Sexuelle Belästigung Text: Nina Rage und Seraina Furger | Bild: rex

Frauen im Spa sind kein gratis Porno!

Sexuelle Belästigungen gehört leider für viele Menschen zum Alltag. Trotzdem wird wenig darüber gesprochen und wenn,
dann oftmals verharmlosend. Folgender Bericht schildert die Erfahrungen und Gedanken zweier junger Frauen, die sich gegen
die Ungerechtigkeiten wehren und die sexuelle Belästigung, die sie erfahren mussten, nicht einfach so akzeptieren.

Sechs Frauen fahren am 29. Februar 2020 für ein Wochenende in die Berge. Alle sind Anfang zwanzig und bereits oder bald Studentinnen. Es ist kalt. Bereits gibt es erste Ansteckungen mit dem Coronavirus in der Schweiz. Die Freundinnen leisten sich einen Abend im Spa des noblen Hotels, das neben ihrer Hütte steht.

18.00 Uhr: Luxus, alles glänzt, heile Welt. 19.30 Uhr: Welt in Scherben. Schuld daran sind ein Mann und ein ungerechtes System, das ihn schützt.

Die sechs Frauen und der Mann – etwa vierzig Jahre alt – befinden sich als einzige im Spa-Bereich. Es ist ein Nacktbereich, was theoretisch kein Problem darstellen sollte. Doch der Mann beginnt, die Körper der Frauen anzustarren. Dann folgt er ihnen von Raum zu Raum, steht vor die gläsernen Türen und schaut zu ihnen hinein. Eine der Frauen fährt ihn schlussendlich an – er solle nicht so starren. Er blickt sie nur an und läuft weiter. Kurz darauf im Dampfbad: Er setzt sich von innen direkt vor die Tür des Raumes, versperrt somit den Ausgang und beginnt zu masturbieren. Einfach so. Eine der Frauen ist mit ihm im Raum, zwei sitzen draussen und sehen alles durch die gläserne Tür. Schockstarre für alle Beteiligten, ausser für ihn. Als er fertig ist, steht er auf und geht. Sofort wird das Personal informiert, doch als der Manager kommt, verlässt der Mann den Spa-Bereich. Er wird dabei vom Manager erkannt. Er sei ein Hotelgast und geniesse seine Ferien mit seiner Frau und seinen zwei Töchtern. Das Hotel reagiert überfordert und sagt, dass sie nichts tun können. Am nächsten Tag erstatten zwei der sechs Freundinnen Anzeige bei der Kantonspolizei.

 

Innen- und Aussenperspektive

Es war so pervers banal.

Die Situation schien so surreal, dass ich schlussendlich nicht mehr sicher war, ob sie wirklich so stattgefunden hatte.

Wir haben das Ereignis unabhängig voneinander beobachtet und ich war mir sicher, was ich gesehen habe. Jedoch fragte ich mich, warum ich nicht in den Raum gegangen bin und etwas getan habe.
Warum konnte ich nicht reagieren?!

Ich habe das Gefühl mich dafür rechtfertigen zu müssen, weil die Tat kein physischer Übergriff war und dennoch schlimm und gravierend ist. Solche Straftaten gelten in unserer Gesellschaft irgendwie als «normal». Wahrscheinlich, weil sie alltäglich sind.

Wie ist es möglich, dass wir in gewissen Hinsichten in einem so entwickelten Land leben, unsere Gesellschaft jedoch nicht auf solche Themen sensibilisiert wird? Wie kann es sein, dass ich Aussagen höre wie: «An so einem Ort muss man halt mit sowas rechnen.» Nein, das sollte nicht etwas Wahrscheinliches sein, das halt passieren kann.

Ständig höre ich Kommentare wie: «Du bist als Frau in der Schweiz gleichberechtigt und überhaupt, was ist dein Problem?»

Zeig mir eine Frau, der nicht schon an den Arsch gefasst wurde oder die noch nie als «Schlampe» beschimpft wurde. Das sind sexuelle Belästigungen und sie sind, laut Art. 198 des Schweizer Strafgesetzbuches strafbar.

Viele Frauen haben nicht die emotionalen, juristischen oder finanziellen Ressourcen beziehungsweise Möglichkeiten, eine Anzeige zu erstatten. Sogar in extremen Fällen.

Wenn ein Mensch in einem öffentlichen Raum mit mehreren anwesenden Zeuginnen eine Straftat begeht, muss er von seiner Machtposition verdammt überzeugt sein. Dieser Mann wusste, dass er damit davonkommt. Unser System mit alten, patriarchalen Strukturen gab ihm eine wunderbare Rückendeckung.

Ja! Anzeige erstatten konnte lediglich ich – als Zeugin – und das auch nur, weil direkt nach der Tat die Hotelleitung informiert wurde. Du warst mit ihm im Raum und du hast es erlebt. Aber laut dem Sachbearbeiter, der unsere Anzeige aufnahm und den Fall bearbeitete, könntest du allein nichts tun. Der Polizist begründete dies damit, dass du keinen direkten «Schaden» davongetragen hast. Wie bitte?

