Palästina Demo Text: leo | Bild: rex

Bern for Palestine – Solidarität aus Notwendigkeit

Das Kollektiv «Bern for Palestine» hat am 04.11. zur Nationalen Palästina Demonstration aufgerufen. Mitte November ordnen drei Aktivist*innen die Demo und den medialen Diskurs dazu ein.

Wer seid ihr und welche Rolle habt ihr bei der Organisation der Demo gespielt?

Noel: Wir sprechen im Namen des neu gegründeten Kollektivs Bern for Palestine. Bern vor Palestine ist ein diverser Zusammenschluss von verschiedensten Aktivist*innen aus verschiedenen Hintergründen. Angesichts des sich vollziehenden Genozides(1), welcher bisher über 11000 Tote forderte, vereint uns die Notwendigkeit und Dringlichkeit, Solidaritätsarbeit zu Palästina zu leisten. Als Kollektiv haben wir uns auf gewisse Grundsätze geeinigt. Der aktuellen Situation entsprechend sind unsere dringlichsten Forderungen ein sofortiger Waffenstillstand, ein Ende der Blockade von Gaza und damit einhergehend ein Ende des Genozids. Die Gewalt, die jetzt seit dem 07. Oktober herrscht, ordnen wir in einen grösseren Kontext ein, nämlich in einen Kontext von zionistischem Siedlerkolonialismus, welcher seit über 75 Jahren besteht. Die Staatsgründung Israels war da ein wichtiger Meilenstein und ging einher mit der Massenvertreibung von über 750000 Indigenen Palästinenser*innen. Aufgrund dieser Analyse, dieses Kontextes und der dringlichen Situation, in welcher wir uns befinden, haben wir uns zusammengefunden und zur nationalen Demo in Bern aufgerufen. Diesem Aufruf folgten fast sechzig Organisationen, welche unabdingbare Mitarbeit leisteten in der Organisation wie auch in der Durchführung.

Was hat euch dazu bewegt, die Demo zu organisieren?

Abude: Uns war es wichtig, Solidarität mit der Palästinensischen Bevölkerung auszudrücken. In den Forderungen der Demo wollten wir auch auf die grundsätzlich prekäre Lage hinweisen, in welcher Palästinenser*innen leben, nicht nur in Gaza. Sondern auch in Ostjerusalem, im Westjordanland und in Israel selbst, wo sie mit Menschenrechtsverletzungen konfrontiert sind.

Hat sich seit der Demo in der Schweiz etwas verändert?

Naya: Was sich für uns seit der Demo verändert hat, ist dass sich fast 60 Organisationen zusammengetan haben. Das ist für uns etwas Positives. Dass wir eine Solidaritätsbewegung zustande gebracht haben. Gleichzeitig hat diese Demonstration und auch wie die Medien über diese Demonstration berichtet haben, ausgelöst, dass es jetzt bis Ende Jahr zu einem Demonstrationsverbot kommt. In diesem werden ganz klar auch propalästinensische Demos genannt. Das ist für uns ein neues Ausmass der Repression.

Wie erlebt ihr den Umgang der Medien in der Schweiz in Bezug auf die anhaltende Gewalt in Palästina und Israel?

