Frauen*streik

Gegen das Patriarchat

Am 14. Juni findet der Frauen*streik statt. In diesem Interview erzählen Patricia von der Frauen*streik-Koordination Bern und Ronja von der Anarchistischen Gruppe Bern, die sich in der Lorraine-Koordination organisiert hat, ausführlich über die Organisierung des Streikes, den Plänen zum Tag und der politischen Motivation.



Könnt ihr euch kurz als Einzelpersonen vorstellen? Was sind die Schwerpunkte eurer Streik-Koordination?
Patricia: Ich bin berufstätig, 29 Jahre alt und bei Berner Frauen*streik-Koordination mit dabei. Angefangen hat alles im vergangenen Spätsommer mit einem ersten Treffen am ersten September. Der Streik lag schon in der Luft; in der Westschweiz war er bereits beschlossene Sache. Wir waren uns schnell einig: Auch wir in Bern wollen streiken.
Seither haben wir diskutiert, uns vernetzt und gemeinsam Pläne geschmiedet. Und bei jedem Treffen waren wieder neue Frauen* dabei. Student*innen, Hausfrauen*, Arbeitnehmer*innen, Pensionierte… Mittlerweile sind wir über zweihundert Menschen, die sich an den Vorbereitungen beteiligen.

Ronja: Ich bin ebenfalls berufstätig und über dreissig Jahre alt. Als Frau* war ich fast mein Leben lang mit verschiedenen Formen von Sexismus konfrontiert. Vor ca. fünf Jahren habe ich die Entscheidung gefällt, mich zu organisieren. In der Anarchistischen Gruppe Bern beschäftigen wir uns mit verschiedenen aktuellen Themen. Schwerpunktmässig haben wir uns in den letzten Jahren intensiv mit der Frauen*revolution in Rojava befasst, sowie anarchistische und feministische Perspektiven auf die Strasse aber auch in innerlinke Diskurse getragen. Der Frauen*streik war somit thematisch schon sehr früh auf unserer Agenda und wir haben uns lange überlegt, wie wir vorgehen und was wir machen wollen.

Welche Bedeutung hat der Streik 1991 für euch?
P: Der Frauen*streik von 1991 hat eine immense Strahlkraft. Der Blick zurück – sei es via Fotos oder Erzählungen von Frauen*, die dabei waren – ist enorm motivierend und lehrreich. An diesem Tag wurde Geschichte geschrieben und zwar von Frauen. Hunderttausende nahmen am Streik teil. Da hat es den männerdominierten Medien nichts genützt, den Streik als harmloses Frauenfest darzustellen. Oder den Chefs und Politikern, die den Streik kleinreden oder die Frauen einschüchtern wollten.
Natürlich war der Frauen*streik bunt und fröhlich, aber er war zuallererst eine Machtdemonstration. Und das wurde spürbar. Am Tag selber aber auch in der Zeit danach. Alles, was anschliessend erreicht wurde, hätte es sonst nicht oder nicht so gegeben: das Gleichstellungsgesetz, Verbesserungen für Frauen* bei der AHV, die Fristenregelung, die Mutterschaftsversicherung, der Ausbau des Kita-Angebots, die Gleichstellungsbüros. Fakt ist: Es ist etwas passiert – auch wenn es gewisse Änderungen erst einmal nur aufs Papier geschafft haben.
Und hier kommt eine weitere Bedeutung hinzu, die der Frauen*streik 91 heute hat: Wir knüpfen an viele Forderungen von damals an, die fast 30 Jahre später noch immer nicht erfüllt sind. Sexismus und sexuelle Belästigung sind allgegenwärtig. Gerade wird das Rentenalter der Frauen* wieder angegriffen. Und ein Blick in die Statistik beweist: alle zwei Wochen stirbt in der Schweiz eine Frau* infolge von Gewalt. Die meisten Armutsbetroffenen sind Frauen*. Frauen* verdienen rund 20 Prozent weniger als Männer und haben 37 Prozent weniger Rente, Frauen* leisten immer noch den Grossteil der unbezahlten Arbeit. Zusammengezählt haben Frauen* in der Schweiz rund 108 Milliarden Franken weniger Lohneinkommen pro Jahr als Männer, inklusive Sozialleistungen. Obwohl sie gleich viele Stunden arbeiten. Das hat die feministische Ökonomin Mascha Madörin ausgerechnet. Allein diese Zahl zeigt, in welchem unglaublichen Ausmass die Wirtschaft von den Frauen* profitiert. Oder besser gesagt: sie ausbeutet.

