Text: rom | Bild: lka

Lernen in Zeiten von Corona

Am Freitag kommt die Hiobsbotschaft. Es ist definitiv. Ab nächster Woche bleiben die Schulen geschlossen. Verunsicherung. Fragen. Was bedeutet das? Für die Schüler*innen und für mich als Lehrer?

Fällt der Unterricht ganz aus?
Ein Wochenende lang wird auf unserem Lehrpersonen-Chat spekuliert. Dann ist Montagmorgen. Ansprache der Schulleitung im Foyer. Die Stühle stehen zwei Meter auseinander. Nicht alle Lehrpersonen sind da. Einige müssen schon ihre eigenen Kinder hüten. Andere bleiben vorsorglich zuhause, weil die Nase läuft. Ziel sei es, den Unterricht weiterzuführen. Es sei aber auch klar, dass das nicht von Anfang an perfekt laufen werde. Neuland für alle, bis jetzt ist die kleine Sekundarschule kaum digital unterwegs. Danach gibt es eine kurze Einführung in die Technik. Für das Unterrichtsmaterial steht nun eine Cloud zur Verfügung, mit Schüler*innen wird per E-Mail kommuniziert. Sehr rudimentär, keine ausgefeilte E-Learningplattform. Arbeitsaufträge, die Schüler*innen selbstständig und in Einzelarbeit zuhause erledigen können, müssen jeweils bis Mittwochabend hochgeladen werden. Ob ein solcher Unterricht irgendwie sinnvoll ist, diese Frage kann sich gerade niemand stellen. Alle sind damit beschäftig, ihre Unterlagen zu digitalisieren, Arbeitsaufträge zu formulieren.
Zwei Tage später. Gespräch im Bus. Zwei Eltern machen sich Sorgen um einen möglichen Bruch in der Bildungsbiografie ihrer Kinder. Sorgen um die zukünftigen Chancen für einen Abschluss. Ich stehe ein paar Schritte entfernt und höre mit einem Ohr zu. Wird hier nicht wieder einmal Ausbildung und Bildung verwechselt? Natürlich frage ich mich auch, was und wie die Kids nun lernen. So ohne genaue Anleitung und direkte Betreuung. Radikal offener Unterricht. Wann und wie gelernt wird, bestimmen die Lernenden selber. Keine Lehrperson, die durch den Stoff führt und gleich bei jedem Problemchen zu unterstützen versucht. Und diszipliniert. Auch Prüfungen, die klassischerweise das Lernen stark strukturieren, fallen weg. Der ganze Druck, die Angst vor Versagen und Abstieg, wenn nicht genug geleistet wird. Das Ganze ist schon fast ein Sozialexperiment. Ein bisschen Montessori.
Doch irgendwie passt diese Form des Lehrens und Lernens auch in die kalte neoliberale Welt. Zwischenmenschliches wird abgebaut. Jede*r ist ein*e Einzelkämpfer*in. Eigenverantwortung. Selbsterziehung. Gelernt werden gerade auch «Kompetenzen wie Anpassungsfähigkeit, Selbstorganisation, Selbstdisziplinierung», die im neoliberalen globalen Kapitalismus gefragt sind. Weg fallen kollektive Lernprozesse und grösstenteils auch der Dialog als notwendige Voraussetzung für Erkenntnis.
Nachdem nun der erste Stress, der mit der unerwarteten und plötzlichen Umstellung des Unterrichts und den technischen Herausforderungen einherging, vorbei ist, beginnt nun die Phase, in der wir Lehrpersonen unser Handeln in dieser Situation kritisch reflektieren müssen. Wir stehen nun vor der Möglichkeit, vieles auszuprobieren und manches nicht zu tun. Es ist nicht zu erwarten, dass nun das Ganze verändert wird, aber es gibt sicher Anknüpfungspunkte, in diesen Verhältnissen einiges anders zu machen. Und wenn die Schüler*innen selber ihre übliche Lernsituation als veränderbar und ihre Autonomie im Lernen erkennen, ist auch schon etwas gewonnen.