Basel Nazifrei Text: ffg | Bild: daf

Polizeigewalt bagatellisieren, Protest kriminalisieren

Seit zweieinhalb Jahren überrollt eine Repressionswelle der Basler Justiz Antifaschist*innen. Als Anlass dient die Demonstration «Basel Nazifrei!» vom 24. November 2018. Gegen die Repression wehren sich Direktbetroffene und Kampagnen wie «Basel Nazifrei» und 500k.ch. Gespräch mit zwei Aktivisten.

m*: Was macht «Basel Nazifrei» eigentlich genau?

Murat*: Basel Nazifrei (BNF) hat sich im Nachgang des Protestes gegen die PNOS-Demo gegründet und existiert bis heute weiter. Wir sind ein antifaschistisches, revolutionäres Bündnis. Als die Repressionswelle losging, unterteilten wir uns in verschiedene Untergruppen, die sich um Öffentlichkeitsarbeit, Fundraising, Infoveranstaltungen und emotionalen Support von Angeklagten kümmern. Neu gibt es auch eine Gruppe, die teilweise durch BNF politisierte Aktivist*innen beim Einstieg in die politische Praxis unterstützt. Insgesamt engagieren sich bei BNF mehrere Dutzend Menschen.

m*: In meiner Wahrnehmung sind die Kampagnen von BNF sowie die Schwesterkampagne 500k.ch äusserst erfolgreich. Wie seht ihr das?

Murat: Dem würde ich zustimmen. Im November gab es eine Demo mit über 3000 Menschen. Die Medien berichteten über die skandalösen Vorgänge rund um BNF. Es wurden viele Spendengelder gesammelt. Und wir konnten Angeklagte vor, während und nach ihren Prozessen unterstützen. Aktuell haben wir 26 von 38 Prozessen erstinstanzlich hinter uns. Seitdem die Kampagnen von uns, 500k.ch und die allgemeine Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit grösser wurden, haben sich die Urteile unserer Einschätzung nach leicht abgeschwächt. Sie sind aber immer noch sehr hart und klar politisch motiviert.

m*: Peter, du bist einer der erwähnten Angeklagten. Dein Prozess fand im letzten Februar statt. Was ist damals bei der Demonstration passiert?

Peter*: Ich komme aus Bern und daher war ich mir gewohnt, dass eine Stadt zur Polizeifestung wird, wenn eine rechte Gruppierung eine Demo machen will. In Basel war es an jenem Tag anders: Wir liefen zum Messeplatz, wo sich die PNOS versammelte. Von der Polizei war nur wenig zu sehen. So gab es schon früh physische Konfrontationen mit der PNOS. Später setzte die Polizei Gummischrot ein. Abends freuten wir uns über die Demo, die der PNOS ihre Grenzen aufgezeigt hatte. Monate später rollte dann die Repressionswelle an: Es gab Hausdurchsuchungen; ich fand mich auf einem Internetpranger wieder. Als ich von der Berner Polizei identifiziert wurde und einen Anruf der Staatsanwaltschaft erhielt, war ich kurz geschockt: Es drohe mir eine Haftstrafe.

m*: Wofür wurdest du verurteilt?

Peter: Ich erhielt sieben Monate Haft und drei Jahre Bewährung für «Landfriedensbruch» und «mehrfache Gewalt und Drohung gegen Beamte in passiver Form». Das Urteil war gewissermassen eine Erleichterung, weil einzelne Straftatbestände fallen gelassen wurden. Trotzdem ist das Urteil immer noch sehr hart. Deshalb gingen wir in Berufung. Durch die Spenden können wir uns das leisten. Hätten wir dieses finanzielle Backup nicht, hätten ich und viele andere Angeklagte keine Chance, gegen diese Urteile vorzugehen. Wir müssen verhindern, dass solche Urteile zu Präzedenzfällen werden.

m*: Dabei steht die Staatsanwaltschaft seit Beginn der Prozesse in massiver Kritik. Warum?

Murat: Genau, Staatsanwalt Camilo Cabrera tut sich durch eine extrem harte Prozessführung hervor. Eines der ersten Urteile im September 2020 lautete acht Monate unbedingt. Die Richter*innen folgen seiner Argumentation meistens. Tatbestände wie «Gewalt und Drohung», «Landfriedensbruch », «Teilnahme an einer unbewilligten Demo» oder «Angriff» werden separat aufgelistet und zu harten Urteilsforderungen verschmolzen. Das ist juristisch fragwürdig, da es um sehr ähnliche Straftatbestände geht. Cabrera ist ein Bürokrat, der in seinen Forderungen sein konservativ-reaktionäres Denken durchschimmern lässt.

m*: Wer ist von den Anklagen betroffen?

