LaKuZ Text: cap | Bild: daf

Geschichte eines autonomen Kulturlokals

Zu Beginn der 2000er Jahre setzen sich einige junge Menschen im Berner Hinterland hartnäckig für mehr Freiraum ein. Dem bürgerlichen Umfeld und aufstrebenden jungen Rechtsextremist*innen zum Trotz entsteht daraus das LaKuZ, ein kleines und florierendes Kulturzentrum. Heute, über 20 Jahre später, behauptet sich das Lokal nach wie vor im konservativen Umfeld des Oberaargaus und hat eine Geschichte zu erzählen.

Ich sitze ganz hinten an der, mit etlichen politischen Stickern verzierten Bar. Der abgewetzte Barhocker unter mir wackelt ein bisschen und mein Unterarm bleibt zwischendurch am unsichtbaren Film einer getrockneten Getränkelache auf der Theke kleben, wenn ich einen Schluck aus der Bierflasche vor mir nehme. Der Rauch meiner Zigarette wabert im Einklang mit den Beats um meinen Kopf, schwebt langsam den bunt bemalten Wänden entlang und vermischt sich schliesslich im kleinen Saal mit dem Rauch der Joints und Zigaretten anderer Gäste. Vielleicht sollte ich ihm folgen und mich auch unter die wippenden Zuhörer*innen auf der Tanzfläche mischen. Die Beats sind gemächlich, schon fast meditativ, Weibello’s Rap-Lines vielseitig und voller Tiefe, Futter zum Nachdenken. Vielleicht geniesse ich deswegen die Show gerade lieber verträumt von der Bar aus. Das ist aber auch ok so. Im KuZ machen alle so wie es ihnen wohl ist. Wer will, tanzt, wippt oder pogt sich vor der Bühne müde. Wer die Dinge lieber mit etwas Abstand betrachtet, setzt sich zuhinterst im Raum an die Bar und wem das fehlende Rauchverbot zu schaffen macht, holt sich zwischendurch seine Getränke und ein paar Atemzüge frische Luft an der Aussenbar. Wer will, findet in dieser kleinen, leicht verrauchten Oase linksautonomer Kunst und Kultur, inmitten der bürgerlichen Durchschnittlichkeit des Oberaargaus ein Plätzchen für sich. Ein bisschen schmuddelig, ein bisschen verrucht, ein bisschen Punk, ein bisschen anti, ein bisschen politisch, ein bisschen alternativ, ein bisschen wild und doch auch ein bisschen angepasst. Nach gut 21 Jahren seines Bestehens ist es rund um das autonome Kultur- und Begegnungszentrum in Langenthal (kurz LaKuZ) ruhiger geworden. Die linke Kleinstadtrebellion der Anfangszeit hat sich ihren Freiraum für junge Menschen erkämpft und widmet sich in diesem nun fleissig der Kulturförderung. Der Weg hierhin war aber durchaus kein Spaziergang.
Das Städtchen Langenthal und seine ländliche Umgebung des Oberaargaus waren schon immer stark bürgerlich geprägt und hatten eine gewisse Tendenz zur verschlafenen Durchschnittlichkeit und konservativen Haltungen. In den 90er Jahren begann sich aber eine Gruppe junger Menschen lautstark bemerkbar zu machen, die den Wunsch nach offenen und alternativen Freiräumen äusserten und nicht bereit waren, Langenthal und Umgebung dem bürgerlichen Einheitsbrei oder gar rechtsradikalen Kräften zu überlassen. Diese jungen Menschen forderten einen Ort in Langenthal, welcher Platz für Inklusion, offene Politik, freies Kunstschaffen und Selbstbestimmung bot. Es folgten mehrere Hausbesetzungen und Protestaktionen, bis schliesslich eine Einigung mit der Stadtverwaltung gelang. Ab 2001 stellte die Gemeinde der Interessensgruppe «Langenthaler Autonomes Kulturzentrum» ein etwas in die Jahre gekommenes Haus an der Farbgasse per Gebrauchsleihvertrag mietfrei zur Verfügung. Rasch bildete sich ein offener und hierarchieloser Trägerverein, das Gebäude wurde in Eigenregie grob ausgebaut und es wurden, nebst Konzertraum mit Bar, mehrere Bandräume, Ateliers und Schlafmöglichkeiten für auswertige Künstler*innen eingerichtet. Das LaKuZ war aber nicht nur ein Kulturlokal, sondern vor allem auch ein politischer Treffpunkt für linkspolitisch orientierte Jugendliche, was in den Gründungsjahren viel Konfliktpotential mit sich brachte und das LaKuZ zur Zielscheibe rechtsextremer Kräfte machte.
