Underground Fight League Text: daf & ffg | Bild: daf

Boxingday in der Grossen Halle

Ende Oktober flogen in der Grossen Halle die Fetzen. Ist die Underground Fight League nur eine weitere Plattform für Machoismus und Körperkultur? Auf Spurensuche zwischen den Boxhandschuhen.

Die «Underground Fight League UFL» ging am 22.10.2018 in die zweite Runde. Die Grosse Halle war bis auf den letzten Quadratmeter voll. Vor der grossen Türe standen noch viele Menschen, die keinen Eintritt mehr erhielten. Die Atmosphäre war geprägt von Vorfreude und Aufgeregtheit. Um die UFL in einen Kontext zu stellen, werfen wir einen Blick auf andere Kampfsport Events in Bern und deren Kultur. Als Beispiel dient hier der traditionelle Boxingday, welcher am 26. Dezember standesgemäss im Kursaal stattfindet. Hier trifft sich die Berner Cervelat-Prominenz, die sich bei Cüpli und Lachsbrötli dem Geschehen frönt. Von den leichtbekleideten Nummern-Frauen* bis zu den Nationalflaggen, die von den Boxer*innen stolz in den Ring getragen werden, wird kein Klischee ausgelassen, welches mensch den Kampfsport Events zuschreiben könnte. Auch die Klassenunterschiede werden zelebriert. Im Ring kämpfen die gestählten Unterschichtskörper gegeneinander und dienen als Unterhaltung für die Oberschicht, welche an den VIP-Tischen Kontakte knüpft, über Geschäfte spricht und Häppchen verdrückt. Einen ganz anderen Weg schlägt der unkommerzielle Event in der Grossen Halle ein. Über die UFL waren im Vorfeld szeneninterne Diskussionen geführt worden; es äusserten sich auch viele kritische Stimmen. Hier lassen wir zwei davon zu Wort kommen, dieses Interview führten wir schriftlich. Ausserdem haben wir mit den Organisatori*innen gesprochen, um ihre Beweggründe für dieses Spektakel auszuleuchten. Abgerundet wird das Thema UFL mit einem Buchtipp, der Boxen in einen soziologischen Kontext stellt. Wir haben mit drei Menschen aus dem Organisationskollektiv der UFL gesprochen. Sie sprechen nicht fürs Kollektiv; ihre Antworten bilden ihre subjektive Meinung ab.

I: Was ist das Konzept der UFL?

UFL: Die Grundidee war es, einen grossen und spektakulären Event auf die Beine zu stellen. Die UFL ist ein Solidaritätsevent, der etwas grösser ausfällt, als mensch es bisher von Soli-Events kennt. Dabei bietet er Platz, um politische Inhalte an ein breites Publikum zu richten. Uns ist es wichtig, eine nicht-kommerzielle Veranstaltung zu machen, deshalb arbeiten alle Beteiligten gratis. Die einzige Lohnarbeit wird von den Vermieter*innen der Grossen Halle geleistet.

I: Was möchtet ihr mit der UFL erreichen? Habt ihr eine langfristige Vision?

UFL: Wir wollen Geld sammeln für Bussen, die bei politischer Arbeit entstanden sind. Es soll auch ein spannender kulturell-politischer Event sein. Wir wollen Menschen in die Grosse Halle bringen, die sich sonst weniger in diesem Umfeld, dieser Szene aufhalten. Uns ist wichtig, dass alle Menschen teilhaben können, deshalb verzichteten wir auf Eintrittspreise und stellen einen Kollektentopf auf. Wir leisten Gratisarbeit und lehnen Lohnarbeit bei Solidaritätsanlässen in einem autonomen Jugendzentrum ab. und bieten daher auch keine Werbefläche für Sponsor*innen, obwohl wir viele Angebote erhielten. Ein weiterer Aspekt unserer Vision ist es, aufzuzeigen, dass es möglich ist, aus eigener Kraft etwas auf die Beine zu stellen ohne über Startkapital zu verfügen. Wir möchten andere Menschen dazu animieren, selbst etwas zu organisieren, ohne viel Geld in der Tasche zu haben. Junge Menschen sollten mehr eine «Do it yourself» Mentalität leben, anstatt zu konsumieren.

I: Wie grenzt ihr euch von anderen Boxevents in Bern ab, wie z.B. dem Boxingday?

