Dating-Apps Text: pal | Bild: Julia Trachsel

Digitalisierter Dating Supermarkt

Menschen, die zur Ware der Liebe gemacht werden. Die Probleme von Dating-Apps liegen auf der Hand, weshalb üben sie trotzdem eine solche Faszination aus?

«Ein typischer Tindertag. Horny den Nächstbesten angeschrieben, der ohne unangenehme fragen mein Feierabendsnack werden sollte. Keine Phrasen, die ich eh nicht so meine, reine oberflächliche Interessen. Das was ich preisgeben will, soll lediglich dem Zweck des Treffens dienen. Kurz: Ich bin die Unkompliziertheit in Person. Ich bin schon auf dem Weg zu ihm, da kriegt die Blitzbirne trotzdem ein schlechtes Gewissen wegen seiner festen Freundin. Betrogen habe er schon mehrmals, aber es würde halt schon etwas an seinem Ego kratzen, wenn er deswegen keine Topperformance hinlegen könne, deswegen sei er grad unschlüssig.» Ich werf’ mein iPhone gegen die Tramscheibe. Du kleines Arschloch. Erkläre ihm, dass das nicht so nice ist und er sich doch bitte mit seiner Freundin aussprechen soll, während ich mich durch mein Archiv an Matches durchwühle. Naja, horny bin ich halt immer noch. Jemand schreibt in angemessenem Tempo zurück und ich frage direkt, ob er heute Abend Zeit hat, blocke Fragen zu meiner Person geschickt ab. Wieso Unverbindlichkeit Wunschdenken vieler, aber Tatsache weniger bleibt, weiss ich nicht. Könnte mein iPhone das zweite mal am heutigen Tag wegwerfen. Tu es nur deshalb nicht, weil ich diesmal zumindest ansatzweise bekommen könnte, was ich will. Ich nach Ostermundigen, er holt mich am Bahnhof ab, sein Zimmer könnte nicht offensichtlicher frisch aufgeräumt und gestaubsaugt sein. Ich lächle, finde ihn sympathischer als gedacht und so haben wir auch einige Gesprächsthemen, bis ich endlich seinen Körper auf mir spüre. Er ist vorsichtig, auch wenn ich ihm klar mache, dass er gerne etwas weiter gehen kann, er scheint’s zu geniessen, ziemlich cute wie er seine Gesichtszüge nicht unter Kontrolle hat. Unbemerkt kommt er, find ich halt sehr verwirrend jeweils, aber item. Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass ich’s noch nach Hause schaffen könnte, da bietet er mir Trainerhosen an, die ich schlecht ablehnen kann. Sitzend, rauchend am Boden, schau ich ihm zu, wie ihm die Augen zufallen und passe auf, dass er sein Bett nicht abfackelt mit seiner Zigi in der Hand. Cute. Er steht auf, steht am Lichtschalter und mir wird klar, ich werde heute hier pennen, aight. Licht aus, unter der Decke, da komm auch ich auf meine Kosten. Ein Kuschler! Aus Kuscheln wird eine etwas bessere Runde zwei, nach der wir ernsthaft beabsichtigen, ins Land der Träume zu reisen. Also erst, nachdem er mit jeweils zwei von jeder Sorte Schoggi- und Vanillepudding seinen Chlatschhunger bedient. Er kuschelt echt gut, mein Herz geht etwas auf. Vielleicht zu sehr, denn im Traumland hat er sich schon eingeschlichen. Ich versorge den Traum deshalb in der Albtraumschublade. Am nächsten Tag verabschiede ich mich früh, zufrieden, denn ich wurde eine Nacht lang festgehalten.»

 

«Tinder», «Her», «OkCupid», «Grindr». Heisst so die Zukunft der Partner*innensuche? Für jene, die nichts mit diesen lüpfigen Wörtern anfangen können: Das sind die Namen einiger der gängigsten Dating- Apps. Sie funktionieren ähnlich wie Online Shopping, nur, dass es eben nicht um Kleidung oder Haushaltsbedarf geht, sondern um Menschen. Die Währung ist nicht Geld, sondern Aufmerksamkeit und Interesse. Bei Tinder handelt es sich dabei zum Beispiel um ein paar Fotos und eine kleine Beschreibung. Gefällt dir, was du sieht und liest, likest du die betreffende Person. Liken sich zwei Nutzer*innen gegenseitig, gibt es einen «Match». Danach wird gechattet, was das Zeug hält, oder eben auch nicht, je nachdem, wie passend der Match wirklich ist. Sollte die Unterhaltung so gut sein, dass es sich lohnen würde, sie im analogen Leben weiterzuführen, wird ein Treffen vereinbart. Ab dann kann so gut wie alles passieren. Oder eben nichts.

