbasel.

Die Quartiere entstanden um 1900, als Basel sich zu einer industriellen Chemiestadt wandelte. Für fast ein Jahrhundert war Basel die bedeutendste industrielle Stadt des Landes. 1986 brannte die Schweizerhalle-Fabrik und zementierte das Image der dreckigen Chemiestadt.

Kurz darauf, in der wirtschaftlichen Rezession der 1990er-Jahre, versuchten die Firmen, die Krise mit Umstrukturierungen zu überwinden: Die Produktion wurde auf weltweiter Ebene organisiert, die Industrie wurde aus Basel ausgelagert. Die Firmen fusionierten zu multinationalen Konzernen, deren Zentralen und Forschungsabteilungen sich in Basel konzentrieren. Heute sind vier multinationale Unternehmen bedeutend: Novartis, Roche, Syngenta sowie die deutsche BASF. Die Branche hat eine immense wirtschaftliche Macht: Sie produziert über vierzig Prozent des Wirtschaftsvolumens von Basel, zudem ist sie für etwa zehn Prozent der Arbeitsplätze verantwortlich.

Neue Wohnungen für die Pharma

Die Umstrukturierungen hatten Auswirkungen: Basel, die Stadt der dreckigen chemischen Industrie, schrumpfte von 1970 bis in die 2000er-Jahre kontinuierlich. Die Rede von der sogenannten A-Stadt, einer Stadt in der nur noch Arbeitslose, Arme, Ausländer*innen, Auszubildende und Asoziale leben, erfasste die wechselnden Regierungskoalitionen egal welchen Couleurs. Das Rezept gegen die «A-Stadt» – wo Probleme simpel dargestellt werden, sind auch die Lösungen einfach gestrickt – heisst: «Gute Steuerzahlende anlocken». Standortmarketing, Quartieraufwertung und private Investitionen in den Wohnungsmarkt führten zu einigem «Erfolg». Und mit den vielen neuen Arbeitsplätzen für Hochqualifizierte, die in den neugebauten Headquarters der Multis arbeiten, brauchte die Stadt auch eine neue Wohnpolitik. Eine, die «Wohnraum für gehobene Ansprüche an guten Lagen» schafft.

Dazu lancierte die Regierung 2001 eine kantonseigene Task Force für den Wohnungsbau, die Logis Bâle, um ein gutes «Investitionsklima im Wohnungsbausektor» zu schaffen. Das angestrebte Ziel, in zehn Jahren 5000 neue Wohnungen zu bauen, wurde deutlich unterschritten – es waren letztlich um die 3000. Umso deutlicher schlug sich das Resultat der Bemühungen bei den Mieten nieder: Obwohl Basel noch viele günstige Altbauwohnungen hat und die Durchschnittsmieten noch um einiges tiefer liegen als in Zürich oder Genf: Die Mieten der zwischen 2001 und 2010 gebauten Wohnungen sind im Schnitt sogar noch höher als in Zürich. Die Neubauwohnungen wurden dabei oft von Pensionskassen, Banken und Versicherungen gebaut, Hinweis darauf, dass der Finanzmarkt-Kapitalismus auch im Basler Wohnungsmarkt angekommen ist.

Altbau? Abriss! Neubau!

Mit dem Programm «Logis Bâle» fokussierte der Kanton noch auf den Neubau. Nach dem Ende des Programms änderte er 2012 seine Strategie. Die Regierung kam zum Schluss, dass das gesetzte Ziel unter anderem nicht erreicht wurde, weil zu wenige Wohnungen in den Altbaugebieten der Innenstadt «transformiert» werden konnten. Ein Hindernis hierfür sah sie in einem zu strengen Abbruchschutz, der daraufhin gelockert wurde. Dass es gerade der Altbau ist, in dem sich bezahlbarer Wohnraum findet, dass es Altbauquartiere sind, die in vielen Städten Austragungsort der mit der Aufwertung einhergehenden Verdrängung ärmerer Bewohner*innen sind, schien kaum zu stören. Und die Gentrifizierung war geplant und erwünscht. So sagte im Jahr 2010 Thomas Kessler, damals Chef der Kantons- und Stadtentwicklung Basel-Stadt: «Der Begriff der Gentrifizierung wird bei uns falsch verwendet. Wir haben es mit einer notwendigen Entwicklung zu tun.» Sich die für Thomas Kessler als notwendig darstellende Basler Politik der Verdrängung als eine konfliktfreie vorzustellen: Es wäre unhöflich jemandem so viel Naivität zu unterstellen. (1)

Bedrängung, Verdrängung, Konflikt und Widerstand prägten dann auch das Wohnen besonders im St. Johann-Quartier und im unteren Kleinbasel der letzten zehn Jahre.