UFL: Wir machen nicht nur einen Boxevent, sondern einen Anlass, bei welchem nicht der Kampf im Vordergrund steht, sondern ein Teil vom Ganzen ist. Wir sind im Gegensatz zu anderen Events nicht kommerziell orientiert und wollen eine politische Botschaft vermitteln und somit Diskussionen und Reflektionsprozesse in Gang setzen. Dies haben wir mit den Räumen versucht, welche man zuerst durchlaufen musste, um in die Arena zu gelangen. Das Ganze lief so ab, dass mensch zuerst eine Bibliothek betreten musste, indem ein Schauspiel stattfand und eine Durchsage gemacht wurde. Dabei wurden die Besucher*innen für den Event sensibilisiert und die Regeln klar gemacht: Dass zum Beispiel diskriminierendes Verhalten nicht geduldet und nicht gefilmt werden darf. Somit wurde ein Rahmen gesetzt. Danach mussten die Gäst*innen einen Korridor durchlaufen, wo sie ihre Smartphonekameras abkleben mussten. Durch diese zwei Räume versuchten wir, den Besucher*innen bewusst zu machen, dass sie nun in einen Raum gelangen, wo andere Regeln gelten. Vor den Kämpfen wurde nochmals darauf hingewiesen, was die Regeln der UFL sind. Weiter erhielten die Kämpfer*innen keine Gage und allen Beteiligten ist eine hierarchiefreie Organisationsform wichtig. Das Barpersonal ist genauso wichtig, wie die Person, die im Ring kämpft oder am Eingang steht.

I: Welche Rollen haben die Frauen* bei der UFL eingenommen?

UFL: Beim Aufbau des Events waren etwa 70 Personen dabei und diese waren geschlechtlich durchmischt. Uns war es ein grosses Anliegen, dass alle Geschlechtsidentitäten im Ring vertreten sind, jedoch gab es keine Frauen*kämpfe. Uns wurde kurzfristig abgesagt. Wir haben uns sehr darum bemüht, dass auch Frauen* kämpfen würden. Uns ist es ein wichtiges Anliegen, dass wir ein gemischtes Kollektiv sind. Intern reflektieren wir die Fremdzuschreibungen, welche uns als reine Männergruppierung darstellen. Gerne suchen wir den Dialog mit Menschen, anstatt Gerüchte zu hören.

I: Wie begegnet ihr dem Vorwurf, dass ihr Gewaltkultur und Konkurrenzkampf fördert?

UFL: Wir wollen keine Gewaltkultur oder Konkurrenzkampf fördern, sondern stellen ihn lediglich dar. Gewaltkultur und Konkurrenzkampf sind gesellschaftliche Realitäten und essentielle Grundpfeiler einer kapitalistischen Ordnung, die oft zuwenig diskutiert werden. Mit der UFL greifen wir das Thema auf und zeigen, was genau passiert, wenn sich zwei Menschen im Ring gegenüberstehen. Oft passiert Gewalt an Orten wo diese nicht sichtbar ist und es gibt keine Regeln. Bei unseren Kämpfen gibt es klare Regeln; für medizinische Notfälle waren wir vorbereitet. Es ist uns auch ein Anliegen, dass wir keinen Konkurrenzkampf fördern. Aus diesem Grund gab es auch keine Gage. Sowohl Gewinner als auch Verlierer wurden gleich behandelt. Wir haben ein Transpi aufgehängt mit der Aufschrift: «Brot und Spiele?». Damit wollen wir die Besucher*innen auffordern, sich über diese Themen Gedanken zu machen. Unser Event sehen wir also als eine Auseinandersetzung mit den Themen Gewalt und Konkurrenzkampf

I: Was war für euch das Highlight an der UFL?

UFL: Es gab keine Gewalt ausserhalb des Rings. Auch war es nice, die Dynamik der Gruppe zu spüren, die den Event auf die Beine gestellt hat. Es gab viele gute Rückmeldungen zu unserer Veranstaltung und es war schön, dass Menschen den Zugang zum Raum Reitschule fanden, die sich sonst nicht hier aufhalten. Es war uns wichtig, auch was für die jungen Menschen zu bieten, die sonst die Samstagsnacht auf dem Vorplatz verbringen und zu wenig Geld haben, um ein Konzert für 25 Stutz im Dachstock zu besuchen. I: Was war eher enttäuschend am Event? UFL: Es kamen nicht alle Menschen in die grosse Halle rein, die den Event besuchen wollten. Wir mussten aus Platzgründen einige Besucher*innen wieder wegschicken. Es tut uns leid, dass nicht alle Menschen teilhaben konnten. Sorry.

I: Wie geht ihr im Allgemeinen mit Kritik um?

