Budapest-Komplex Text: freia | Bild: jem

Kopfgeld auf Antifaschist*innen – Der Budapest- Komplex

Am 11. Februar 2023 fand der NS-verherrlichende Aufmarsch «Tag der Ehre » in Budapest statt. Antifaschist*innen, die diesem Geschehen nicht tatenlos zuschauen konnten, werden seither regelrecht gejagt. Der Budapest-Komplex zeigt: Die Arbeit von Antifaschist*innen könnte heute nicht wichtiger sein.

«Weil nie wieder jetzt ist – wo bleibt das Geschrei und die Wut – wenn es uns wieder trifft.» Die Künstlerin VAVUNETTHA bringt in ihrem Song «Asche & Staub» auf den Punkt, was mit Blick in die Weltpolitik unschwer zu erkennen ist: Nie wieder ist jetzt. Das zeigt sich aktuell deutlicher denn je am Genozid in Palästina. Doch auch im europäischen Kontext sind rechtsextreme Parteien nicht mehr «nur» wieder auf dem Vormarsch, sondern haben in weiten Teilen bereits Regierungskompetenzen und beachtliche Parlamentsanteile. Die Zahl rechtsextremer Straftaten klettert immer weiter in die Höhe, und der öffentliche Aufschrei fällt, wie VAVUNETTHA singt, oft vermessen aus.

In dieser Zeit ist die Arbeit von Menschen, die sich gegen Rechtsextreme auflehnen, besonders wichtig. Sie tun dies mit unterschiedlichen Mitteln; von friedlichen Protesten, über Cyber-Aktivismus bis zu militanten Aktionen. Und zwar auch dann, wenn die Schutzmechanismen eines politischen Systems nicht mehr greifen. Der Budapest-Komplex ist ein wichtiges Beispiel, um zu verstehen, wie Linke effektiv als Gefährder*innen dargestellt werden und damit direkt oder indirekt rechtes Gedankengut geschützt wird.

 

Elfter Februar 2023 –
Nazikonzerte und Hitlergrüsse

Wie jedes Jahr seit 1997 versammelten sich am 11. Februar 2023 in Budapest Rechtsextreme, darunter zahlreiche bekannte Neonazis. Der Anlass: Der sogenannte «Tag der Ehre». Rechtsextreme aus ganz Europa treffen sich, um die deutsche Wehrmacht und Einheiten der Waffen-SS zu glorifizieren und aktiven Geschichtsrevisionismus zu betreiben. Die Umdeutung und Verharmlosung der NS-Verbrechen an diesem Tag werden dabei nicht nur von ausserparlamentarischen rechten Gruppierungen getragen. Auch die rechtsextreme ungarische Regierung mit Victor Orban an seiner Spitze trägt ihren Teil dazu bei; so wird der «Tag der Ehre» durch Abzeichen und weitere Tribute aus dem ungarischen Militärmuseum unterstützt.

Am 9. Februar 2023, also einige Tage vor dem «Tag der Ehre», meldete Tamás Lipták, Mitglied der rechtsextremen Lègió Hungária, an einem Budapester Bahnhof angegriffen worden zu sein. Daraufhin gründete die ungarische Polizei eine Sonderkommission zur Ermittlung der Angreifer*innen. Weitere Auseinandersetzungen zwischen Antifaschist*innen und Rechtsextremen folgten in den darauffolgenden Tagen. Ein Anlass dafür war das am zehnten Februar stattfindende Konzert, das als Willkommensevent für den «Tag der Ehre» inszeniert wurde. Eine der beiden auftretenden Bands war die Schweizer Neonazi-Band «Ewiger Sturm».

Am elften Februar dann, am Tag des Aufmarsches, wurden erste Antifaschist*innen verhaftet. Die Tatvorwürfe: «Gewalt gegen eine Gemeinschaft» und «Bildung einer kriminellen Vereinigung». Wenig später wurden die meisten der an diesem Tag festgenommenen Personen aufgrund der Unhaltbarkeit der Vorwürfe wieder aus der Untersuchungshaft entlassen. Wie das Budapest Antifacist Solidarity Committee (BASC)1 auf seiner Webseite schreibt, war der darauffolgende öffentliche Aufschrei gross: «Doch nicht, weil im Rahmen der Veranstaltung tausende Nazis und FaschistInnen offen mit Hitlergruß, Stahlhelm und Hakenkreuz auftraten. Der Aufschrei galt einzig und allein den GenossInnen, die sich ihnen entgegengestellt haben sollen».

