Klimawandel Text: rex | Bild: rex

Der Traum vom klimaneutralen Fliegen

Unser Autor begab sich neulich auf eine längere Flugreise. Dies, obwohl er sich vor Jahren das Fliegen abgeschworen hatte. Während sein über Jahre sorgfältig gepflegtes Klimakarma sich unwiderruflich hinter ihm in Luft auflöst, verarbeitet er seine Flugscham mit Überlegungen zur Rolle vom Fliegen in unserer nach Klimaneutralität strebenden Gesellschaft.

Dröhnend belästigt die fliegende Sardinenbüchse mein Trommelfell, während mir eine Flugbegleiterin ein Plastiktablett mit kleinen Plastiktellern und -schüsseln, bedeckt mit noch mehr Plastik auf mein kleines, ausgeklapptes Plastiktischchen schiebt. Zu essen gibt es Curry mit Huhn dazu drei Stück Früchte, welche traurig wie ein Fruchtsalat anmuten: Eine vegetarische Option für mein Vegetarier-Dasein gibt es bei dieser Fluggesellschaft nicht, also esse ich wider Willen das Fleisch unter der Annahme, es werde sonst einfach weggeworfen.

Es erschreckt, wie beim Fliegen auch nebst den Emissionen des Düsenantriebs kaum auf Abfallminimierung und den sorgfältigen Umgang mit Ressourcen geachtet wird. Vom emissionsreichen Fleischmenu, übermässigen Essensresten bis zum massiven Verbrauch von Plastik (das lässt sich zwar rezyklieren, ist aber zuletzt auch fossilen Ursprungs).

1.47kg Abfall generiere ich bei so einem Langstreckenflug. So die Schätzung einer Untersuchung der internationalen Flugverkehrs-Vereinigung IATA. Zwar bemühen sich einige Länder um regulatorische Instrumente zur Minimierung von Abfall und darum, dass alles ordentlich getrennt und recycelt wird. Doch der grösste Anteil – rund 80% – sind Essensreste. Je nach Her- und Ankunftsland führen Vorschriften zur Einführung gebietsfremder Arten dazu, dass schonungslos alles in der Verbrennungsanlage landet: Flugreisen sind ein ressourcenintensives Unterfangen: Auf allen Ebenen.

 

Fliegen – Ein Privileg

Vor meinem Fenster vermischt ein Düsenantrieb Kerosin mit stark komprimierter Umgebungsluft, zündet es an und verwandelt den gebundenen, schweren Kohlenstoff (Kerosin) in gasförmiges Kohlenstoffdioxid, das berüchtigte CO2.

Das online frei zugängliche CO2 Berechnungswerkzeug von myclimate schätzt, dass meinethalben 6.4 Tonnen CO2-Equivalente emittiert wurden. Auf einen Nenner gebracht «kostet» der Hin- und Rückflug so viel CO2 bei einer Reise um die halbe Erdkugel. Damit übersteige ich das CO2-Budget, welches jedem Menschen bei vollkommen gleicher Verteilung zugute kommt, um mehr als ein Zehnfaches.

So betrachtet, stelle ich mir einige Fragen: Wer gibt mir die Erlaubnis, tonnenweise CO2 in die Atmosphäre zu schleudern? CO2, das sich nur wenig auf meine Lebensweise auswirken wird. Stattdessen schlagen sich sämtliche klimatische Störungen auf ärmere Bevölkerungsschichten nieder, welche dem Klimawandel viel stärker ausgesetzt sind als ich. Soll es­ – wie bisher – gerechtfertigt sein, ein derart ungerechtes und asymmetrisch-umweltschädliches Privileg zu nutzen? Gibt es Hoffnung, dass Fliegen irgendwann durch technischen Fortschritt klimaneutral wird? Oder müsste man mir das Privileg vom Flugreisen entziehen, um die Netto-Null Gesellschaft zu erreichen, zu der sich die Schweiz seit dem 18. Juni 2023 mit den Volks-Ja zur Gletscherinitiative bekannt hat?

 

Wie schadet Fliegen dem Klima?

Erst mal ist festzuhalten; wir fliegen so viel wie nie zuvor. Trotz dem schon längst bekannten Zusammenhang zwischen Flugreisen und Klimawandel bleibt der Trend steigend. Noch alarmierender: Die internationale Flugverkehr-Vereinigung IATA rechnet bis 2050 mit einer Verfünffachung der Passagier*innenzahl. 10 Billionen Menschen soll der Flugsektor dann verfrachten können.

