Zoos Text: nip | Bild: Leo

Das System Zoo — Von kolonialer Schuld und Wildtierausrottung

«Völkerschauen» als mangelhaft aufgearbeitete koloniale Spektakel und eine Mitschuld an der Ausrottung von Wildtieren: Die Geschichte von hiesigen Zoos ist stark durchzogen. Ein Rückblick auf 150 Jahre Zoogeschichte.

Knallrosa stechen die Flamingos des Basler Zoos aus der Farbkulisse ihres Geheges hervor. So manch ein*e Besucher*in wird sich über die herausragende Balance der meist auf einem Bein stehenden Flugtiere wundern. Und manche fragen sich wohl auch, warum die Vögel nicht einfach davonfliegen, heraus aus der Gefangenschaft, ab in die Freiheit. Die Antwort darauf ist einfach: Sie können es nicht, weil ihnen einmal jährlich die Flügel gestutzt werden. Durch mutwillige Verstümmelung durch die Zoobetreibenden sind sie in ihrem Gehege gefangen. Vor etwas mehr als hundert Jahren waren andere hinter diesem Zaun gefangen. Es waren Menschen.

In drei Teilen werde ich euch in den kommenden Monaten in die Welt der Zoos mitnehmen. In der Reihe wird es unter anderem um historische Lasten, Tier- und Artenschutz, Fragen der Legitimität, eine perfide Medienstrategie und um fragwürdige Finanzierung gehen. Der erste Teil dieser Reihe schaut zurück auf die Geschichte schweizerischer Zoos und entblösst damit unkomfortable und weitgehend verdrängte Wahrheiten der hiesigen Kolonialgeschichte.

Die Anfänge: Grausame Kolonialpraktiken in Schweizer Zoos

Der erste offizielle Schweizer Zoo wurde im Jahr 1874 eröffnet. Es handelte sich um den allseits bekannten Basler Zoo, auch «Zolli» genannt. Das damals erklärte Ziel: Der städtischen Bevölkerung die Tierwelt näherzubringen. In den Anfängen stellte der Zoo mehrheitlich heimische Tiere aus. Doch aufgrund des ausbleibenden Interesses der Bevölkerung musste der Zoo bald kreativer werden in seinem Angebot.

Damit begann ein sehr dunkles Kapitel der schweizerischen Zoos. In Wanderausstellungen wurden in Basel ab 1879 nicht nur exotische Wildtiere, sondern auch «aussereuropäische» Menschen ausgestellt. Die sogenannten «Völkerschauen», heute teilweise auch «Menschenzoos» genannt, stellen einen oft vergessenen Teil des kolonialen Erbes der Schweiz dar. Beispielsweise wurden 1885 Menschen aus dem damaligen Ceylon (heute Sri Lanka) zusammen mit Elefanten in ein Gehege gesperrt. Den ausgestellten Menschen fehlte es an allem: Nahrung, Kleidung, medizinische Versorgung, Menschenwürde, Selbstbestimmung und Freiheit. Die Völkerschauen waren wirtschaftlich äusserst erfolgreich und halfen dem Zoo Basel bei seiner Existenzsicherung.

Auch andere Städte teilen das koloniale Erbe der Menschenzoos. Wie im Basler Zoo waren auch in Zürich, Bern und Glarus immer wieder Wanderausstellungen mit Menschenzoos zu Gast. 230 solcher Ausstellungen sind laut dem Kollektiv «vo da» schweizweit im Zeitraum zwischen 1835 und 1964 dokumentiert. Davon fanden über zwanzig in konventionellen Zoos statt, andere in temporären Menschenzoos, beispielsweise auf der Zürcher Letziwiese (Standort des heutigen Stadion Letzigrund) oder im Berner Bierhübeli. Am längsten waren Menschen als Ausstellungsobjekte im Zirkus Knie zu sehen. Die Namen der einzelnen Programme sind so rassistisch und menschenverachtend, dass diese hier nicht reproduziert werden.