 

Öffentlichkeitsfahndungen und Repression

Im Frühjahr 2023 veröffentlichte die ungarische Polizei verschiedene Fahndungsfotos sowie die vollen Namen von beschuldigten Antifaschist*innen. Einige der gesuchten Personen wurden in Deutschland vermutet – weshalb der Fall nach Deutschland überschwappte. Es kam zu Hausdurchsuchungen in Berlin, Leipzig und Jena. Die «Zentralstelle Extremismus Sachsen» eröffnete Ermittlungsverfahren gegen beschuldigte Personen.

Die deutschen Behörden arbeiteten dabei nachweislich mit den ungarischen Strafverfolgungsbehörden zusammen. Die deutsche BILD-Zeitung unterstützte die Behörden bereits früh dabei; mittels Berichterstattung über den Fall und durch die breite Streuung von Informationen über die angeschuldigten Personen. Am 25. September 2023 wurde die Fahndung durch das deutsche Bundeskriminalamt (BKA) in Zusammenarbeit mit dem sächsischen Landeskriminalamt (LKA) auf eine bundesweite Öffentlichkeitsfahndung ausgedehnt. Eine Kopfgeldjagd wurde angesetzt: Für Hinweise auf den Aufenthalt einzelner Personen versprachen die deutschen Strafverfolgungsbehörden 10‘000 Euro Kopfgeld. Auch deutsche Neonazis schlossen sich der Jagd auf Antifaschist*innen an und setzten ein eigenes zusätzliches Kopfgeld aus. Ausserdem veröffentlichte die BILD im November weitere Namen und Fotos von Antifaschist*innen – darunter auch solche, nach denen von den Behörden nicht öffentlich gesucht wurde.

Zwischen Februar und Dezember 2023 kam es zu diversen Festnahmen in Deutschland und Italien. Verhandlungstermine der sich in deutscher Untersuchungshaft befindenden Personen wurden verschoben, dies, weil die Rechtmässigkeit einer Auslieferung nach Ungarn – wo die meisten Strafbefehle ausgestellt worden waren – erst geprüft werden musste. Der heikle Punkt waren dabei die ungarischen Haftbedingungen.

Um die inhaftierten Personen entstanden Solidaritätsgruppen, die unter anderem auf Social Media Aufmerksamkeit für das Thema generierten. Ausserdem gab es in verschiedenen europäischen Städten Solidaritätsbekundungen und Demonstrationen für die Freiheit aller Antifaschist*innen. Zum Beispiel gingen im Januar 2024 in Mailand rund 1000 Menschen auf die Strasse, um gegen eine Auslieferung nach Ungarn einer in Italien inhaftierten Person zu protestieren. Ausserdem forderten sie die Freilassung von Ilaria Salis. Als Angeschuldigte im Rahmen des Budapest-Komplexes drohten ihr viele Jahre in ungarischer Haft. Als Halterin eines italienischen Passes war Ilaria wahlberechtigt fürs EU-Parlament. Obwohl viele Linke und Autonome in Italien gewöhnlich aus Überzeugung aufs Wählen verzichten, gelang es ihnen mit gemeinsamer Kraft, Ilaria ins EU-Parlament zu wählen. Zum Zeitpunkt der Wahl stand sie unter Hausarrest, nachdem sie gegen eine Kaution aus der ungarischen Untersuchungshaft entlassen worden war. Als EU-Abgeordnete verfügt Ilaria seither über parlamentarische Immunität.