«Ih ha mr, während dr lockdown isch gsi, Tinder
abeglade. Ha huere viu chatted und täglich paar
Stunge mit swipe uh so verbracht. Aber wos de wieder
möglich gsi wär, sich in ächt ds träffä hani mi
irgendwie huere nümm drfür gha. I gloube ds isch
so chly ds problem a dene apps, ds me zerst so huere
offensiv uh cool uh lustig isch, aber de när ke muet
hed, e person wück ds träffä.»

Dating ist, wenn sich zwei (oder mehr) Menschen treffen, um herauszufinden, ob sie für eine romantische und oder sexuelle Beziehung kompatibel sind. Auch im echten Leben nimmt dieser Prozess meistens einen oberflächlichen Anfang, indem wir halt die* hübscheste aller Barkeeper*innen ansprechen. Oder den Typen* in der Migros mit dem knackigsten Hintern aller Einkaufenden. Wie auch immer, meistens wissen wir in dem Augenblick nicht viel mehr, als dass die Person hübsch ist oder einen knackigen Hintern hat. Um andere Facetten dieser möglichen Partner*in kennenzulernen, ist ein erstes Treffen notwendig. Sollte sich dann herausstellen, dass der Typ* mit dem knackigen Hintern extrem langweilig ist oder die* Barkeeperin einen furchtbaren Musikgeschmack hat, war der ganze Aufwand für nichts.

Menschen werden zur Ware gemacht

Zusammen mit der Digitalisierung des Datings fand auch eine Effizienzsteigerung statt. Bereits beim ersten Blick über das Profil können – wie beim analogen Dating – äusserliche Eigenschaften, wie Aussehen oder Kleidungsstil, ausgemacht werden. Dazu kommt jedoch, dass viele Nutzer* innen eine persönliche Beschreibung abgeben. Sie zählen auf, womit sie ihre Zeit verbringen, wo sie arbeiten oder was sie studieren oder sie teilen ihre Lieblingssongs. Somit kann schon vor der ersten Kontaktaufnahme ein gewisses Aussortieren stattfinden.

Was Online-Dating zudem effizienter als traditionelles macht: Die Auswahl an potentiellen Partner*innen ist zahlreicher und der Akt der Kontaktaufnahme einfacher, da er im Normalfall von allen Beteiligten gewünscht wird. Oft wird den Dating-Apps Oberflächlichkeit vorgeworfen. Dabei gilt dies eigentlich ja auch für herkömmliches Dating. Wirklich vorzuwerfen ist den Apps viel eher diese wachsende Effizienz, die Dating zu etwas Kommerziellem und Kapitalistischem zu machen scheint.

«Ih ha mr, während dr lockdown isch gsi, Tinder
abeglade. Ha huere viu chatted und täglich paar
Stunge mit swipe uh so verbracht. Aber wos de wieder
möglich gsi wär, sich in ächt ds träffä hani mi
irgendwie huere nümm drfür gha. I gloube ds isch
so chly ds problem a dene apps, ds me zerst so huere
offensiv uh cool uh lustig isch, aber de när ke muet
hed, e person wück ds träffä.»

Vielleicht gerade deswegen fühlt sich Online–Dating oft an, als ob mensch shoppen würde. «Nein. Ja. Nein. Ja. Mist, die*den wollte ich eigentlich liken, naja egal.» So in etwa hört sich der innere Monolog beim sogenannten «Tindern» an. Fast so, wie wenn wir Kleiderstangen nach coolen Teilen durchforsten. Auf dem digitalisierten Dating-Supermarkt ein Profil nach links zu wischen heisst nein, nach rechts heisst ja, also liken. So fühlt sich das Ganze mit der Zeit an, als wären die Menschen hinter den Profilen eine Ware.

Diese Kommodifizierung des Datings – wenn Menschen zur blossen Ware gemacht werden – kommt auch zum Vorschein, wenn wir uns die sogenannten «In-App-Käufe» genauer ansehen. Menschen, denen es ein paar Franken wert ist, können sich damit zusätzliche Funktionen freischalten. Zum Beispiel das Herumstöbern auf dem weltweiten Datingmarkt, wodurch sich die Chancen auf «bessere Ware» steigern lassen. Oder unlimitierte «Superlikes», mit denen das eigene Profil bei der «gesuperlikten» Person auffälliger erscheint und damit die Wahrscheinlichkeit für einen Match erhöht.