Verantwortung und Aufarbeitung

Die degradierenden und ausbeuterischen kolonialen Praktiken der Zoos haben ihre Spuren hinterlassen. Rassistische Vorurteile über vermeintlich «primitive», homogene Bevölkerungsgruppen und deren Leben prägten sich in den Köpfen der Menschen ein. So trugen diese auch zu einem signifikanten Teil zur Entstehung der sogenannten «Rassenlehre» bei. Diese deklarierte ohne jegliche wissenschaftliche Grundlage einige Menschen aufgrund von äusseren Merkmalen als minderwertig. Daraus resultierten gemäss dem Kollektiv «vo da» «bewusst falsche Darstellungen, pseudowissenschaftliche Untersuchungen und das Konstruieren von Klischees und Vorurteilen».

Der strukturelle Rassismus, den tagtäglich unzählige Menschen in der Schweiz erfahren, wurzelt also nicht zuletzt in diesen, unter anderem in Zoos stattfindenden, menschenverachtenden Veranstaltungen in Basel, Zürich und Bern. Damit einher geht eine besondere Verantwortung, unter anderem in der Aufarbeitung ihrer Kolonialgeschichte und der Auseinandersetzung mit strukturellem Rassismus. Doch wie gehen die Zoos mit diesem dunklen Kapitel ihrer Vergangenheit um?

Der Basler Zoo widmet der eigenen Kolonialgeschichte einen relativ aufschlussreichen Blog auf seiner Webseite.1 Im Zoo Basel selbst suchen aber die Besuchenden vergebens nach dem kritischen Blick auf die eigene Geschichte. Laut dem Zoo Basel soll sich dies aber im kommenden Jahr – zum 150-jährigen Jubiläum – ändern.

Nur wenige Völkerschauen fanden im 1929 eröffneten Zürcher Zoo statt, keine im 1937 eröffneten Tierpark Dälhölzli. Nichtsdestotrotz sind die Wanderausstellungen, welche in hoher Zahl in diesen Städten tourten, fester Bestandteil des kolonialen Erbes sowie der Zoogeschichte von Zürich und Bern. Die Stadt Zürich hat sich im Rahmen des Projekts «Koloniales Erbe Zürich» der Aufarbeitung und Auseinandersetzung mit der eigenen kolonialen Geschichte verschrieben. Dies beinhaltet auch die Auseinandersetzung mit Menschenzoos und gegenwärtigem Rassismus. Vergleichbare Funktionen erfüllt in Bern ein Projekt von Cooperaxion namens «Bern kolonial».

Die städtischen Zoos selbst ziehen sich jedoch gekonnt aus der Verantwortung. Auf der Webseite des Zürcher Zoos, die die Geschichte bis ins Jahr 1925 zeichnet, werden Menschenzoos mit keinem Wort erwähnt. Auf Anfrage hin versichert der Zürcher Zoo, transparent mit der Kolonialgeschichte des Zürcher Zoos umzugehen, beispielsweise durch die zooeigene Bibliothek. Dass Besuchende des Zoos dennoch nichts von den Völkerschauen erfahren, begründet der Zoo damit, dass es solche nur während einer kurzen Zeit in den 1930er Jahren gegeben habe. Das Ausstellen von Menschen sei nie das übergeordnete Ziel des Zoos gewesen, sondern habe lediglich zur Überbrückung finanzieller Not gedient. Diese Entschuldigung wirkt etwas scheinheilig, als würde dies die Dramatik der Praktiken lindern.

Auch der Tierpark Dälhölzli schweigt auf seiner Webseite zum Thema Völkerschauen. Und das, obwohl das Dälhölzli die Berner Zoogeschichte bis ins Mittelalter zurückverfolgt, bis ins Jahr 1515 mit der Eröffnung des ersten Bärengrabens am Bärenplatz. Es grenzt an Ignoranz, in dieser weit übers heutige Dälhölzli herausreichenden Geschichte die mindestens 72 Menschenzoos unerwähnt zu lassen, welche zur Zoogeschichte der Stadt Bern gehören. Auf eine schriftliche Bitte um eine Stellungnahme hat das megafon vom Dälhölzli bis Redaktionsschluss keine Antwort erhalten.

Unter dem Strich werden in Zürich und Bern also nur Menschen zu Völkerschauen informiert, welche sich proaktiv mit dem Thema Kolonialismus auseinandersetzen. Davon ausgeschlossen ist die Masse an Menschen, welche täglich durch die Pforten der Zoos strömen. Das heitere Vergnügen soll ja nicht etwa von solch schrecklichen historischen Fakten getrübt werden. Die Verantwortung für die Aufarbeitung der Zoogeschichte scheinen zumindest der Zürcher Zoo und das Berner Dälhölzli bei anderen zu sehen.