Ich habe mich wie ein Objekt gefühlt. Als ob mein Körper plötzlich nicht mehr mein eigener wäre. Es ist so demütigend und inhuman. Und es war nach der Tat nicht vorbei. Ich musste das ganze Geschehnis wieder und wieder erzählen. Die Art der Einvernahmen und auch, dass ich einem fremden Mann erzählen musste, wie der andere Mann mich als Frau degradiert hatte… Ich fühlte mich machtlos und klein.

Der Beschuldigte leugnete die Tat.

Sein Anwalt hat unsere Freundin gefragt, warum wir sie denn in der Sauna allein gelassen haben, wenn wir uns ja davor schon unwohl bei seinen Blicken und seinem Verhalten gefühlt haben. Diese Frage machte mich unvorstellbar wütend.

Wir hatten keinen juristischen Beistand. Die Polizei riet uns zu Beginn der Anzeige davon ab. Das war ein Fehler, den ich nie wieder begehen werde.

Der Fall wurde schlussendlich eingestellt. Einerseits stand Aussage gegen Aussage. Andererseits aufgrund unserer scheinbaren «Unglaubwürdigkeit».
Warum?!

Zwischen den Einvernahmen und der ursprünglichen Anzeige lagen ungefähr drei Monate.

Insgesamt zog sich der Fall ein halbes Jahr in die Länge. All das Warten und der Aufwand, nur um schliesslich einen Brief zu erhalten, dessen juristische Sprache für uns als Laiinnen, ohne Anwältin oder Anwalt, unverständlich war.

Die Polizei hat schlecht mit uns kommuniziert und
vieles war unklar.

Einzelne Beamt*innen haben sich in ihren Aussagen widersprochen und wirkten mit der Thematik
allgemein überfordert.

Ach ja, liebe Steuerzahler*innen: Die Kosten des Anwalts des Beschuldigten in Höhe von 3807.20 Schweizer Franken wurden vom Staat bezahlt.

 

Es reicht

Mit diesem Artikel wollen wir darauf aufmerksam machen, wie sexuelle Belästigung für Frauen in der Schweiz bereits alltäglich geworden ist und wie wenig darüber gesprochen wird. Das darf so nicht sein und soll auf keinen Fall so bleiben! Dies ist ein Fallbeispiel, das wir selbst erlebt haben. Es ist eines von vielen. Unsere Gesellschaft setzt sich nicht gerne mit solchen schwierigen Themen auseinander. Sexualisierte Gewalt jeder Art ist ein rotes Tuch, vor allem für diejenigen, die es sich in den diskriminierenden Strukturen der Schweizer Gesellschaft, Kultur und Politik gemütlich gemacht haben.

Es geht auch dich was an! Bei näherer Betrachtung des eigenen Umfelds muss meist festgestellt werden, dass es viel mehr von sexueller Belästigung betroffene gibt, als vermutet.

Wir haben viel Zeit investiert und letztendlich haben unsere Bemühungen rechtlich zu wenig geführt. Trotzdem sind wir froh, haben wir Anzeige erstattet und jede von uns würde es wieder tun. Wenn wir können, müssen wir uns wehren. Wir wollten den Beschuldigten mit seiner Tat konfrontieren und zeigen, dass auf solche Straftaten Konsequenzen folgen. Wir hoffen, dass ihn das Erlebnis dieses Verfahrens in Zukunft davon abhält, Wiederholungstaten zu begehen. Wenn nicht, wird sich die Staatsanwaltschaft bei erneuten Anzeigen nicht mehr auf das Argument «Aussage gegen Aussage» stützen können.

Er beging eine Straftat, die für ihn nicht unwesentlicher hätte sein können. Es ging dabei um sein «Vergnügen», dessen Konsequenzen wir allein tragen sollten.

Wir waren zu sechst und hatten die Kapazität, uns zu wehren. Dabei hätte jede x-beliebige Frau da auf den nassen Kacheln sitzen können. Eine, die mit einer solchen psychischen Belastung nicht umgehen kann. Eine, die keinen Schweizer Pass besitzt und Angst davor hat, abgeschoben zu werden. Eine, die jeden Tag fürs Existenzminimum schuftet und kein Geld und keine Zeit hat. Wie gut könntest du mit solch einer psychischen und teils auch physischen Belastung umgehen? Eine von uns hat schlussendlich psychologische Hilfe aufgesucht.

Dieser ganze Scheiss, weil ein Typ uns als seinen persönlichen Porno missbraucht hat.

Blöder Wichser!

 


 

Sie sagen, es war nichts Persönliches,
Nicht gegen mich.

Was sie wirklich sagen:
Ich bin austauschbar mit jeder x-beliebigen Frau.
Und da haben sie wahrscheinlich recht.
Aber auch dies kann die Tatsache nicht ändern,
dass nicht jede x-beliebige Frau da auf den
nassen Kacheln sass,
durch die dicke Luft nicht atmen konnte.
Da sass, während die Sekunden verstrichen,
und der Schweiss Tropfen bildete,
an der Haut runter rann.
Versuchte, diesen Schweiss anzuhalten,
der an jener Haut brannte,
vor Ekel vor sich selbst,
vor Ekel vor diesem Mann
und vor allem vor Scham,
obwohl es keinen Sinn ergab, sie zu fühlen.
Ich war es.
Sie sagen,
ich war es nicht als Mensch,
ich war es ja als Frau.

Ist das nicht genau,
wieso die ganze Sache so schlimm ist?