Ungefähr 3.5% des menschgemachten Treibhauseffekts sind auf die Flugindustrie zurückzuführen. Das klingt erst mal nach wenig, allerdings wird erwartet, dass dieser Anteil steigen wird. Einerseits, weil sich der Flugsektor Jahr um Jahr (mit Ausnahme der Corona-Pandemiezeit) vergrösserte. Andererseits, weil der Treibhauseffekt eines Flugzeugs komplexer ist als der fossile Brennstoff in seinem Triebwerk.

Einem Bericht der Europäischen Agentur für Flugsicherheit zufolge sind rund zwei Drittel des vom Flugverkehr verursachten Klimawandels auf nicht-CO2 Quellen zurückzuführen. Nebst CO2, entsteht im Verbrennungsmotor nämlich auch Russ. In (un-)günstigen Bedingungen gefriert Wasser aus der Luft an diesen winzigen Russpartikeln und hinterlässt einen Kondensstreifen. Dieser ist ähnlich wie Treibhausgase auch fähig, die irdische Wärmeabstrahlung zu bündeln und auf die Erde zurückzuwerfen: Die Wärme bleibt in der Atmosphäre und die Energiebilanz der Erde ist gestört. Et voilà, menschgemachter Klimawandel.

 

Techno-Optimismus und Bio-Treibstoffe

Die bisher dominierende Ideologie zur Bewältigung des Klimawandels setzt auf Zukunftstechnologie, die irgendwann marktfähig wird und somit den Geschäftsalltag nicht ins Wanken bringt. So der neoliberale Traum; Der Markt regelt das schon. Wird diese Rechnung aufgehen?

Unter zunehmendem politischen Druck verpflichtete sich die internationale Luftverkehrs-Vereinigung im Oktober 2021 zur Klimaneutralität bis zum Jahr 2050. Ihr Plan: Ein klimaneutraler Treibstoff sowie effizienterer Flugverkehr sollen den vom Fliegen ausgehenden Treibhauseffekt um 92% reduzieren. Die restlichen acht Prozent, so der Plan der EU-Fluggemeinschaften, soll mit Negativ-Emissions-Technologien kompensiert werden, bei der CO2 wortwörtlich aus der Atmosphäre gesaugt wird.

Grosser Hoffnungsträger der Flugindustrie ist eine nachhaltig produzierte und russfreie Kerosin-Alternative. Unter dem Akronym SAF (sustainable aviation fuel) bemühen sich Fluggesellschaften einen klimaneutralen Treibstoff zu produzieren.

Zur nachhaltigen Produktion von Treibstoff gibt es zwei Varianten: Der SAF wird aus Pflanzen gewonnen, oder wird synthetisch hergestellt. Beide verbrennen ähnlich wie herkömmliches Kerosin zu CO2. Allerdings wachsen Pflanzen heran, indem sie atmosphärisches CO2 binden, womit gleichviel CO2 wieder frei wird, wie zuerst der Atmosphäre entnommen wurde. Der synthetisch produzierte SAF macht im Prinzip dasselbe, nur komplett künstlich. Mit Negativ-Emissions-Technologien wird CO2 chemisch aus der Luft gebunden. Anstatt dass dieser dann in den Boden gesteckt wird, soll er chemisch zu synthetischem Treibstoff umgewandelt werden.

In beiden Fällen wäre auch das Kondensstreifen-Problem unterbunden. Im Prinzip verbrennen diese Treibstoffe sauber und es entstehen keine Russpartikel.

Nun sind aber einige Bedenken einzuräumen: Beim pflanzlichen Treibstoff zeichnet sich sofort ein Landnutzungskonflikt ab. Die Landwirtschaft ist heute schon sehr stark belastet und steht vor grossen ökologischen Herausforderungen, soll sie doch gleichzeitig eine weiterhin wachsende Bevölkerungszahl ernähren und die negativen Folgen des Klimawandels verkraften können. Ausserdem wird dabei eine klimaneutrale Elektrizitätszufuhr vorausgesetzt, um Biomasse in Treibstoff zu verwandeln. Die synthetische Variante ist weitgehend noch Science-Fiction. Die Technologie existiert zwar bereits, allerdings ist es

1. sehr energieintensiv (setzt also gleich wie Biotreibstoff klimaneutraler Strom voraus),

2. wasserintensiver als fossiler Treibstoff (geht auf das Produktionsverfahren zurück)

3. im Vergleich zu fossilem Treibstoff insgesamt keine 50% klimaneutraler

4. und je nach Schätzung doppelt bis zehnmal so teuer wie fossiler Treibstoff.