Bedingt durch eine lange Geschichte rechtsextremer Sympathien entwickelte sich Langenthal und seine Umgebung Anfang der 2000er Jahre zu einer wahren Hochburg der im Jahr 2000 gegründeten rechtsradikalen PNOS (Partei national orientierter Schweizer). Bereits seit den 90er Jahren lebten etliche rechtsradikale Szenengrössen in dieser Region, rekrutierten neue Mitglieder aus einem breiten Pool gelangweilter Jugendlicher und etablierten ein beunruhigend starkes Netzwerk junger, gewaltbereiter Neonazis. Schon nach ein paar Jahren verlagerten sich der innerste Parteikern und die Parteileitung in den Raum Oberaargau und 2005 gründete die Partei mit der «PNOS Ortsgruppe Langenthal» (später Sektion Oberaargau) eine ihrer aktivsten Ortsektionen. Das LaKuZ als linksautonomer Freiraum war der PNOS und anderen rechten Kräften ein enormer Dorn im Auge und so erstaunt es wenig, dass das Kulturzentrum in der Anfangszeit von rechtsradikalen Kreisen heftig bekämpft wurde. Im Vorfeld der Gründung des autonomen Kulturzentrums versuchten Vertreter*innen der rechtspopulistischen SD (Schweizer Demokraten) und spätere Mitglieder der PNOS, mit einer Flugblattaktionen gezielt linksaktivistische Personen aus der Region anzuprangern und einzuschüchtern. Regelmässig prallten im kleinstädtischen Nachtleben linksaktivistische Gruppen auf gewaltbereite Rechtsradikale und nach einem knappen Jahr Bestehen wurde das LaKuZ 2002 in einer Gewaltnacht von einer Gruppe tobender Neonazischläger überfallen und verwüstet.
Ein Widerstand formierte sich umgehend, das Jugendparlament Oberaargau organisierte einen Fackelzug gegen rechte Gewalt, Vertreter*innen des LaKuZ organisierten diverse grössere und kleinere Protestaktionen gegen rechtsradikale Kräfte und beteiligten sich intensiv an Podiumsgesprächen der Lokalpolitik zu rechter Gewalt. Rasch wurde das LaKuZ aus Schutt und Scherben wieder aufgebaut, erhielt Erweiterungen wie etwa ein kleines politisches Infokaffee. Der Polit- und Kulturbetrieb florierten und das Kulturzentrum mauserte sich ausgehtechnisch nach und nach zu einem etablierten Ort im Langenthaler Kultur- und Nachtleben. Zudem spielte das LaKuZ mehr denn je eine zentrale Rolle als politischer Vernetzungsort und Organisationsbasis für linkspolitische Aktivist*innen aus der Region. Geprägte durch die in den 90er Jahren stark gewachsene Bewegung der Globalisierungskritik wurden von dort aus Anti-WEF-Demos, G-8-Proteste, Proteste gegen den Irakkrieg und diverse antifaschistische Aktionen im ganzen Land unterstützt. Auch die rechtsextreme PNOS versuchte natürlich nicht untätig zu sein und sich zu etablieren. 2004 verbuchten die Rechtsextremist*innen der PNOS einen Erfolg, durch einen Sitzgewinn im Stadtparlament, den sie jedoch trotz Wiederwahl bereits 2009 wieder aufgaben, da sie selbst innerhalb der bürgerlichen Lokalpolitik zunehmend auf Ablehnung und Widerstand stiessen und politisch isoliert wurden. Es folgten 2004 und 2009 zwei weitere Anschläge aus rechtsradikalen Kreisen auf das LaKuZ. Aus den Reihen der LaKuZler*innen wurden im Gegenzug verschiedene Stör- und Protestaktionen gegen lokale Parteiversammlungen der PNOS oder gegen rechtskonservative Demonstrationen im Rahmen des Minarettstreits organisiert. Im Laufe der Jahre verlor die rechtsradikale Bewegung an Stärke und nach und nach verschwand die PNOS von der Bildfläche des Oberaargaus. Die Sektion Oberaargau ging 2016 in der Kantonssektion Bern auf und 2022 löste sich die Partei ganz auf. Die letzte Kandidatur bei den Grossratswahlen 2018 mit einer PNOS-Liste im Oberaargau oder die Tatsache, dass Mitglieder der heute aktiven Jungen Tat in Langenthal und Umgebung wohnen, zeigen aber, dass nicht zu unterschätzende rechtsradikale Kräfte trotz der verblassten öffentlichen Akzeptanz sicherlich bis heute in der Region schlummern. Das LaKuZ blieb hingegen in seiner Ursprungsform bestehen und versorgt die Region nach wie vor mit politischer und kultureller Diversität. Ob die rechte Radikalisierung Ende der 90er und der Aufstieg der PNOS Anfang der 2000er Jahre in der Region die Entstehung und Politisierung des linksautonomen Kulturzentrums mitbeeinflussten ist fraglich. Die aggressiv auftretenden, rechtsradikalen Kräfte in der Region waren aber sicherlich ein Faktor für die LaKuZer Kleinstadtrebellion, da eine kleine entschlossene Gruppe junger Menschen nicht bereit war das Berner Hinterland rechtsradikalen Einflüssen und dem eintönigen Sumpf bürgerlicher Durchschnittlichkeit zu überlassen.