Noel: Das ist natürlich eine sehr grosse Frage. Ich möchte zuerst sagen, dass ich es mir nicht anmassen würde, den ganzen medialen Diskurs in der Schweiz im Überblick zu haben. Ich habe ihn aber aktiv mitverfolgt. Was mir da als erstes auffällt, ist dass schon eine sehr starke Einseitigkeit herrscht und eine Dehumanisierung von palästinensischem Leben stattfindet. Meiner Ansicht nach werden fundierte Kritiken am Staat Israel, die auf detaillierten Analysen basieren, als reine Behauptung dargestellt. Währenddessen werden prozionistische israelische Positionen relativ unkritisch übernommen und vertreten. Der Start der aktuellen Gewalt wird im 07. Oktober gesucht und meistens fehlt die Kontextualisierung. Hier ein extremes Beispiel: In der Sendung Sternstunde Philosophie von SRF wurde das Verzichten auf Kontext als aufgeklärte Haltung stilisiert. Die Moderator*innen von Sternstunde Philosophie vertreten die Haltung, dass da keine Kontextualisierung angebracht sei. Ich würde das zurückweisen, weil ich sagen würde, dass die Medien da nicht keine Kontextualisierung machen, sondern eine sehr verkürzte. Sie beziehen die aktuelle Situation auf den 07. Oktober und weil es dann in diesem verkürzten Rahmen einfach als ein Angriff von palästinensischer Seite betrachtet werden kann, wird die Reaktion Israels als «Recht auf Selbstverteidigung» geframed.

Noch ein genereller Hinweis zu den Medien: Ein Punkt ist mir aufgefallen, den ich sehr zentral finde; den Umgang mit Antisemitismus. Aktuell ist das so ein zentraler Punkt in den Medien. Auch im Framing der palästinensischen Solidarität. Da möchte ich zuerst ganz klar sagen, dass wir die Position vertreten, dass Antisemitismus ein existierendes, und höchst relevantes Problem in unserer Gesellschaft ist. Antisemitismus gilt es zu bekämpfen. Im aktuellen Diskurs werden aber antizionistische und antisemitische Haltungen miteinander vermischt. Während sich Antizionismus auf eine Fundamentalkritik am israelischen Staat bezieht, bezieht sich Antisemitismus auf Diskriminierung gegenüber jüdischen Menschen, aufgrund ihrer jüdischen Identität. Es ist elementar in diesem Diskurs, dass diese Positionen auseinandergenommen werden. Eine Vermischung ist erstens sehr gefährlich für palästinensisches Leben, zweitens ist es auch gefährlich für eine ernsthafte und notwendige Auseinandersetzung mit Antisemitismus in der Schweiz.

Wie erlebt ihr den Umgang der Medien in der Schweiz in Bezug auf die Palästina Demonstration vom 04. November?

Naya: Die Berichterstattung zur Demo ist nicht etwas Neues und darum auch nicht überraschend. Trotzdem waren wir recht schockiert. Wir wurden als islamistisch, als instrumentalisiert von der Muslimbruderschaft und die ganze Demonstration als antisemitisch bezeichnet. Das, obwohl unsere Hauptforderung war, dass wir einen Waffenstillstand wollen, und zwar sofort.

Noch etwas zu Rassismus: In den Medien stand häufig, wie die Leute an den Demos aussehen. Frauen mit Kopftüchern, arabische Nationalisten. Ich weiss nicht, wie man die erkennt, wenn man einfach in die Demo schaut. Ich würde da sagen: Das ist ein enorm rassistisches Framework, welches auch dazu dient, abzustempeln. Es nimmt der Bevölkerung of color in der Schweiz ihre politischen Positionen, welche nicht als valid gesehen werden, sondern an sich direkt als gewaltvoll.

Während der Demonstration habt ihr euch gegen Diskriminierung jeglicher Art, explizit auch Antisemitismus, positioniert. Trotzdem wird die Demo vom Bund als «antisemitischer Protest» bezeichnet.

Naya: Also ja, das ist eine utopische Vorstellung, eine Demo ohne Diskriminierungsformen. Aber es ist ein Wert, den wir vertreten wollen. Dieser Vorwurf, spezifisch vom Bund, ist sehr symbolisch für den generellen Umgang mit der Demo aber auch mit propalästinensischen Positionen. Einerseits, weil dadurch nicht über den Genozid gesprochen werden kann und anderseits, weil eine ernsthafte Auseinandersetzung mit Antisemitismus so nicht möglich ist.

Ist es während der Demo tatsächlich zu antisemitischen Handlungen oder Äusserungen gekommen und falls ja, wie seid ihr damit umgegangen?