 

Bis auf weiteres ist es günstiger den Treibhauseffekt vom Fliegen im CO2-Emissionshandel zu kompensieren (obwohl dessen Wirksamkeit zunehmend auch in Frage gestellt wird¹).

Zuletzt wird auch reiner Wasserstoff als Treibstoff geprüft. Damit dieser transportiert und im Düsenantrieb verbrannt werden kann, müssten aber sämtliche Flugzeuge in grossem Stil umgebaut werden.

Absehbar ist: Für beides, die wissenschaftliche Unsicherheit und fehlende Wirtschaftlichkeit klimaneutraler Treibstoffe als auch die Renovation der gesamten irdischen Flugzeugflotte bleibt keine Zeit

 

Klimaneutral Wachsen

Bei meiner Recherche zu diesem Thema entsteht zunehmend der Eindruck einer fieberhaft nach Lösungen suchenden Flugindustrie. Ihr Ziel ist es, Wachstum zu gewährleisten: 10 Millionen Passagier*innen bis 2050. Damit schneller geforscht wird, stecken Befürworter*innen ihre Hoffnung in künstliche Intelligenz, Machine Learning und anderen gegenwärtigen Tech-Schlagwörtern. Ihnen läuft die Zeit davon.

Demgegenüber schleicht sich eine ungemütliche Tatsache zwischen die Zeilen: Die Klimaneutralität wird nur erreicht, wenn weniger (oder zeitweise gar nicht mehr) geflogen wird; zumindest bis sich die Forschenden auf das korrekte Treibstoffgemisch einigen können, dessen klimaneutrale Herstellung gewährleistet ist, und die Entstehung von Kondensstreifen vollständig unterbunden wird. Zu diesem Schluss kommen in einem neuen Bericht Forschende am Paul Scherrer Institut und der ETH Zürich. Soll der Flugsektor vollständig klimaneutral werden und gleichzeitig wachsen können, wird einiges vorausgesetzt:

1. 100% synthetischer Treibstoff mittels Carbon Capture, einer heute unreifen und sehr teuren Technologie. (Bis zu 1.7 Gigatonnen CO2 müssten pro Jahr aus der Luft gefiltert werden, um genügend Treibstoff für die zuwachsende Flugzeugflotte herzustellen. Eine nüchterne Schätzung des Weltklimarats rechnet aber nur mit einer Kapazität von 5 Gigatonnen CO2 im Jahr 2050. Damit soll auch erst mal die atmosphärische CO2-Konzentration reduziert, und sollen nicht dreiwöchige Ausflüge privilegierter Europäer*innen nach Neuseeland kompensiert werden);

2. Technologische und ökonomische Effizienzsteigerung plus gesteigerte Ressourcenschonung im Flugzeug und bei der Treibstoffproduktion;

3. 100% klimaneutrale Stromversorgung, welche die stetig ansteigende Nachfrage auch aus anderen Sektoren zu decken vermag.

 

Übrigens setzt das alles eine konservative Schätzung für die schwer zu quantifizierenden klimatischen Effekten vom Flugverkehr voraus. Und natürlich ist das alles nur möglich unter Aufwand enormer finanzieller als auch natürlicher Ressourcen. Fest steht: Technologie, neoliberale Marktmechanismen und Naturwissenschaft allein vermögen es nicht, das Fliegen auf Kurs mit der Klimaneutralität zu bringen. Damit einher geht die politische Forderung: Es muss weniger geflogen werden. Wie genau das erreicht wird, und was das für uns Europäer:innen als Vielflieger:innen zu bedeuten hat, das erfährst du in Teil 2 von dieser Recherche, bald im megafon. Inzwischen steht für mich auf jeden Fall fest; eine solche Flugreise werde ich wahrscheinlich nicht so schnell wieder antreten.

Bis auf weiteres bleibt das klimaneutrale Fliegen ein Traum.

 

(1) Ein empfehlenswerter Beitrag dazu ist der dreiteilige Podcast von SRF News Plus Hintergründe «Klimahandel», welches den Emissionshandel unter die Lupe nimmt.