Freiheit für Maja und für alle Antifas

Unter den festgenommenen Personen war auch Maja. Im November 2023 stellte Ungarn einen internationalen Haftbefehl gegen Maja aus. Maja wurde schliesslich im Dezember 2023 in Berlin festgenommen und kam vorerst in Untersuchungshaft in Deutschland. Daraufhin wurde Maja im Juni 2024 an die ungarische Justiz ausgeliefert. Seither verharrt Maja unter grausamsten Bedingungen in der Isolationshaft.

Maja legte aus dem ungarischen Gefängnis heraus eine Beschwerde beim deutschen Bundesverfassungsgericht gegen die durchgeführte Auslieferung durch den deutschen an den ungarischen Staat ein. Das Gericht gab Maja am 24. Januar 2025 Recht: Die Auslieferung wurde als verfassungswidrig eingestuft, da sie das Verbot von Folter und unmenschlicher sowie erniedrigender Strafe missachtet.

Deutschland hätte Maja also niemals  nach Ungarn ausliefern dürfen – und war sich dessen bewusst, denn Berichte zu den schrecklichen Haftbedingungen in Ungarn gab es zu diesem Zeitpunkt genug. Doch eine Rücküberstellung in ein deutsches Gefängnis blieb trotz immer stärkerem öffentlichen Druck bis Anfang Juni 2025 aus. Als letztes Mittel trat Maja daraufhin im fünften Juni 2025 in den Hungerstreik. Majas Forderung: Die Rücküberstellung nach Deutschland. Nach einigen Tagen des Hungerstreiks war Maja bereits deutlich angeschlagen – bald musste Maja ins Gefängniskrankenhaus verlegt werden. Sogar dort blieb Maja isoliert und ans Bett gekettet. Die öffentliche Empörung wuchs, und das nicht nur innerhalb der Solidaritätsgruppen. Sogar deutsche Parlamentarier*innen forderten die deutsche Regierung lautstark dazu auf, Maja zurückzuholen. Majas Kräfte schwanden unter den Blicken der Öffentlichkeit, nichts passierte. Nach 40 Tagen musste Maja den Hungerstreik beenden, da Majas Gesundheit sonst (zusätzlichen) irreparablen Schaden genommen hätte. Eingebettet in ein langes Statement schrieb Maja:

«Nun ist von mir nicht mehr viel übrig. Mein Körper – ein Skelett, mit einem ungebrochenen, kämpferischen und lebenden Geist. Er lächelt, sucht im Horizont Freiheit und Gemeinschaft, findet sich nicht damit ab, gibt es keine Gerechtigkeit. Doch den Schritt in den nahen Tod zu gehen, bin ich nicht bereit. […] Meine Forderungen bleiben unverändert! Es bedarf einer Rücküberstellung nach Deutschland oder Hausarrest und eines rechtsstaatlichen Gerichtsverfahrens. Ich bin entschlossen, auch im Morgen nicht zu schweigen und zu protestieren, so lange es Notwendigkeiten dazu gibt.»

Majas Statement ist trotz der miserablen Situation kämpferisch und hoffnungsvoll. Der Prozess gegen Maja in Ungarn geht indes weiter – und Solidaritätsgruppen begleiten ihn.2

Vor dem Hintergrund der Gefahren von rechts ist die Arbeit von Antifaschist*innen heute wieder besonders wichtig. Solidarität mit Maja, Hanna, Johann, Zaid und allen anderen ist deshalb dringend notwendig. Wie bereits Bertold Brecht konstatierte; «Wo Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht.» Die öffentliche Fahndung und Strafverfolgung zeigt: Antifaschistische Arbeit ist gefährlich. Sich selbst mit Rechtstaatlichkeit rühmende Staaten wie Deutschland scheuen nicht davor zurück, mit den Repressionsorganen faschistischer Regime wie Ungarn zusammenzuarbeiten. Auch die bürgerlichen und rechten Medien und Social Media Accounts tragen ihren Teil dazu bei, indem sie antifaschistische Aktivist*innen als Terrorist*innen darstellen und die Erzählung einer linken Bedrohung prägen. Deshalb sollte verteidigt werden, was verteidigt werden kann. Gerade in diesen Zeiten gilt es, solidarisch und laut zu sein, bis alle Antifaschist*innen frei sind.