R: Es ist heute kaum vorstellbar, dass bis zu 500`000 Menschen auf die Strasse gehen, obwohl das Jahr 1991 noch nicht so lange zurückliegt. Allein die Zahl der Teilnehmenden ist schon sehr beeindruckend. Besonders inspirierend fand ich, dass 1991 der Frauen*streik die Jahrhundertfeier der Eidgenossenschaft vom Bundesplatz verjagte und den Platz kurzerhand besetzte. Der Streik damals hat natürlich vieles bewegt – vor allem institutionell. Gleichzeitig kann der Streik auch als eine Art historische Warnung verstanden werden. Ein paar neue Gesetze reichen nicht aus, um die patriarchale Gesellschaft zu überwinden. Besonders erschreckend finde ich, dass so viele feministische Gruppen von damals nicht mehr existieren. Als hätte es die feministische Bewegung damals nie gegeben. Dies zeigt auch, dass kleine Siege zwar wichtig sind, aber wir uns nicht darauf ausruhen können. Jetzt müssen wir vieles von Neuem lernen, z.B. wie wir einen Streik organisieren können, wie wir die Leute erreichen oder wie wir Verbündete finden können.

Warum denkt ihr, dass ein Streik das richtige Mittel ist?
P: Ganz einfach: Weil alles andere nichts bringt. Und wenn uns die Geschichte eines gelehrt hat, dann ist es Folgendes: Wenn wir Frauen* etwas wollen, dann müssen wir es selbst machen. Wir müssen Druck aufbauen, Macht demonstrieren. Denn: Wir sind es, die alles am Laufen halten. Dessen müssen wir uns auch selbst bewusst werden. Sonst ändert sich rein gar nichts.

R: Es ist ein ermutigendes Zeichen, dass wieder von einem Streik die Rede ist. Klar wird es kein klassischer Streik werden, bei dem alle ihre Arbeit niederlegen. Trotzdem werden auch Diskussionen ausgelöst, was unter Arbeit verstanden werden soll. Jährlich werden rund acht Milliarden Stunden bezahlte Arbeit und sogar neun Milliarden Stunden unbezahlte Care-Arbeit geleistet. Rund 75% der unbezahlten Arbeit fällt im Haushalt an, wo wir Frauen* einen grossen Teil übernehmen müssen. Aber gerade die Kombination aus Streiks in den Betrieben und Streiks im Haushalt macht den Frauen*streik so facettenreich und kraftvoll. Ein Streik ist ein mächtiges Druckmittel und nach tausenden Jahren Patriarchat, denke ich, ist jedes Mittel legitim, um uns davon zu befreien.

Ronja, ihr beteiligt euch nicht an der offiziellen Koordination und organisiert stattdessen etwas Eigenes. Schwächt ihr damit nicht die Streikbewegung, welche ansonsten sehr breit aufgestellt ist?
R: Es haben sich verschiedene Koordinationen gebildet. So gibt es beispielsweise auch an der Uni eine Frauen*streik-Koordination, welche dort versucht die Frauen* zu organisieren und am Streiktag ein eigenständiges Programm veranstaltet. Unser Ansatz war es, verschiedene Strömungen innerhalb der ausserparlamentarischen Linken zu mobilisieren, sowie die Menschen im Lorraine-Quartier zu organisieren. Grundsätzlich solidarisieren wir uns mit den Forderungen der Frauen*streik-Koordination, wollen aber auch weitere Perspektiven mit einbringen, welche eine tiefgründigere Kritik an den Machtverhältnissen äussern und radikale Kämpfe sichtbar machen. Gerade der Punkt, dass 1991 der Bundesplatz besetzt werden musste und dieser nun einfach zur Verfügung gestellt wird, widerspiegelt nicht unsere Symbolik des Streikes. Wir wollen nicht unter den Augen der Politik und der alten weissen Männer unseren Protest austragen. Stattdessen wollen wir dort sein, wo der Alltag der Menschen ist – nämlich in den Quartieren und in den Betrieben, wo Frauen* in prekären Arbeitsverhältnissen stehen. Zudem fänden wir es schade, wenn sich an diesem Tag alles rund um den Bundesplatz abspielen würde, aber in den restlichen Orten nichts von einem Streik bemerkbar wäre. Unser Streik in der Lorraine ist somit als Ergänzung zu all den Aktionen und Veranstaltungen der anderen Koordinationen zu verstehen.