Erfolgsmodell Wildfänge

Auch ohne ausgetellte Menschen boomte das Konzept Zoo. Und damit rücken ganz andere Probleme der Zoogeschichte ins Zentrum. Das Ausstellen von Tieren aus aller Welt war Mitte des 20. Jahrhunderts längst zur Attraktion jeder Zoostadt geworden. Zoobesuche galten damals wie heute als unterhaltsames Freizeitprogramm für die ganze Familie. Immer mehr Zoos und Tierparks wurden errichtet. Heute gibt es schweizweit über 20 öffentliche Zoos, in welchen Besuchende eine immense Diversität von Tieren in Gefangenschaft bestaunen können. Häufig werden die Zoos und Tierparks gleichzeitig als Freizeitpark oder Erlebniswelt gelabelt.

Das Konzept aller Zoos ist grundsätzlich dasselbe: Besuchende können hinter abgesperrten Bereichen eine mannigfaltige Auswahl von Tieren betrachten. Obwohl auch einige Haus- oder Nutztierarten vertreten sind, handelt es sich bei Zootieren in den allermeisten Fällen um Wildtiere. Ein Geissli ist nun halt mal nicht ganz so aufregend wie ein Luchs oder ein Känguru – oder gar ein Eisbär oder Löwenbabys.

Ethische Fragen kamen durchaus auch schon im zweiten Teil des 20. Jahrhunderts auf. In den 1970er Jahren wurde in Europa erstmals massive Kritik an Zoos geäussert. So wurde bekannt, dass der Fang und Handel einiger Arten – auch für Ausstellungszwecke in Zoos – stark am Aussterben ebenjener Arten mitbeteiligt war. Die allermeisten Tiere, die in Zoos landeten, waren Wildfänge. Das bedeutet, dass gesunde Tiere aus aller Welt aus ihren natürlichen Habitaten (Lebensräumen) entwendet und um den halben Planeten transportiert werden, um den Rest ihres Lebens in einem Käfig, Aquarium oder Gehege zu verbringen. Diejenigen Zoos, die sich heute mit Artenschutz rühmen, waren also massgeblich an der Ausrottung von Wildtierarten beteiligt.

Über die Zeit hinweg hat sich das kollektive Verständnis davon, was Wildtieren in Gefangenschaft zuzumuten ist, verändert. Nebst der Kritik an den Wildtierfängen wurde zunehmend Kritik geübt an den oft miserablen Haltungsbedingungen. Die Illusion von glücklichen Zootieren in einem realistischen Habitat konnte nicht einmal ansatzweise aufrechterhalten werden. Auch so manchen ungeschulten Betrachtenden wurde etwa beim Besuch des Affenhauses in Basel schnell bewusst, dass hier keine glücklichen Affen leben.

Neuausrichtung der Zoos

Die Zoos sahen sich um die Jahrhundertwende in einer Rechtfertigungspflicht und entwickelten darauf eine Strategie, die den Sinn und Zweck moderner Zoos legitimieren soll. 2005 übernahm der Verband Deutscher Zoodirektoren (VDZ) die vom Weltzooverband entworfene «Welt-Zoo- und Aquarium-Natur-schutzstrategie». Zentral dabei sind die 4-Säulen, an welchen deutschsprachige Zoos sich bis heute orientieren: Bildung, Artenschutz, Forschung und Erholung. Unter dem Deckmantel dieser vier Säulen rechtfertigen Zoos ihre Existenz. «Zoos und Aquarien müssen Naturschutzzentren sein», schreibt der Verband deutscher Zoodirektoren in seinem Positionierungspapier von 2006. Zu diesem Verband gehören übrigens auch acht Schweizer Zoos, darunter der Zürcher Zoo, der Basler Zoo und das Berner Dälhölzli.

Doch leider verbirgt sich hinter der so galant kommunizierten Strategie und den intuitiv einleuchtenden vier Säulen wenig Stichhaltiges. Warum diese heiligen vier Säulen wenig mehr sind als scheinheilige Vertuschung der Ausbeutung von Tieren in Gefangenschaft erfährst Du im nächsten Teil von «Das System Zoo».