Murat: Es trifft mehrheitlich junge Leute. Die Auswahl der Leute ist willkürlich – es gibt kaum handfeste Beweise gegen sie. Mehr als 100 Gigabyte an Videomaterial dienten der Staatsanwaltschaft, um Personen herauszupicken, denen sie nun «Rädelsführerschaft» vorwirft – wegen einem Megafon, einer Kamera oder weil sie schon bei anderen Demos dabei waren. Nicht alle Angeklagten sind in Revision gegangen. Viele Betroffene sind eingeschüchtert und haben teilweise vor Gericht gesagt, dass sie nie wieder an einer Demo teilnehmen werden. Ich habe viele Prozesse als Zuschauer begleitet: Dort, wo Angeklagte Reue zeigten, folgte oft eine Strafminderung. Dasselbe galt bei Aussagen beim ersten Verhör gegenüber der Polizei. Wenn Angeklagte jedoch eine klare politische Haltung vor Gericht vertraten, wurde ihnen das im Urteil zum Nachteil ausgelegt. Das ist Gesinnungsjustiz.

Peter: Das Gericht nahm auf diese Praxis auch Bezug. Die Richterin meinte, wenn ich nicht kooperiere und keine Aussagen mache, sei dies ein Beweis, dass ich keine Reue zeige. Auch deswegen stellte sie mir eine schlecht Sozialprognose aus, die meine Strafe verschärfte. Das liegt total im Widerspruch zur Unschuldsvermutung. Aussageverweigerung ist ein fundamentales Recht in der Strafprozessordnung.

m*: Als in Bern im April 2018 tausend Menschen für den nordsyrischen Kanton Afrin demonstrieren, erstellte die Polizei massiv viel Bildmaterial. Damit wurden später 240 eingekesselte Leute angezeigt. Gibt es hier Parallelen zu BNF?

Peter: Durchaus. In Basel war auffällig, dass die Polizei am Anfang kaum vor Ort war – ausser auf dem Messeturm und an anderen Orten, von wo aus gefilmt wurde. Vieles war seltsam an jenem Tag. Nachdem es bereits in einem Quartier zu Auseinandersetzungen zwischen Antifaschist*innen und der PNOS gekommen war, schickte die angerückte Polizei die PNOS nach einer Kontrolle zum Messeplatz, also in die Arme von Antifas, die sich dort versammelten. Später stellt sich die Polizei in Vollmontur auf, tat lange nichts und brachte dann die Situation zum Eskalieren. Dazu gibt es auch Beweisaufnahmen von der Polizei selbst, die BNF zugespielt wurden.

Murat: Genau. Bereits am Morgen jenes Tages beobachtete und filmte die Polizei linke Treffpunkte in Basel. Ausserdem wirkte bei der Beweissicherung auch der kantonale Nachrichtendienst Fachgruppe 9 mit. Was de jure nicht legal war. Es ist nicht der Auftrag des Nachrichtendienstes, die Strafverfolgungsbehörden zu unterstützen. Dabei führten «Beweise» durch die Fachgruppe 9 auch zu Verurteilungen in Prozessen. Die Anwält*innen der Angeklagten konnten diese Beweismaterialien nicht anfechten, da sie der Geheimhaltung unterliegen.

m*: Es wirkt, als täten sich Staatsanwaltschaft, Polizei, Geheimdienste und auch die Richter*innen durch Übereifer hervor. Stimmt diese Wahrnehmung?

Peter: Die existierenden Aufnahmen der Polizeikommunikation vom Messeturm werden vor Gericht ignoriert. Und die Richterin hat bei ihrer Schlussrede den Gummischroteinsatz gutgeheissen, wohlwissend, dass es mehrere Schwerverletzte gab. Sie sagte, es spiele für sie keine Rolle, ob der Gummischroteinsatz der Ablenkung diente oder nicht. Der Protest hingegen wird kriminalisiert.

Murat: Die politische Motivation hinter der Repressionswelle ist offensichtlich. Linkspolitisch Aktive sollen eingeschüchtert, verunglimpft und die ganze Bewegung geschwächt werden. Die nächste Episode folgt bereits: Eine Versammlung vor der Staatsanwaltschaft Basel-Stadt im Juli 2020 wurde von der Polizei eingekesselt, auch hier zieht dies weitere Repression nach sich.

m*: Im Gegensatz zur Härte von Justiz, Politik und Polizei steht eure sehr erfolgreiche Solidaritätskampagne.

Peter: Sie wollten uns spalten und ruhigstellen, stattdessen ist die Solidarität stetig gewachsen. Immer mehr Menschen bekommen mit, was für Schauprozesse in Basel laufen. Immer mehr Geld fliesst in die Prozessführung und in den Aktivismus.

Murat: BNF ist nicht nur eine Verteidigung der Angeklagten, sondern will den Angriff durch die Repressionsbehörden nutzen, um die antifaschistische Bewegung zu stärken. Das scheint uns auch zu gelingen. Wir sind unter den Städten besser vernetzt und es stossen viele junge Leute zur Bewegung. Das ist sehr wichtig, denn der Rechtsruck in Europa, verbunden mit der Krise, ist brandgefährlich. Wir müssen uns dringend besser organisieren und stärker werden.

 

 *Namen geändert. Spendenmöglichkeiten und weitere Informationen zu den Verfahren finden sich unter baselnazifrei.info und 500k.ch sowie auf Instagram und Facebook.