UFL: Wir nehmen die Kritik, die sich an uns richtet, sehr ernst und machen uns Gedanken, wie wir Dinge verbessern können. Unsere Strukturen bieten viel Platz für Austausch und Reflektion. Daher können wir Inputs von aussen diskutieren. Schade ist, dass viele Menschen über uns, aber nicht mit uns sprechen. Wir sind bereit für die Diskussion. Wir sind überzeugt: nur so können Gräben zwischen Gruppierungen überwunden werden. Es gab leider wenig Kritik, die direkt an uns gelangt ist. Es uns wichtig, dass wir einen Austausch mit Gruppen pflegen, die uns kritisch gegenüberstehen.

I: Gibt es eine weitere UFL?

 UFL: Vielleicht.

I: Was möchtet ihr sonst noch sagen?

UFL: Wir möchten uns bei allen bedanken, die mitgeholfen haben und an den Event gekommen sind. Merci.

Nun folgt das schriftliche Interview mit Sonja und Chiara, die am Event anwesend waren.

I: Inwiefern warst du überrascht ob dem extra angelegten Raum zur Sensibilisierung für verschiedene Diskriminierungsformen?

Sonja&Chiara: Der erste Eindruck entstand im «Sensibilisierungsraum », in welchen die Besucher*innen beim Einlass als erstes geführt wurden. Dort wurden die allgemeinen Regeln bekannt gegeben: Keine Fotos, kein übergriffiges Verhalten und die Kämpfe sollten im Ring stattfinden, nicht daneben. Der Raum wirkte wie eine kleine Bibliothek, in welchem wir gerne länger verweilt wären. Wir merkten, dass die genannten Grundsätze den Organisator*Innen wirklich am Herzen lagen.

I: Inwiefern wart ihr zufrieden mit diesen und verbalen Begleitmassnahmen zu dieser reinen Männerkampfnacht?

S&C: Nach wie vor sind wir der Überzeugung, dass die Grundsätze ernst genommen wurden. Dadurch, dass jedoch so gut wie jede sichtbare Rolle des Abends von Männern gespielt wurde, eine Männerstimme moderierte, Männerkörper im Ring standen, merkte mensch, dass es doch noch an einer gewissen Tiefe fehlt oder an Bewusstsein, was diese Einseitigkeit an Wirkung haben könnte. Dazu kam die wirklich sexistische Musikauswahl und die teils provokant markigen Einläufe der Kämpfer. All das hinterliess bei einigen Zuschauer*innen wohl einen leicht sauren Beigeschmack.

I: Glaubst du, dass das Zelebrieren eines Kampfes in jedem Fall reaktionär ist oder können einem solchen Kampf auch fortschrittliche Inhalte innewohnen?

S: Wir empfinden einen Boxkampf an sich weder als politisch, sexistisch noch irgendwie übergriffig. Viel mehr beeinflussen all die anderen Faktoren den Event. Natürlich geht von dieser Sportart auch eine gewisse Gewalt aus. Dem kann mensch jedoch entgegentreten. Dies bedeutet aber viel Arbeit und Auseinandersetzung mit sich selber, dem Publikum und der Thematik.

I: Was glaubst du: Worum geht es den Organisierenden, wenn sie mit grossem Aufwand einen derartigen Event organisieren?

S&C: Wir glauben, dass die Besorgung der Bussgelder die absolut erste Priorität der Organisator*Innen war. Abgesehen davon sehen wir auch, dass es gerade für die Organisation eines so grossen Events eine gewisse Inszenierung unerlässlich ist. Schwierig wird es dann, wenn dadurch die politischen Ansprüche verloren gehen. Wir finden es wunderbar, wenn so viele junge Menschen ihre Zeit und Energie in ein solidarisches Projekt stecken und auch neue Dinge ausprobieren. Dabei sollten aber, gerade bei Veranstaltungen in der Reitschule, die politischen Inhalte von allen getragen und immer sichtbar gemacht werden.

I: Wie schätzt du die Meinungen zum Anlass ein, wenn du an aktive Reitschüler*innen denkst?

S: Wir nahmen aus dem «Reitschulkuchen » – wie auch bei uns selber – viele verschiedene Emotionen war. Einerseits die Solidarität und die Freude an neuen, spannenden Projekten. Andererseits auch kritische Gefühle. Die Vorahnung, dass dieser Abend ein cis-männlich dominierter Abend wird, hat sich dann auch teilweise bestätigt.

I: Wirst du bei einer nächsten UFL-Night wieder am Start sein?

S: Wir wünschen uns, dass die Organisator*innen die besprochenen Punkte kritisch betrachten und daran arbeiten. Im besten Fall lernt mensch aus solchen Erfahrungen. Daher: Wir freuen uns aufs nächste Mal!