skaten Text: tym | Bild: aja

Roll over Patriarchy!

Angela und Salo vom Polar Pony erzählen im Interview, weshalb sie sich für zugänglichere Skateparks in Bern einsetzen. Ihr Arbeit stiess nämlich auf heftigen Widerstand.

Skaten, das bedeutet Freiheit und unbekümmerte Lässigkeit. Diese Zuschreibungen sind nicht nur romantische Projektionen, denn Skateboarden kann als Aneignung von urbanem Raum verstanden werden: Für skatende Menschen kann eine Sitzgelegenheit eine sprudelnde Inspirationsquelle sein. Eine Treppe kann ein hartnäckiges Hindernis in einem kreativen Prozess darstellen –oder der Grund dafür sein, weshalb eine Person mit gebrochenem Arm und trotzdem irgendwie glücklich im Spital liegt. Skateboardfahren kann Begegnungsräume schaffen für Menschen, die sich bereits seit der Kindheit kennen oder für solche, die sich noch nie zuvor gesehen haben. In beiden Fällen ist ein langes Gespräch über die optimale Beschaffenheit eines Randsteins nicht unwahrscheinlich. Wie in anderen Szenen(1) wirken jedoch auch in der Skateszene hartnäckige Machtstrukturen. Seit 2022 gibt es in Bern deswegen das Projekt Polar Pony und die Initiant*innen verfolgen klare Zukunftsvisionen.

megafon: Was ist das Polar Pony?

Salo: Das Polar Pony ist ein Verein, der das Skateboarden in Bern und der Umgebung fördern möchte. Wir wollen den Zugang für Personen zu vereinfachen, für die unsere Leidenschaft bisher weniger zugänglich war. Wir organisierten im Dezember und Januar dafür schon zum zweiten Mal einen Skate-Anlass in der Grossen Halle. Diese wird dann zum Indoor-Skatepark. Das Projekt kam uns in den Sinn, weil die Halle oft leer steht und in Bern kaum witterungsgeschützte Skateplätze vorhanden sind. Während einem Monat konnten Menschen an drei Tagen die Woche drinnen skaten. Dazu gab es neben normalen Öffnungstagen spezielle Veranstaltungen wie Kids-Days, einen Art Day und zwei FINTA(2)-Tage mit denen wir einen neuen Drive ins Skaten bringen wollten.

Angela: Das Schöne am Skaten und insbesondere am Polarpony besteht für mich darin, dass es ein Gemeinschaftsding sein kann. In der grossen Halle entstand ein Raum für Leute zum Skaten, es wurden Filme gedreht, Fotos geschossen, es wurde gechillt. Einige haben das Tor bemalt, es gab DJ-Sets und gemeinsame Bastelsessions in der Halle. Es freut mich, wenn sich verschiedene Leute auf ihre Weise einbringen mögen. Das ist ein verfolgtes Ziel vom Polar Pony.

Wie erlebt ihr selbst die Räume, in denen ihr skatet?

Salo: In Skateparks herrscht oft eine inoffizielle Etikette, an die du dich zu halten hast. Eigentlich wäre es ja schön, wenn alle aufeinander Rücksicht nehmen würden. In der Realität ist die Dynamik jedoch so, dass es jeweils Crews gibt, die schon gut fahren können und sich auf gewissen Plätzen verhalten, als wäre es ihr Zuhause. Das bedeutet dann, dass du dich denen anzupassen hast, die schon gut fahren können. Um erste Erfahrungen auf dem Skateboard zu machen sind dies sehr ungemütliche Bedingungen, die eben viele Leute auch verdrängen.

Angela: Sicherere Räume sind beim Skaten wichtig, insbesondere für FINTA-Personen. Ich hätte gerne mit sechs Jahren angefangen zu skaten. Aber wie machst du das, wenn da, wo du aufwächst, alle skatenden Menschen Männer sind? Die Möglichkeiten der Zugänglichkeit sind noch immer ungleich verteilt in der Skateszene, auch wenn es zum Glück Veränderungen gibt.

 

Die erste Edition vom Polar Pony, der Skatehalle, war in vielerlei Hinsicht ein Erfolg: Die Nachfrage war gross und der Park wurde zum winterlichen Treffpunkt. Ich war selbst einige Male da und es fühlte sich bald so an, als wäre es nie anders gewesen. Es kamen Leute aus verschiedenen Ecken der Schweiz angereist, um in der Halle zu skaten. Besuchende vom FINTA-Tag haben vom Projekt geschwärmt. Gleichzeitig löste eben dieser FINTA-Tag – bei der ersten Ausgabe der Skatehalle war es ja nur einer – massive Reaktionen in der Szene aus. Was ist passiert?

Salo: Ich möchte vorab gerne nochmals betonen: Die Halle war damals während vier Wochen an mehreren Tagen für alle geöffnet. In einer Woche gab es dann einen zusätzlichen Tag: den FINTA-Tag, ein zusätzliches Angebot.