«Gross für Romantik und Liebe hat’s bei mir bis jetzt
nicht gereicht. Habe allerdings auf Tinder meinen
jetzigen Mitbewohner kennengelernt, einen Beamer
ersteigert und ein, zwei Dudes* auf feuchtfröhliche
Nächte eingeladen.»

Das Problem: Mit dem Geld entsteht eine Ungleichheit. Und: Oft sind es weisse, ältere cis-Männer, die sich die zusätzlichen Funktionen freikaufen und dann beispielsweise mit Superlikes um sich werfen. Das unterbindet die Chance, dem „traditionellen“, sexistischen, heteronormativen Dating- Rollenbild vom Mann* als Jäger und der Frau* als Gejagte entgegenzuwirken.

Trotzdem hat digitales Dating in dieser Hinsicht auch schöne Seiten: Mit wenigen Klicks lässt sich eine aufdringliche oder unangenehme Person problemlos löschen oder melden, was im echten Leben oftmals nicht geht oder viel aufwendiger ist.

Warum tun wir uns das an?

Bis auf einige kleinere Apps wie «Grindr» oder «Her» beruht Online-Dating meistens auf einer binären Vorstellung von Geschlecht. Das ist nicht einfach schlichtweg falsch, sondern auch extrem diskriminierend. Beispielsweise können sich die User*innen auf Tinder nur zwischen männlich oder weiblich entscheiden – sowohl beim eigenen Geschlecht als auch bei der romantischen oder sexuellen Orientierung.

Da stellt sich die Frage, wieso solche Apps trotzdem so beliebt sind. Vor allem junge Menschen – auch aus der linken Szene – benutzen sie, obwohl sie sich wahrscheinlich den Problemen bewusst sind. Wieso?

Dank Tinder und Co. kann zum Beispiel die Hürde übersprungen werden, die das Ansprechen von potentiellen Partner*innen in «freier Wildbahn» oft mit sich bringt. Zudem besteht durch das aktive Liken beider Parteien bereits gegenseitige Zustimmung zur Kontaktaufnahme. Ein ausgeklügeltes Profil bietet darüber hinaus bereits einige Anhaltspunkte für einen Gesprächsanfang. Und: Der schriftliche Chat macht den Einstieg einfacher. Wir haben Zeit, unsere Antworten zu formulieren und müssen dafür vielleicht durch den Abstand, der durch die Virtualität entsteht, etwas weniger Mut aufbringen.

«Ich finde die Couple-profile voll scheisse. Da steht
dann so «she: pretty and adventurous. he: tall and
strong. we are looking for a girl to join a threesome
». Die sind dann immer als Frau angemeldet
unterwegs und suchen nach Frauen, die auf Frauen
stehen. Die fetischisieren damit meine sexuelle
Orientierung! Ich melde solche Profile immer gleich,
oder mach’ mir noch einen Spass daraus, sie zu
verarschen..»

Gleichzeitig sind Dating–Apps nebst herkömmlichen sozialen Netzwerken eine weitere Plattform, wo wir uns selber inszenieren können. Das bereitet vielen User*innen Spass. Vor allem, weil hier manchmal mehr als nur ein «Gefällt mir» herausspringt. Auf Tinder und Co. müssen wir uns auch keine Sorgen machen, dass der Papa oder die Freundin der Tante, die sich heutzutage auch auf Instagram und Co. rumtummeln, das neuste, heisse Suff-Foto sehen werden. Die Apps bieten darüber hinaus auch Platz für unkonventionelles Dating. Sie normalisieren die Vorstellung mehrerer paralleler Partner*innen und unterschiedlichen Beziehungsbildern. Auch Menschen mit ganz spezifischen Vorlieben wird durch Dating-Apps die Suche nach Gleichgesinnten erleichtert. Vielleicht steht der Typ* mit dem Knackarsch ja auch auf Latex-Spiele – doch in der Migros merkst du das wahrscheinlich nicht.

Das Problem an Dating-Apps ist nicht zwingend die Digitalisierung. Sie können einen Heidenspass bieten. Sie erleichtern vielen Menschen das Kennenlernen. Manchmal springt wenigstens ein Lacher dabei heraus. Das Problem ist viel eher die gängige Vorstellung von Dating an sich.