Es gab auch die Kritik, dass das Wort «Frauen*streik» ausschliessend sei für andere Geschlechter*identitäten, welche ebenfalls vom Patriarchat betroffen sind. Ronja, was sind eure Gründe, dass ihr dennoch von einem Frauen*streik sprecht?
R: Grundsätzlich finden wir Kritik immer begrüssenswert. So gibt es beispielsweise die Kritik, dass sich Transfrauen als Frauen ohne Stern sehen. Des Weiteren teilen wir die Analyse, dass nicht nur Frauen* negativ vom Patriarchat betroffen sind. In Basel hat sich die Koordination beispielsweise feministischer Streik genannt. Auch bei uns gab es lange Diskussionen, welches «wording» am wenigsten ausschliessend wäre. Dabei hatten wir verschiedene Varianten vom queerfeminstischen Streik bis zum anarchafeminstischen Streik. Letztendlich kamen wir zum Entschluss, dass ein so komplexes Thema nicht auf einen Projekttitel reduziert werden kann. Wir versuchen eher in unseren Texten die Widersprüche aufzuarbeiten und beziehen uns historisch auf den Frauen*streik von 1991.
Was hat eure Streik-Koordination konkret vor
am 14. Juni?
P: Wir bestreiken die Hausarbeit und spannen Freunde, Brüder, Partner, Ehemänner, Väter und Grossväter dafür ein. Wir hängen violette Fahnen, Transparente und Leintücher sichtbar für alle auf. Wir tragen Streikbuttons oder violette Kleidungsstücke z.B. Halstücher, T-Shirts oder Socken, um unsere Solidarität zu zeigen. Die Farbe Violett soll sichtbar sein, den ganzen Tag.
Wir streiken aber nicht nur symbolisch: Von morgens bis abends gibt es in der Stadt, in den Quartieren und am Arbeitsplatz Streikaktionen, Streikpausen und Umzüge. Geplant ist zum Beispiel eine Kinderwagendemo in der Stadt, ein Trottoircafé in Neuenegg, eine Staubsauger-Aktion auf der kleinen Schanze und vieles, vieles mehr. Das ganze Programm gibt es auf unserer Webseite www.frauen-streiken.ch.
Neben all dem, was schon geplant ist, rufen wir alle Frauen* dazu auf: Schnappt euch eure Nachbarinnen*, Freundinnen* und Kolleginnen*. Schliesst euch zusammen und geht auf die Strasse. Nehmt Klappstühle mit, nehmt an einer Aktion teil oder macht selber eine. Macht euch hör- und sichtbar, in den Strassen, den Quartieren und in den Betrieben!

R: Wir werden in der Lorraine das Jinwar-Dorf bauen und den öffentlichen Raum für queerfeministische Anliegen sichtbar machen. Der Name «Jinwar» ist angelehnt an das «Dorf der freien Frauen*» in Rojava. Rojava liegt in Nordsyrien und wurde in den letzten Jahren durch die «Revolution der Frauen*» bekannt. Im Jinwar-Dorf sollen Diskussionen, Austausch, Workshops, Vorträge, Informationsstände, Essen, Kinderbetreuung, Abendprogramm und mehr stattfinden. Zudem werden Aktionen aus dem Quartier stattfinden, bei denen wir verschiedene patriarchale Unterdrückungsformen thematisieren werden. Ansonsten werden wir uns natürlich an den überregionalen Fixpunkten beteiligen und uns der grossen Demonstration anschliessen.

Was will eure Streik-Koordination erreichen? Gibt es bestimmte Ziele, auf die ihr aufmerksam machen wollt?
P: Es gibt für uns nicht eine, zwei oder drei Hauptforderungen. Sondern ganz viele. Jede Frau* soll am 14. Juni sichtbar machen, worum es ihr geht. Es gibt aber ein nationales Manifest, in dem einige Forderungen zusammengetragen wurden. Dort heisst es unter anderem: Es fehlt uns an Geld und an Zeit; wir fordern eine Wirtschaftspolitik, die bezahlte und unbezahlte Care-Arbeit ins Zentrum stellt und diese finanziert; wir wollen die generelle Reduktion der Arbeitszeit bei gleichbleibendem Lohn und einen Mindestlohn; wir wollen Bleiberecht für geflüchtete Frauen*; wir fordern das Ende von Gewalt an Frauen.
Und: Viele Frauen* finden – ganz grundsätzlich –, dass es so nicht weiter geht. Dass es grundlegende Veränderungen braucht am System, in dem wir leben. Das Manifest fordert: Ändert nicht die Frauen, sondern ändern wir die Gesellschaft.

R: Wir finden es in erster Linie wichtig, dass sich Menschen, die vom Patriarchat betroffen sind, endlich wieder vernetzen, zusammenkommen, sich austauschen und organisieren. Der Streik stellt für uns einen Auftakt zu neuen Kämpfen dar und weniger ein Ereignis, das an diesem Tag auch wieder enden soll. Des Weiteren wollen wir längerfristige Perspektiven entwickeln und die Energie des Tages mitnehmen. Das heisst für uns vor allem, auch ausserhalb dieses Systems zu denken. Ansonsten wollen wir auf die vielen feministischen Kämpfe weltweit aufmerksam machen, die hier oftmals verloren gehen. Unser Kampf in der Schweiz sollte solidarisch sein mit den Kämpfenden in Rojava, einer Näherin* in Indien oder indigenen Frauen* in Brasilien.