Angela: Es ging eigentlich los am Tag zuvor. Unter anderem weil ein «Memetyp» mit einer gewissen Reichweite auf Instagram sich dazu berufen fühlte, gegen uns zu hetzen. Er behauptete, wir würden Männer ausschliessen. Es folgten etliche Nachrichten und Reaktionen über Instagram von Menschen, die wir teilweise kannten, teilweise nicht. Während dem Event gab es dann auch persönliche Diskussionen mit wütenden Männern, die sich ausgeschlossen fühlten aufgrund ihres «Mann-Seins». Ein Sponsor des Projekts rief mich an und untersagte uns, sein Unternehmen weiterhin auf Kommunikationskanälen mit uns in Verbindung zu bringen, weil wir durch den FINTA-Tag der «Szene schadeten». Eine Person, mit der wir zuvor öfters unsere Freizeit verbrachten, fand das Wortspiel angebracht, dass er mit seiner FLINTA vorbeikommt, wenn es zukünftig nicht möglich ist, dass alle zusammen skaten.

Salo: Wir mussten viele Meinungen von Männern über etwas entgegennehmen, was sie nicht organisiert haben. Über Dinge, mit denen sie sich offensichtlich nicht auseinandergesetzt haben und es eben auch nie mussten. Es ist nicht die Aufgabe des Polar Pony, Männer über FINTA-Personen und Machstrukturen in der Gesellschaft zu informieren. Der eigentliche Zweck, sich Raum anzueignen und zusammen kreativ zu sein, geriet für uns leider an diesem Tag und bis auf Weiteres in den Hintergrund.

Das Polar Pony hat offensichtlich einen patriarchalen Nerv getroffen. Hattet ihr in der Phase nach dem Projekt den Eindruck, dass sich innerhalb der Szene Gedanken über die Reaktionen auf den FINTA Tag gemacht wurden?

Angela: Wir bekamen verständnisvolle Rückmeldungen von Männern, die nach dem ersten Polar Pony FINTA-Tag durch ihre Freundinnen aufgeklärt wurden. Das ist dann wieder diese Rollenverteilung, in der FINTA-Personen Bildungsarbeit leisten müssen. Insgesamt blieb das Verständnis für unseren Schmerz und die Enttäuschung in einem Rahmen, wie es von vielen Männern eben leider zu erwarten war. Es gab vor allem viel Schweigen.

Salo: Die Leute verstanden vor einem Jahr nicht, dass es um strukturelle Probleme geht, die überall anzutreffen sind, inklusive der Skateszene. Die Skateszene ist angeblich so «offen»; alle dürfen alles, alle sind frei. Ich habe nicht das Gefühl, dass sich diese Haltung gross geändert hat. Und trotzdem freut es mich, dass wir uns dieses Jahr auf den Spass und die gemeinsame Kreativität konzentrieren konnten.

Ihr habt euch entschieden, weiterzumachen und vor kurzem die zweite Ausgabe des Polar Ponys in der grossen Halle durchgeführt. Diesmal mit zwei FINTA-Tagen. Wie habt ihr den diesjährigen Skatepark erlebt?

Angela: Es war sehr schön und es hat viel Freude gemacht. So viele herzliche Menschen waren da. Wir konnten uns auch als Organisierende den Raum liebevoll aneignen und Freude am gemeinsamen Skaten haben. Alles andere blieb diesmal grösstenteils vor dem Eingangstor. Der Begriff FINTA scheint sich mittlerweile zu normalisieren in der Skateszene. Auch in Zürich und Basel gibt es nun sowas wie FINTA-Skatetage und nicht «Girls-Skatetage», was uns sehr freut.

Salo: Skaten hat für mich potenziell schon eine grosse Kraft: Sich Raum aneignen, gemeinsam kreativ sein und dabei Körper und Geist verbinden. Das kann gerade für FINTA-Personen sehr bestärkend sein. Es war schön zu erleben, dass im Polar Pony mehr aufeinander Rücksicht genommen wird. Dass insbesondere an den FINTA-Tagen aber auch sonst darauf geachtet wird, dass es für alle Platz gibt.

Wie seht ihr die Zukunft der Szene und vom Polar Pony?

Salo: In Bern werden leider bald einige bestehende Skateparks der städtischen Raumpolitik zum Opfer fallen. Was natürlich die Problematik des fehlenden Raums weiter verschärft. Doch vielleicht gelingt es durch diese Veränderung auch gewisse toxische Umgangsformen hinter sich zu lassen und nicht nur neue Orte, sondern auch neue Umgänge zu etablieren. Wir sehen da viel Potential für Initiativen wie das Polar Pony, die das Skaten auch als Raumpolitik begreifen wollen. Das merken wir auch sehr anhand der positiven Rückmeldungen, die wir bekommen. Da möchten wir auf jeden Fall dranbleiben.

Angela: Wir möchten weiter daran arbeiten, das Skateboarden zugänglicher zu machen. Zum Beispiel für Menschen mit Behinderung, Menschen mit Fluchterfahrung oder Menschen mit wenig Geld. Es gibt noch viel zu tun.

Danke vielmals für eure Arbeit. Gibt es ein Schlusswort?

Angela: Love skateboarding, fight the patriarchy!

 

(1) Wir kritisieren Szenen im Bewusstsein darüber, dass es «die» Skateszene im Sinne einer einzigen, klar abgrenzbaren Gruppe nicht gibt. Trotzdem dürfen sich gewisse Personen, Skatecrews und Sponsoren gerne angesprochen fühlen.

(2) FINTA steht für Frauen, inter, nonbinary, trans und agender Personen