Digitales Text: she | Bild: jem

Dieses Scheisshandy

Smartphones tun uns nicht gut. Das ist zwar nicht unser Fehler, aber unser
Problem.

Ich habe oft Gewaltfantasien gegenüber meinem Handy. Ich will so lange auf das glatte Display stampfen bis es in tausend Stücke zerspringt. Stück für Stück herausreissen – Kamera, Mikrofon, Akku. Alles in kleine Stücke zertreten und dabei in Wahn lachen – ich mache kaputt, was mich kaputt macht. Weg mit diesem Scheisshandy. Ich tue das nicht, weil es einerseits der verantwortungsloseste Umgang mit einem Objekt ist, an dem Blut aus Kinderarbeit klebt. Andererseits aber auch – und das ist der traurige Teil – weil ich meine Abhängigkeit kenne und weiss, dass ich einige Tage später genau das zurückwill, was ich davor so vehement ablehnte. Die Hassliebe einer Suchterkrankung, einer toxischen Beziehung. Ich will dich nicht, ich will dich doch.

Kritik am Smartphone klingt rückwärtsgerichtet, sozialromantisierend – «damals, als die Menschen noch miteinander redeten, statt immer am Handy zu sein.» Das klingt schrecklich konservativ, so wie die Menschen, die gegen Züge demonstrierten, weil sie dachten, dass diese schnelle Beschleunigung den Menschen schadet. Doch diese Kritik ist nicht konservativ, sondern sozialkritisch: Das Smartphone macht uns zu schlechteren Menschen, weil wir das Handy oft dann in die Hand nehmen, wenn wir negative Gefühle vermeiden wollen. Ich bin allein zuhause und fühle mich einsam – ich schreibe irgendwem. Ich bin im Zug und zwei Personen fangen an zu streiten – ich zieh Kopfhörer an und ziehe mich in mich selbst zurück. Das Handy lenkt ab von Einsamkeit. Dabei ist genau dieses Erleben der Einsamkeit konstitutiv für Empathie: Ich fühle meine eigene Geworfenheit in die Welt, dieses Erleben des Allein-Seins und erkenne dieses Erleben auch in meinem Gegenüber. Du und ich, wir sind ähnlich, wir sind beide in dieses Leben geworfen. Dieses Erleben ist grundlegend für Empathie, doch das Smartphone lenkt durch kurzzeitige Happiness-Momente von diesem Erleben ab.

Mit dem Handy bin ich niemals richtig da, niemals richtig weg. Ich sitze beim Kaffee in Paris und schreibe mit Freunden aus Berlin, um es in Fabers Worten zu sagen. Wahnsinnig privilegiert, niemals präsent. Wohlstandsverwöhnt doch arm an einem Sinn für Gegenwärtigkeit – als ob Gegenwärtigkeit nicht auch eine Form des Reichtums wäre. Mit dem Handy verkomme ich zudem zum Anerkennungsjunkie – er hat kein Smiley zurückgeschickt, heisst das, dass er mich nicht mehr mag? Aber auch im Gegenteil: Die Freude, wenn sie zurückschreibt. Das Kribbeln bei einem Retweet. 2.5h daddle ich pro Tag am Handy, und liege damit noch unter dem Durchschnitt. Ich verplempere meine Lebenszeit mit einem Objekt, das mich nicht nur nicht glücklich, sondern aktiv unglücklich macht. Ich hänge wie eine Puppe an den Fäden des Smartphones.

Das lässt sich leicht als wohlstandsverwöhntes Millennial-Gejammere abtun: «Dich zwingt ja niemand ein Smartphone zu besitzen, hör doch auf damit.» Klar – ich könnte stattdessen joggen und Chinesisch lernen. Doch es geht nicht um diese neoliberale Selbstoptimierung. Es geht darum, dass das gute Leben durch das Smartphone erschwert wird, und zwar nicht auf einer individuellen, sondern auf einer kollektiven Ebene. Das Problem der Smartphonesucht lässt sich nicht individualisieren, weil sie durch ein geschaffenes Bedürfnis entsteht. Mein Wunsch, ein Smartphone zu besitzen und alle drei Minuten süchtig darauf zu starren, entsteht nicht von mir heraus, sondern wird von aussen kreiert. Die Sucht wird in das Gerät miteingeplant: Viel zu mächtige, viel zu kapitalreiche, viel zu intransparente Techfirmen produzieren einen Gegenstand, der nicht an unseren Bedürfnissen orientiert ist, sondern in erster Linie mächtige Menschen noch mächtiger machen soll. Klar, das lässt sich über fast jedes technische Gerät sagen: Alles dient dem Kapital, nichts dem Menschen. Doch das Smartphone ist nicht nur ein weiteres kapitalistisches Gut, es ist Grundpfeiler einer neuen Ära: des Smartphonekapitalismus. Diese Sucht, dieses ständige Nicht-Präsent-Sein, die Unfähigkeit, Einsamkeit auszuhalten, das Fieber nach Anerkennung – das ist alles kein Nebenprodukt, keine Externalität des Smartphonekapitalismus, sondern dessen Grundlage. Nur so können Daten gewonnen werden, die die Maschine füttern. Während es vor ein paar Jahren noch denkbar war, ohne Smartphone zu klarzukommen, so ist dies spätestens durch die Coronakrise mit ihren Tracing-Apps und QR-Codes fast unvorstellbar geworden.

Nun ist das Problem bei allen gesellschaftlichen Problemen, dass sich deren Lösung schlecht individualisieren lässt: Ich kann mein Handy wegschmeissen und mich aus dem Digitalen zurückziehen; das ist schön und gut, aber am grossen Ganzen ändert das herzlich wenig. Kurzum: Statt Handys sollte die Macht der Techkonzerne zerschlagen werden. Menschliche Bedürfnisse sollten in die Geräte hineingebaut werden und nicht Gier nach Gewinn. Die Vision, dass die Technologie dem Menschen und nicht wir der Technologie dienen. Bis dahin könnten wir ja Ton Steine Scherben auf Spotify hören – «macht kaputt was euch kaputt macht!». Es gibt kein richtiges Leben im falschen.