Auf welche feministischen Bewegungen bezieht ihr euch weltweit? Gibt es Bewegungen, die euch inspiriert haben?
P: Überall auf der Welt gibt es starke Frauen*bewegungen. Auf unseren Frauen*streik bezogen sind die Frauen* in Spanien ein wichtiger Bezugspunkt. Sie haben dieses Jahr, am 8. März, das zweite Mal in Folge gestreikt. Bis zu 6 Millionen haben teilgenommen! Die Frauen* sind zurzeit auch die stärkste Kraft, die sich in Spanien gegen die Rechten und Neo-Faschist*innen stellt. Wir haben uns in Bern mehrmals mit Aktivistinnen* aus der spanischen Streikbewegung austauschen können. Das war motivierend und lehrreich.

R: Wir sind mit unterschiedlichen feministischen Bewegungen auf der Welt vernetzt. Aus jeder Bewegung kann etwas gelernt werden. Diesbezüglich laden wir auch Menschen aus dem Ausland ein, welche über feministische Bewegungen wie z.B. in Spanien, Italien oder Deutschland sprechen werden. Ansonsten hat uns die Frauen*revolution in Rojava seit der Anfangszeit sehr stark inspiriert. So viele Frauen* haben mit den alten patriarchalen Clan-Strukturen gebrochen und sich dem Kampf gegen Daesh (IS) angeschlossen. Einige konnten wir persönlich kennenlernen und haben daraus viel Mut und Hoffnung für die Kämpfe hier gezogen.

Es werden sich auch Männer* an den grossen Demonstrationen beteiligen. Seht ihr darin einen Widerspruch und wie geht ihr damit um?
P: Es gibt dazu verschiedene Meinungen. Bei uns in Bern steht die Demonstration, die gegen Abend stattfindet, grundsätzlich auch Männern* offen. Es ist aber wichtig, sich als Mann* vorher Gedanken zu machen: Gibt es etwas anderes, konkreteres, das ich tun kann? Mich um Kinder oder andere Angehörige kümmern zum Beispiel? Oder die Schicht einer Arbeitskollegin übernehmen, falls sie nicht einfach streiken kann? Denn: Wichtig ist in erster Linie, dass die Frauen* an der Demonstration teilnehmen können. Dazu können Männer* ganz aktiv etwas beitragen. In Bern gibt es eine Männer*gruppe, die genau das tut. Am Streiktag wird sie den Kinderhüte-Dienst stellen, Streikküchen organisieren und weitere Arbeiten übernehmen.

R: Wir finden es wichtig, dass sich Menschen, welche vom Patriarchat betroffen sind, autonom organisieren können. Das bedeutet, Räume zu schaffen, in denen Frauen* nicht patriarchaler Unterdrückung ausgesetzt sind. Dies fördert die Solidarität und den Zusammenhalt unter den Frauen*. Andererseits müssen natürlich alle Geschlechter* befreit werden – also auch die Männer*. Hierbei finden wir es wichtig, dass sich an diesem Tag auch die Männer* in Selbstkritik üben und sich reflektieren. Bei Demonstrationen und Aktionen haben wir den Konsens gefasst, dass Frauen* sichtbar sein sollen.

Zu guter Letzt habt ihr jetzt noch die Möglichkeit für euer Programm Werbung zu machen:
P: Alle Informationen und Kontakte zum Frauen*streik in Bern gibt es unter: www.frauen-streiken.ch. Frauen*: Schliesst euch zusammen, plant Aktionen und lasst uns davon wissen!
Bist du ein Mann* und willst dich beteiligen, dann schau bei der Soli-Gruppe vorbei: www.frauen-streiken.ch/soli. Und falls du den Frauen*streik in Bern finanziell unterstützen möchtest: Jede Spende, egal ob gross oder klein, ist herzlich willkommen! Infos dazu gibt’s auf: www.frauen-streiken.ch/jetzt-spenden

R: Informationen zu unserem Tag findest du auf unserer Webseite: www.anarchistisch.ch
Ansonsten gibt es auf Facebook die Seite «Jinwar Dorf Frauen_streik». Für alle Aktiven auf den Sozialen Netzwerken gibt es unter dem Hashtag #fstreikbe Informationen zu allen Koordinationen. Wir sehen uns auf den Strassen.