Noel: Da würde ich zuerst anmerken, dass es eine riesige Demo war mit über 7000 Leuten und wir haben natürlich nicht über jede einzelne Person Kontrolle, die diese Demo besucht. Es ist sicher auch nicht eine homogene Masse und wir haben unsere Augen und Ohren nicht an jedem Ort. Daher können wir nur von dem berichten, was uns bekannt ist. Es wurde ein Plakat hochgehalten, auf welchem ein Hakenkreuz war. Dieses Plakat macht einen völlig geschmackslosen Vergleich (auf dem Plakat wird Gaza mit dem Konzentrationslager Auschwitz verglichen). Für uns war klar, dass wir auf keine Art und Weise ein Hakenkreuz an unserer Demo dulden, unabhängig vom Kontext. Deshalb haben wir die Person auch darauf hingewiesen und das Plakat eingezogen. Genau dieses spezifische Plakat wurde dann, auch vom Bund, als Evidenz instrumentalisiert, um zu zeigen «Schau, die ganze Demo war antisemitisch», ohne zu beschreiben, um was für ein Plakat es sich tatsächlich gehandelt hat.

Als Beispiel des Antisemitismus wird häufig der Slogan «From the River to the Sea, Palestine will be Free» genannt. Dieser spreche Israel das Existenzrecht ab.

Abude: Wir verstehen den Slogan fundamental anders. Der Slogan weist auf die Unterdrückung und Fragmentierung der palästinensischen Bevölkerung und des palästinensischen Widerstands im ganzen historischen Palästina hin. Man muss ihn vor dem Hintergrund betrachten, dass in allen Gebieten, also Gaza, Israel, Ostjerusalem und Westjordanland, Palästinenser*innen andere Rechte haben als jüdische Israelis.

Viele wünschen sich momentan ein Ende der Gewalt, sowohl kurz- als auch langfristig. Wo seht ihr Ansatzpunkte?

Abude: Kurzfristig ganz klar ein Waffenstillstand, ein Ende der Blockade und damit einhergehend das Ende des Genozids. Damit die Gewalt langfristig aufhören und sich nicht wiederholen kann, muss die Ursache dieser Gewalt angegangen werden. Wir sehen die Ursache der Gewalt im Apartheidregime (2), in der Besatzung, in der systematischen Unterdrückung der palästinensischen Bevölkerung. Bevor diese Dinge nicht behoben sind, bevor alle Menschen die gleichen Rechte haben und in Freiheit leben können, kann keine langfristige Lösung gefunden werden. Es gibt Stimmen aus der israelischen Regierung, welche bezüglich der aktuellen Situation die Analyse hervorbringen, dass Israel den Genozid, die Bombardierung von Gaza wahrscheinlich noch zwei bis drei Wochen wird fortsetzen können, bevor der Druck der internationalen Gemeinschaft zu gross wird und sie damit aufhören müssen. Das zeigt, wie wichtig der Einsatz der internationalen Gemeinschaft in dieser Frage ist. Es ist klar, dass der Fokus im Moment darauf liegen muss, dass keine Leute mehr sterben und dass der Genozid aufhört, aber man muss sich trotzdem immer bewusst sein, dass sich Gewalteskalationen immer wieder wiederholen werden, solange sich die Siedlungspolitik und das Apartheidregime nicht ändern.

 

(1) Bern for Palestine bezieht sich in der Benutzung des Begriffs «Genozid» sowohl auf den Menschenrechtsexperten und hochrangigen Vertreter des UN-Hochkommissariats Craig Mokhiber als auch auf den israelischen Genozidforscher Raz Segal. Beide sprechen von einem «Textbook case of Genocide».

(2) Mit dem Begriff «Apartheidregime» bezieht sich Bern for Palestine auf die Berichte von Amnesty International, Human Rights Watch, B’Tselem und des UN-Sonderberichtes.