Literarische Text: jIl | Bild: seraina

Des Försters Kind

Als einmal schien der Mond ganz klar, da passierte, was war wunderbar. Ein Kindlein kam auf diese Welt und machte glücklich sein Umfeld. Es war das Försterliebespaar, das in dieser Nacht ein Kind gebar. Sie lebten tief im dunklen Wald, in einer Hütte, krumm und alt. Das Mädchen, das das Licht erblickte, tauften sie Tina-Brigitte. Die Kleine hatte dunkles Haar und ein so hübsches Augenpaar. Ihre Eltern waren stolz auf sich, küssten deshalb feierlich. Die kleine Familie schlief bald ein, denn sie konnte nur noch müde sein.

Die nächsten Jahre waren wunderbar. Es schien, als würden alle Träume wahr. Die kleine Tina tollte rum und lachte sich auch manchmal krumm. Sie war sehr wohl ein fröhliches Kind, ihr Vater nannte sie gern Wirbelwind. Tina ging oft zur Arbeit mit und schaute, wie der Förster Holz zerschnitt. Manchmal durfte sie halten den Keil, wenn er fällte mit seinem Beil. Schon bald wurde dies zum feierlichen Brauch und sie kannte im Wald jeden noch so kleinen Strauch. Sie spielte, sang und schlich herum, ein Wesen mit viel Kraft und Mumm. Als Tina wurde zehn Jahre alt, bekam sie eine Tasche mit neuem Inhalt. Ein Heft, ein Stift, ein Mathebuch und zuletzt ein schickes Halstuch. «Du wirst bald in die Schule gehen und dort, hoffen wir, viel Neues lernen!», sagten die Eltern zu ihrem Kind und Tina fragte jubelnd, wann sie beginnt. Das werde schon in drei Tagen sein und pünktlich solle sie dort erschein. «Ich freu mich so unendlich drauf, dass ich fast vor Glück zerlauf! Ich dank euch Lieben tausendmal, für diese Chance und auch den Schal.» Und so ging Tina nun zur Schule, in den Wald kehrte bald etwas Ruhe.

Vom allerersten Tage an, zog die Schule Tina in den Bann. Sie hatte alle Fächer gern und wollte umso mehr noch lern. Die anderen Kinder mochten sie sehr und hüpften mit ihr auf dem Hof umher. Eines Tages aber, kam eine Überraschung, die Tina brachte aus der Fassung. Ihr Körper denn, veränderte sich, das Kindliche an ihm entwich. Zuerst bemerkte sie es an den Haaren, die wuchsen am ganzen Körper in Scharen. Die Stacheln wuchsen hinterher, für Tina war dies zu sehen schwer. Und bald schon kamen lange Krallen, die liessen sie ein wenig bangen. Sie erzählte der Mutter von dieser Sache und was es mit ihren Gedanken mache. Doch die Mutter erklärte ihr beruhigend, das sei normal, das sei die Jugend. Nach dem kurzen Gespräch mit ihrer Mutter, war Tina bald schon wieder munter. Sie mochte ihren Körper so und war darüber sogar froh. Nun war sie sehr stark mit diesen Krallen, daran fand sie bereits Gefallen. Auch Ähnlichkeit mit einem Igel, sah sie, guckend in den Spiegel. Das Mädchen fühlte sich damit jetzt glücklich und lebte weiterhin so friedlich. Doch so sollte es nicht sein, machte es bald allen Anschein. Die anderen Kinder aus der Schule, beschimpften sie als Sündenpfuhle. Sie sei so komisch und so hässlich, widerwertig und auch grässlich. «Du bist ja weder Mensch noch Tier, so spielen wir nicht mehr mit dir!». Tina rannte ohne Pause weinend zurück in ihr Zuhause. «Mutter, Mutter sag mir dies, damit ich mich fühle nicht mehr mies. Haben die Kinder etwa Recht, bin ich wirklich so unglaublich schlecht?» Die Mutter war ab diesen Worten erschrocken, doch wollte ihre Tochter ins Beruhigen locken. «Nicht jeder Mensch schaut ganz gleich aus, die einen fein, die andern zaus. Du bist doch so sehr wunderschön, lass dich von denen nicht verhöhn.» Die Eltern machten sich trotzdem Sorgen, doch hielten dies lieber verborgen.