Widerstand gegen Massenkündigungen

Der gelockerte Abbruchschutz zeigte sich bald in einer Zunahme von Massenkündigungen: Um Häuser entweder abzureissen und neu zu bauen oder um Totalsanierungen durchzuführen, stellten Eigentümer*innen ihre Mieter*innen auf die Strasse. Bereits 2007 wehrten sich Mieter*innen an der Wasserstrasse gegen Immobilien Basel-Stadt, die ihre eigenen Mietshäuser abbrechen wollte. Angetrieben von dieser ersten Protestwelle, die sich gleich neben dem Novartis Campus abspielte, nahmen ab etwa 2014 verschiedene bedrohte Wohngemeinschaften den Widerstand gegen ihre Verdrängung auf. So traten Mieter*innen am Steinengraben öffentlichkeitswirksam der Helvetia Versicherung entgegen, die vier denkmalschutzwürdige Wohnhäuser abreissen und durch einen Büroneubau ersetzen wollten. An der Mülhauserstrasse wehrten sich vorwiegend ältere Menschen dagegen, von ihrer eigenen Pensionskasse und Liegenschaftsbesitzerin, der Pensionskasse Basel-Stadt, aus ihrer funktionierenden Wohngemeinschaft in einem Mehrfamilienhaus verdrängt zu werden. Die Zeitung «Betongold», welche an 65000 Haushalte in Basel verteilt wurde, deckte die immensen Auswirkungen der renditefixierten Pensionskassengelder auf den Immobilienmarkt auf. Bekannt wurde auch die Mattenstrasse, an welcher die Bewohner*innen den Abriss verhindern und gemeinsam mit dem Mietshäuser Syndikat Basel die Liegenschaften genossenschaftlich übernehmen konnten. In letzter Zeit dann die Hausbesetzung an der Elsässerstrasse: Die ehemals massengekündigten und danach lange Zeit leerstehenden Häuser gleich neben dem Novartis-Campus sind nun zum vierten Mal besetzt. Gleichzeitig regt sich im Quartier Widerstand gegen den geplanten Abriss der Häuser. In Basel ist damit eine alte Aktionsform zu neuem Leben erwacht: Mieter*innen und Häuserkämpfe. Die Auseinandersetzungen sind vielfältig.

Von Petitionen über Hausbesetzungen bis zu Denkmalschutz-Einsprachen und Demonstrationen, findet der Widerstand verschiedene Formen. Auch die Menschen, die von Kündigung und Verdrängung betroffen sind, unterscheiden sich. Sowohl in ihren Möglichkeiten sich zu wehren, wie auch in den konkreten Zielen, welche mit den Kämpfen verbunden werden: In einigen Fällen wie der Wasserstrasse oder der Mattenstrasse ging es darum, eine Verdrängung der bisherigen Mieter*innen abzuwenden, letztlich durch eine genossenschaftliche Übernahme der Häuser. In anderen Fällen war es das Ziel, durch Aktionen auf die Spekulation mit Wohnraum und auf die damit verbundenen Massenkündigungen aufmerksam zu machen. An der Mülhauserstrasse konnte die perfide Investitionslogik von Pensionskassen aufgezeigt, oder am Burgweg die «Gebrauchsleihverträge » der auch in Bern aktiven Zürcher Zwischennutzungsfirma Projekt Interim als Aushöhlung von Mietrechten entlarvt werden.

