Geschlechterrollen Text: daf

Ein Abend im Salsatempel

Gemeinsam tanzen wirkt unverfänglich und ist eigentlich eine vergnügliche Angelegenheit. Ein genauer Blick hinter die Kulissen des geplanten Hüftschwungs deckt jedoch leider auch gesellschaftliche Machtverhältnisse und Diskriminierungsformen auf.

An einem kalten Dezemberabend nippen meine Kollegin N. und ich an einem heissen aber etwas zu süssem Glühwein. Wir plaudern an einem der zahlreichen Weihnachts-Pop-Ups in der Berner Innenstadt. Das Gespräch kreist um Paartanz und Erfahrungen mit Sexismus. Zugegeben, das sind nicht gerade die üblichsten Themen an einem vorweihnachtlichen Feierabend. Doch N. und ich – beide interessiert an karibischer Musik – haben uns schon oft gefragt, ob Paartanz okay sein kann. Immerhin reproduziert dieser doch viel «sexistische Kackscheisse». «Es ist schon komisch, dass fast ausschliesslich der Mann führt und die Frau* zum Tanz auffordert», sagt N. und ich stimme zu, weil ich das nur zu gut kenne. Ich erzähle: «Einmal tanzte ich mit einem Freund an einem Salsafest. Er führte, ich liess mich führen, wir genossen diesen Tanz. Aber die Blicke waren unangenehm und ich fühlte mich zunehmend unwohl in dieser Rolle und in dieser Situation.» Die Blicke der anwesenden Tänzer*innen haben mich taxiert. Mit Unverständnis wurde ich darauf angesprochen, wieso ich als Mann* mit einem anderen Mann* tanze. Es gäbe doch genügend Frauen* die warten müssten, dass sie aufgefordert würden, wies mich eine Frau* zurecht. «Das verstehe ich gut», meint N. «Ihr habt das ungeschriebene Gesetz gebrochen: Nur Hetero-Mann und Hetero-Frau tanzen zusammen.» Doch ein Gesetzesbruch hat unterschiedliche Konsequenzen. N. erinnert sich: «Wenn ich mit einer Freundin tanze, schauen uns Männer in einer Weise an, als würden wir für sie tanzen – irgendwie eklig. Leider aber auch nichts Neues. Viele Hetero-Männer finden ja auch im pornografischen Kontext Frau mit Frau okay, Mann mit Mann jedoch nicht, dies löst ein Unbehagen aus.» «Das hat wohl mit dem Patriarchat und dem Sexismus in unserer Gesellschaft zu tun», erwidere ich etwas besserwisserisch. «Was greift denn die Männer* an, wenn zwei Männer* miteinander tanzen und Spass haben?», fragt N. «Vielleicht ihre bedrohte Machtposition», antworte ich. «Sie glauben, dass sie diese verlieren könnten, wenn sie auch mit anderen Männern* tanzen würden und so ihren Alleinanspruch auf das Recht zu führen und Frauen* aufzufordern aufgeben würden.» Da ist es wieder, das homophobe Denkmuster, welches unsere Kultur durchzieht.

«Mueve la Cintura»

Ein paar Wochen vorher stehe ich an einem regnerischen Mittwochabend vor dem Eingang der Salsafiesta. Die Musik dringt dumpf durch die Ritzen der geschlossenen Tür. Ich trete ein. Eine Frau* wechselt ihre Schuhe, von Sneakers zu Tanzschuhen mit Absatz. Am breitschultrigen Türsteher vorbei gelange ich direkt in den offenen Raum mit vielen farbigen Lichtern, die mich an Discofilme erinnern. Saturday Night Ahoi! Der Raum füllt sich mit tanzenden Menschen – immer zu zweit. An der Seite hat es Bänke, hinten im Raum eine lange Bar. Ich schlängle mich an den tanzenden Paaren vorbei, lasse das Geschehen auf mich wirken. Einige Männer* sind mit Hemd, Lederschuhen und aufdringlich süssem Parfüm gerüstet. Andere tragen Trainerhosen, Sneakers und Tigerbalsam. Auch bei den Frauen* ist die Garderobe divers: Von Kleid und Highheels bis Jeans und «Tanzschläppli» ist alles dabei. Die Frauen* bewegen sich elegant und lachen, die Männer* auch lächelnd, jedoch konzentriert auf die Drehungen und Figuren, welche sie mit ihren Händen führen. Auch der Hüftschwung fesselt meine Aufmerksamkeit: Jeder Körper bewegt sich zur gleichen Musik anders – einige wirken sehr entspannt, andere etwas weniger. Auffallend viele, eher ältere Männer* tanzen mit eher jungen Frauen*, welche mit dem Tanzen erst kürzlich begonnen haben. Das Gegenteil sehe ich kaum. Es wirkt, als hätten fast alle Spass. Doch auch hier beobachte ich Menschen, die am Rand stehen und denen die Teilnahme schwieriger fällt – wie auch sonst in der Gesellschaft.