Doch die Sticheleien hörten nicht wieder auf, das böse Spiel nahm seinen Lauf. Ein Junge stellte Tina das Bein, als sie wollte zu der Tür herein. Das liess sie jedoch nicht auf sich sitzen, sie hatte genug von diesen Witzen. «Du kleine, böse, gemeine Zecke, stell dich lieber in die Ecke! Schäm dich doch in Grund und Boden, sonst fang ich gleich noch an zu toben!», reagierte sie auf seine Tat und war für einen Streit parat. «Ich habe doch keine Angst vor dir, du bist ja nur ein blödes Tier!», dies entgegnete der Junge, und konnte nicht hüten seine Zunge. Da packte sie schon Wut und Schmerz und handelte wider ihres Werts. Es brach aus Tina jetzt heraus, die Wut, der Zorn und all der Graus. Sie hob hoch ihre gewaltige Pranke und schlug ihm ins Gesicht, dass er schon wankte. Er zitterte und sah sie an, die Angst war ihm anzusehen sodann. Ein grosser Kratzer im Gesicht, das Blut lief über ihn sehr dicht. Der Junge lief jetzt schnell hinweg, während Tina stand in ihrem Schreck. Was hatte sie ihm nur angetan, sie war ein Monster, ein Tyrann. So geschockt war sie von ihrer Tat, dass sie flehte, bei Gott um seine Gnad. Nun rannte sie ebenfalls davon, während ihr eine Träne entronn.

Das Mädchen verschwand im dichten Wald und machte erst im Versteck ein Halt. Sie weinte ungeheuer fest, dicht an den     Waldboden gepresst. So ging das bis in die tiefe Nacht, der Mond am Himmel in seiner Pracht. Tina schlief schon baldig ein, im dunklen Wald so ganz allein. Am Morgen wurde sie geweckt, von Rufen ihrer Eltern im Schreck! Sie wollte einfach niemanden sehen, denn es konnte sie sowieso keiner verstehen. Die Rufe wurden bald schon leiser, doch ihre Simmen waren bestimmt ganz heiser. Da lag die kleine Tina nun und dachte, was könnt ich jetzt nur tun? Ich bin so hässlich und gemein, ich kann doch nicht mehr als eine Bestie sein. Warum kein Mensch, warum kein Tier, was mache ich den bloss noch hier? Es mag mich keiner, wie ich bin, ich wünschte mir bloss eine Freundin. Vielleicht werden sie mich einsperren und versuchen mich in einen Käfig zu zerren. Nein, das alles will ich nicht und auch nicht, dass mich jemand bricht. Tina beschloss nicht zurückzugehen, sie konnte ihre Eltern nie wieder sehen. Zu viel Angst war damit verbunden, dass grösser würden die seelischen Wunden.

Es begann nun eine Reise für sie, in die Berge, wo man sie suchen wird, nie. Dort fand das Mädchen bald ihr Glück, zumindest davon ein kleines Stück. Die Berge waren ein schönes, neues Heim, in dem sie auch nicht würde, allein mehr sein. Versteckt vor interessierten Augen, leben Fabelwesen, kaum zu glauben! Verschiedenste, von aller Art, einige sogar auch wie Tina behaart. Gemunkelt wird, sie lebe noch, die Eltern seien gestorben jedoch. Die frassen ihren Kummer in sich hinein, darüber sprechen liessen sie sein. Ganz selten wird Tina gesehen, die weder Menschen noch Tiere verstehen. Vielleicht ist es auch nur eine Sage, denn die Gerüchte sind doch eher vage. Falls ihr mal in den Bergen seid und eine Gestalt an euch vorbeieilt, dann könnte dies die Tina sein, doch wirklich wissen kann es kein.