Schliessung Kapitel Text: tym | Bild: leo

Danke, Kapitel!

Ende September schloss das ehemalige Kapitel in Bern seine Tore für immer. Höchste Zeit, jenen widerständigen Ort in Bern zu würdigen, zu welchem es sich in den letzten beiden Jahren entwickelt hatte.

Am 12. Oktober 2023 veranlasste die Berner Stadtregierung in Solidarität mit den Tage zuvor in Israel getöteten Menschen die Projizierung der israelischen Flagge an den Zytglogge. Demonstrationen in Solidarität mit der palästinensischen Bevölkerung wurden in den folgenden Wochen durch kompromisslose Polizeirepression verunmöglicht. Mitte November, als die Zahl der getöteten Palästinenser*innen bereits 15‘000 überstieg, verhängten die Berner Behörden wegen angeblicher Terrorismusgefahr formell für die ganze Stadt ein völkerrechtswidriges Demonstrationsverbot. Spätestens ab dem Zeitpunkt schien die Stadt dominiert von unerschütterlichem Rückhalt für Israels Recht auf Selbstverteidigung – obwohl die israelische Regierung bereits damals unverhohlen dabei war, Gaza zu vernichten und sich Regierungsmitglieder wie Miri Regev schon vor Jahren stolz als Faschist*innen bekannt hatten. Der Kulturbetrieb Kapitel war meines Wissens der einzige öffentliche Ort in Bern, wo Personen aus der palästinensischen Diaspora sowie solidarische Personen nach dem 7.  Oktober 2023 hingehen konnten, ohne der gewaltvollen zionistischen Rhetorik ausgesetzt sein zu müssen.

Das Kapitel bot Raum, um zusammen zu trauern, zu essen, sich auszutauschen und zu organisieren. Für viele Menschen, auch für mich, war dieser Treffpunkt über Monate hinweg ein Fixpunkt, welcher die eigene Panik und Ohnmacht etwas zu entschärfen vermochte. Das Kollektiv Ciné Résistance zeigte jeden Dienstag filmische Belege zu den verschiedensten Facetten palästinensischen Lebens; der Freude, der Kämpfe, aber auch der systematischen und gnadenlosen Unterdrückung Israels. Während der allergrösste Teil Berns so tat, als wäre der 7. Oktober im historischen Vakuum geschehen, konnten auch Personen ohne Vorwissen durch Besuche im Kapitel bald nachvollziehen, weshalb es dazu kam. Das Kapitel bot auch Künstler*innen eine Bühne, welche sich weigerten, zum Völkermord in Gaza zu schweigen, und denen deswegen Auftritte abgesagt oder gar Preise aberkannt wurden, wie im Falle von Leila Moon. Viele der  durchgeführten Veranstaltungen basierten auf unbezahlter Arbeit. Auch weil an den meisten Veranstaltungen Geld gesammelt wurde, um es Menschen in Gaza zukommen zu lassen. Dadurch konnten mehrere zehntausend Franken an Organisationen an der Front überwiesen werden.

Aufgrund der deutlichen politischen Positionierung geriet das Kapitel im Frühjahr 2024 auf den Radar des israelischen Hetzportals «Audiatur-Online». Medien wie der Bund übernahmen Inhalte der höchst problematischen Quelle teils direkt in ihre Berichterstattung auf. Zunehmend geriet das Kapitel auch ins Visier lokaler Zionisten wie Johannes Lorz und schlussendlich unter Druck der institutionellen Politik. Dass das Kapitel angreifbar wurde, hing auch damit zusammen, dass der Betrieb mit seiner klaren Haltung allein auf weiter Flur war. Insbesondere die linkspolitische Hochburg auf der anderen Seite der Schützenmatte, von welcher ich mich als Autor des megafon als Teil verstehe, befand sich nach dem 7. Oktober 2023 viel zu lange in schweigender Überforderung. Während im Kapitel wöchentlich Bildungsveranstaltungen stattfanden und Menschen sich vernetzten, scheiterte die Reitschule im Frühjahr 2024 daran, sich als ganzes Haus zu positionieren. Mit der Zeit begannen sich aber einzelne Reitschulkollektive im Rahmen ihrer Möglichkeiten zu organisieren. Nicht wenige dieser Initiativen kamen von Personen, die während der letzten zwei Jahren regelmässig im Kapitel waren.

Nun ist das Kapitel am Ende, während der Völkermord in Gaza andauert. So traurig, schmerzhaft und lähmend das alles sein mag, möchte ich auf diesem Weg hervorheben, wie unersetzbar das Kapitel aus meiner Sicht in den letzten zwei Jahren für Bern war. Ich möchte deshalb allen involvierten Personen vom Kapitel, von Ciné Réstistance und allen Menschen danken, die kamen und gingen. Für die Energie, die sie investiert haben, um diesen unersetzlich kämpferischen und liebevollen Ort zu ermöglichen.