Vernetzung im Häusertreff

Oftmals beginnt ein Mieter*innenkampf mit einer schwerwiegenden Situation: Einer Kündigung, die ziemlich mutlos macht. Um auch gegen ausweglos scheinende Situationen die Möglichkeiten einer erfolgreichen politischen Auseinandersetzung zu finden, hilft es, von anderen Mieter*innen zu hören und gemeinsam Perspektiven zu entwickeln. Zu sehen, dass solche Kämpfe enorm vielschichtig sein können, ist wichtig, um sich nicht entmutigen zu lassen. Um verschiedene betroffene Hausgemeinschaften zusammenzubringen wurde im Februar 2017 der Häusertreff gegründet. Ein für alle Personen und thematisch offenes Treffen, das jeweils am zweiten Mittwoch des Monats stattfand. Der Häusertreff diente als Plattform für Selbsthilfe und Austausch von Erfahrungen. Immer wieder nahmen sich Gruppen bedrohten Häusern an, um auch dort Hilfe zum Widerstand zu leisten. Zuerst immer am gleichen Ort, ging der Häusertreff später «auf Tour».

Meist handelte es sich bei den Treffpunkten um bedrohte Häuser oder solche mit einer Widerstandsgeschichte. Die teilnehmenden Gruppen erzählten von aktuellen oder vergangenen Kämpfen. Mit dem Ziel, die Orte und ihre Perspektiven auf das Thema Recht auf Stadt zu verknüpfen und die gemeinsame Betroffenheit sichtbar zu machen. Den Ort zu wechseln und auch weniger zugängliche Orte aufzusuchen hat den Vorteil, Neues kennenzulernen und Kontakte zu knüpfen. Dabei kam es zur politischen Zusammenarbeit mit institutionalisierten Gruppen wie der Anlaufstelle für Wohnungs- und Obdachlose «Schwarzer Peter», dem Netzwerk Wohnungsnot, dem Mietshäuser Syndikat, dem Mieter*innenverband (MV Basel) oder der Interprofessionellen Gewerkschaft der Arbeiter*innen (IGA). Mit der Zeit gelang es, eine Übersicht über die Akteure und mögliche Unterstützer*innen in Basel zu gewinnen und konkrete Problemsituationen in ein grösseres Bild neoliberaler Verwertung des städtischen Raumes einzuordnen. Durch die Vernetzung wurden Demos, Stadtspaziergänge oder ein Sleep-In auf dem Marktplatz möglich.

Diese Bewegungsstimmung übertrug sich auch auf den Erfolg der vier wohnpolitischen Initiativen des MV Basel und dem Netzwerk Wohnungsnot, die im Juni 2018 mit teilweise überwältigender Mehrheit gegen die Empfehlung von Regierung und Parlament angenommen wurden. Nun steht das «Recht auf Wohnen» in der Verfassung und das Parlament müsste einen wirksamen Schutz von preisgünstigen Altbauwohnungen ausarbeiten. Doch die Massenkündigungen sind damit nicht zu Ende, vielmehr haben sie laut dem Mieter*innenverband Basel im letzten Jahr noch einmal sprunghaft zugenommen.

Das Leben geht weiter – aber welches?

Im letzten Jahr nahm die Tatkraft im und um den Häusertreff ab. Häuserkämpfe sind intensiv. Die Selbstorganisierung bedrohter Orte gelingt nicht immer. Eine Schwierigkeit besteht darin, Widerstand auch über die Zeit einer akuten, eigenen Betroffenheit aufrecht zu erhalten, Wissen und Erfahrungen weiterzugeben und die verschiedenen Brennpunkte des Widerstands langfristig zu stützen. Gerade in den aktuell betroffenen Häusern leben viele ältere oder migrantische Menschen, denen der Zugang zu den Widerstandsformen des Häuserkampfs erschwert ist. Um diese Auseinandersetzungen zu unterstützen braucht es ein stadtweites Netzwerk solidarischer Menschen, welche bereit sind, sich auch aus der eigenen Komfortzone hinauszubegeben.


1 Mit diesem Leistungsausweis im Portfolio wird Thomas Kessler 2018 vom Berner Stadtpräsidenten Alec von Graffenried zwischenzeitlich mit einem Beratungsmandat für die Überprüfung und Neuausrichtung des Handelns der Behörden im Perimeter Schützenmatt-Reitschule ausgestattet (siehe ­ 428).


Die Erfahrungen aus drei Jahren Häusertreff werden nun in einer Broschüre zusammengestellt. Am Kongress «Gesundheit ist keine Ware», der vom 3. bis 5. April in Basel stattfindet, wird die Broschüre vor- und zur Diskussion gestellt. Das Programm findet sich auf www.gesundheit-ist-keine-ware.ch. Die Broschüre sowie weitere Infos zu Recht auf Stadt Basel sind zu finden auf www.rechtaufstadtbasel.info.