Mit schwindendem Widerstand der PNOS und gewaltbereiter Rechtsradikaler sah sich das LaKuZ über die Jahre plötzlich vordergründig mit anderen Problemen wie vermehrten Lärmklagen oder wiederkehrenden, bürgerlichen Forderungen, das linksautonome Kulturlokal zu schliessen, konfrontiert. Als Reaktion kürzte das Regierungsstatthalteramt daraufhin 2014 die Zahl jährlich bewilligter Veranstaltungen drastisch und es folgten Schikanen und Bussen bei unbewilligten Anlässen. Doch der Kulturbetrieb überdauerte, der Trägerverein suchte den Dialog und begann sich mit anderen Kulturbetrieben der Stadt zu koordinieren. Die Beziehung zur Stadt wurde verbessert und 2022 wurde das LaKuZ auch im Programm der Langenthaler Kulturnacht aufgenommen. Musik läuft aber auch heute noch ab und zu ohne Bewilligung, ein klares Rauchverbot existiert nach wie vor nicht, mit der Sperrstunde nimmt man es nicht immer so genau und die politischen Gespräche sind nie verstummt. Das LaKuZ hat sich über die Jahre einen fixen Platz im Langenthaler Nachtleben erkämpft und erfreut sich bis heute der Beliebtheit vieler Menschen in der Region. Mal kommen wie heute Abend dreissig bis vierzig Gäste zu einem Konzert, ein andermal ist die Hütte rappelvoll. Aber Besuchszahlen spielen hier in der Regel eine eher untergeordnete Rolle. Eine abwechslungsreiche und breite Palette von Kulturanlässen sind das Kernanliegen der LaKuZler*innen. Das Ziel der Förderung alternativer Kunst und Kultur hat den früheren, kämpferischen Aktivismus etwas in den Hintergrund gedrängt. Das LaKuZ läuft heute gut, zwanzig Jahre Erfahrung, gemischt mit neuen Ideen junger Generationen. Wer will, kann mitanpacken und seine Ideen verwirklichen. Ein kleines linksautonomes Kultur- und Begegnungszentrum, dass zwischen Anpassung und doch ein bisschen punkiger Attitüde pendelt. Eine Oase linker Kleinkunst im bürgerlich ländlichen Oberaargau, welche die rebellische Phase ihrer Anfangszeit hinter sich gelassen hat und nun mit der Frage ringt: Was wollen wir nun? Die erkämpften Freiräume hegen und pflegen, mit etwas Anpassung um Akzeptanz im ländlichen Kleinstadtmilieu ringen oder vielleicht doch wieder vermehr anecken und sich kämpferischer auch auf der Strasse für linke Anliegen stark machen?
Ich schwinge mich von meinem Barhocker und schiebe mich schliesslich doch noch auf die Tanzfläche. Das laufende Lied heisst «Tanz». Irgendwie passend, um sich doch noch ein wenig unter die Tanzenden zu mischen, mit Armen und Oberkörper zu wippen und im Rauch auf der Tanzfläche in Weibellos Textzeilen abzutauchen. «Kids vo hüt wärdet mit Instastorys gross, wo dir zglaube gäbet das Läbe sig ä Ponyhof, […] Hüt sägets nid mal hoi u zeiget Freud am Wohlstand, bi mir zschad nur das z mache wo bloss eu gfallt.», rappt Weibello. Und ich frage mich: Hat sich im LaKuZer Umfeld der politische Aktivismus heute etwa stärker auf soziale Medien verlagert und wurde das emotionale Politisieren auf ruhige Gespräche an der Bar beschränkt? Haben sich die LaKuZler*innen etwa mit dem erkämpften Freiraum zufriedengegeben? Es scheint manchmal fast, als ob die aktivistischsten LaKuZler*innen in die Jahre gekommen wären und die nachrückende Jugend sich etwas in leiserer Bescheidenheit übt. Doch bei genauerem Hinschauen zeigt sich, der politische Tatendrang ist immer noch vorhanden und die nächste Kleinstadtrebellion wartet vielleicht schon um die Ecke. Wenn an Demos gegen rechte Hetze mobilisiert wird, laufen auch heute immer LaKuZler*innen mit, jüngste Auftritte der Jungen Tat in der Region führten zu mehr Vernetzung und Mobilisierung in antifaschistischen Kreisen des LaKuZ’s und bei der Förderung linkspolitischer Kunst und Kultur steht das autonome Kulturzentrum in Langenthal an vorderster Front. Was in Zukunft auch kommen wird, Raum wird das LaKuZ für alle bieten, die Musik wird sicher immer laut sein und die Gespräche und Aktionen werden immer politisch bleiben.