Frische Feder Text: Luisa Tschannen | Bild: Jost Zeindler

Wer fühlt sich nicht täglich

Sonst haben wir nichts. Nur diese Wut und dieses Weinen.

Camille und Ovelinda sitzen auf einer Bank, die etwas rückversetzt von der Strasse zwischen zwei alten, blattlosen Bäumen steht. Ihre Schuhe haben sie auf die Sitzbank abgestellt, sie selbst sitzen auf der Lehne. Es ist Frühwinter und die beiden rauchen Zigaretten.

C: Es dauert drei Tage.
O: Erst wird die Pisse dickflüssig.
C: Dann braun.
O: Dann wird die Haut braun.
C: Dann stirbst du.
O: Drei Tage, so wie Gott die Welt erschuf…
C: So stirbt der Mensch. Wenn er verdurstet.

Camille und Ovelinda ziehen an ihren Zigaretten und stossen pathetisch den nebligen Rauch in die kühle Luft.

O: Luft zu reinigen ist unmöglich, Camille. Aber es gibt Bakterien, die Plastik essen. Doch sie essen zu langsam.
C: Die Haut wird braun, wenn man am Strand liegt, um sich zu Sonnen. Die Haut wird braun, wenn man verdurstet. An Leberversagen stirbt.
O: Letzthin haben wir Leber in Butter gebraten zum Frühstück gegessen.
C: Die Pisse wird braun und dickflüssig.
O: Lass uns, wenn es nicht weitergeht, an die Küste wandern, ins Meer. Die Augen schliessen und alles vorbeiziehen sehen und forttreiben.
C: Leider passiert dann auf der Handlungsebene nicht mehr viel.
O: Wenn wir schon lange tot sind.
C: Spürst du die Angst?
O: Ich spüre sie, ja.
C: Kennst du die Angst?
O: Ich kenne sie, ja.
C: Wie legt sie sich auf dich? Wer legt sich auf dich?
O: Wer legt sich über mich, mich nieder?
C: Wessen Sorgen?
O: Und wessen Ängste?
C: Und wer profitiert davon? Wer profitiert von deinen Ängsten?
O: Von deiner Angst vor Bestrafung?
C: Profit durch Mutlosigkeit. Ein Kassenschlager.

O: Sonst haben wir nichts. Nur diese Wut und dieses Weinen.
C: Und manchmal Träume.
O: Das Geräusch des Windes,
C: den angeborenen Ungehorsam

O: Den Wind, der durch die leeren Gänge fegt (Macht ein klagendes-wehendes Geräusch). Den haben wir zum Hören.

C: Unsere Füsse und Hände.
O: Die haben wir.
C: Und unser Summen.
O: Das haben wir

C: Sie haben Produkte.
O: Knarren und Zäune.
C: Strukturen und Gebäude
O: Bitterschokolade und Impfstoffe
C: Taschenlampen und Geld
O: Wir haben uns
C:Vielleicht hätten wir alles ohne Angst vor dem Tod.

O:… wie das Meerwasser die knochigen Augenhöhlen umspült.
C:… da kullert er durch den Sand!Die sanften Wellen stossen ihn ins Meer..
O: wo sie ihn weiter aushöhlen
C: Die Freiheit.
O: …das Innere des Schädels.
C: Die Aushöhlung der Freiheit und das Innere des Schädels…

O: Bis der Knochen ganz dünn wird.
C: Dünner und dünner und das Meerwasser schön
O: Die Sonne scheint hindurch. Durch die dünne Schädeldecke
C: Bald sinkt der Schädel zum dunklen Meeresgrund
O: Liegt nun am Meeresgrund
C:Krebsaugen. Dem Krebs ein neues Zuhause?
O: Das Ausgehölte dem einen zur Sicherheit.
C: Dem anderen ist es der Tod.

O: Wir sahen die Küste.
C:Die Aushöhlung der Freiheit ist ein natürliches Produkt
O: Warum sind wir nie gesprungen?
C: Die Aushöhlung der Freiheit ist ein natürliches Produkt eines solchen Systems, da dieses für das eigene Funktionieren menschliches Verhalten so gut es geht kontrollieren muss.
O: Wir wussten, wann es regnen würde, wo es essen gab, wieviel ein Fernseher kostete, …
C: Aber welcher Schuss traf,
O:Und welche Menschenhand die Träume zugemauert hatte,
C: Um uns in der Wüste zu verlassen.
O: Das wussten wir nicht.

C: Arbeiten macht nicht Frei.
O: Wir, die ewigen Tiere,
C: wir laufen durch lautlose Städte
O:unsere Augen drehen sich ziellos, hoffnungslos. Da sind nur die Cafés, wo wir uns treffen,
C: um diese kühlen Getränke zu trinken, diesen verdünnten Alkohol, um auf die Tische zu lehnenunter die schon die toten Schatten des Vortags gefallen sind
O: Und gespalten liegen wir da,
C: Wir sahen die Küste
Das Meer
Wir kannten den Sturm
Und die Wüste
Doch der Mut kam zu spät
Und unter den Sternen hielten wir es für Träume. Arbeiten macht niemals frei

wenn unsere Hände nicht tun können, was Kopf und Herz für richtig hält