Aufmerksamkeit und Selbstvertrauen

Einige Männer* und Frauen* stehen alleine im Raum und wirken etwas verloren. Der Kontrast zwischen ihnen und den vor Lebensfreude strotzenden Tanzpaaren ist gross. Beim Salsafest ist der Übergang von Lied zu Lied wichtig. Denn der DJ liefert keine fliessenden Übergänge, sondern macht eine Sekunde Pause. Zeit, um neue Paare zu bilden. Männer* suchen den Blickkontakt und fordern Frauen* auf: «Darf ich bitten», «Weimer tanzä», «Hiufsch tanzä». Alles vorbereitete Sätzchen, die sich an Frauen* richten, mit dem Ziel, die nächsten Minuten tanzend miteinander zu verbringen. Einige überspringen diese Höflichkeit und nehmen einfach die Hand der Frau* und ziehen sie in einer Selbstverständlichkeit auf die Tanzfläche, als hätte sie den ganzen Abend auf diesen Moment gewartet. Aber nicht alle finden jemanden. Einige schauen sich um, gehen ein paar Schritte, doch sie fragen niemanden. Das Lied beginnt und sie warten weiter. So ist es immer. Auch in der kalten Dezembernacht. «Auch Frauen* warten und werden nicht aufgefordert», verrät mir N. «Manchmal einen ganzen Abend lang. Meist sind es etwas ältere Frauen*. Sie kennen nicht so viele Leute oder fallen aus dem engen Raster des gängigen Schönheitsideals.» Im Salsa materialisiert sich die Metapher des «am Rande Stehens». Je länger ein Mensch am Rand steht und darauf wartet, jemanden aufzufordern oder aufgefordert zu werden, desto schwieriger wird es, sich wieder einzugliedern und Teil des Festes zu werden. So verschlimmert sich die Situation, die Ausgrenzung nimmt zu. Denn hier wird nicht mit Geld bezahlt, sondern mit Aufmerksamkeit und demonstriertem Selbstbewusstsein – das wiederum wächst, je mehr Aufmerksamkeit die Person erhält.

Bei der Diskriminierung ertappt

Dagegen tanzen die etwas aufdringlicheren und offensiv agierenden Männer* fast immer. Gewisse Menschen fallen auf. Manche von ihnen tanzen sehr gut und entsprechen unserem Klischee von Salsatänzer*innen. So ertappen wir uns auch selbst bei der rassistischen Zuschreibung. Gleichzeitig können gerade Menschen, die im Alltag aufgrund ihrer Herkunft diskriminiert werden, an Salsapartys aus dem gleichen Grund Anerkennung erfahren. So funktionieren die «positiven» Formen von Rassismus. Wir sagen manchen People of Color aufgrund ihrer Hautfarbe, ihrer Sprache oder ihrer Herkunft besondere Talente nach. Der soziale Raum der Salsaparty ist nicht weniger auf Status und Äusserlichkeiten bedacht als die restliche Gesellschaft. Einzig Besitz und Einkommen spielen hier eine weniger grosse Rolle, um sich als begehrenswerte Person zu inszenieren, die Spass hat und mit der getanzt werden will. Manche entlastet diese kleine Werteverschiebung, andere leiden darunter. Die Salsaszene zeigt in komprimierter Form die gesellschaftlichen Machtverhältnisse. Besonders die Geschlechterrollen werden hier – durch die Rollen, welche der Paartanz vorgibt – noch klarer markiert und reproduziert. «Die klare Rollenverteilung legitimiert Sexismus und macht ihn explizit», meint N. und schlürft an ihrem Glühwein. «Aber hier sind Männer* und Frauen* auch nicht mehr oder weniger sexistisch als anderswo, es drückt sich nur anders aus.» Ich frage mich, wie wir diese Normen ändern können? «Schwierige Frage», sagt N. zögerlich. «Vielleicht indem wir unsere Rollen immer wieder wechseln. Mal führt der eine, mal die andere. Mal tanzen Männer zusammen, mal Frauen. » Das wäre sicherlich ein Ansatz. Dazu bräuchte es auch die Bereitschaft der dominierenden Männer, ihre Privilegien und Denkmuster zu hinterfragen. Und es bräuchte den Mut der Frauen sich nicht den Normen zu fügen. «Wenn Paartanz auf Konsens beruht, kann es doch auch spannend sein, sich in verschiedene Rollen zu begeben und auszuprobieren», sagt N. «Stimmt», denke ich. Die Tanzwelt bietet dir die Möglichkeit, dich neu zu erfinden. Doch dann fallen mir wieder die Menschen ein, die den ganzen Abend am Rand stehen und ohne Tanz nach Hause gehen. Das mit dem «neu erfinden» scheint doch übertrieben zu sein: Die klar vorgegeben Rollenverteilung bietet nur begrenzt die Möglichkeit, experimentierfreudig zu sein. Schlussendlich bleibt denen der Zugang verwehrt, die sich nicht einfügen können oder wollen. Und somit können nicht alle gleich am System teilhaben.