Medienplatz Bern Text: jrm | Bild: rex & Charlie Blaize

Keine Zukunft in privaten Händen

Im Herbst 2020 besiegelte die Leitung des Medienkonzerns TX Group das Ende des «Berner Modells». Mit ihm endet auch ein Konstrukt aus zwei vermeintlich unabhängigen Tageszeitungen: dem Bund und der Berner Zeitung. Kaum jemand war von dieser jüngsten Entwicklung überrascht, der Widerstand blieb aus. Und jetzt?

Als «Non-News» könnte die Zusammenlegung der Berner Zeitung (BZ) und des Bunds bezeichnet werden. Spätestens mit der Bekanntgabe eines Sparziels von 70 Millionen Franken im Bereich der Tages­zeitungen war für die Mitarbeiter*innen des Bunds und der Berner Zeitung im Sommer 2020 klar, dass ihre Tage in konkurrierenden Redaktionen wohl gezählt sind. So er­zählt es eine Quelle im Umfeld der Tageszeitungen dem m*. Kurz darauf werden die Personalkommissionen aktiv und erzielen – zur Überraschung der Belegschaft – einen direk­ten Dialog mit der Tamedia-Leitung. Dann folgt die böse Überraschung: In einer Videokonferenz stellen die Verant­wortlichen der Tamedia, Geschäftsleiter Marco Boselli und Co-Geschäftsleiter Andreas Schaffner, die beiden Redakti­onen vor vollendete Tatsachen. Von der angekündigten Dis­kussion über die Zukunft der Berner Medienlandschaft ist keine Rede mehr – Ende Gelände für die zwei Redaktionen.

Die Botschaft ist klar: Eine Zusammenlegung hat auch Entlassungen zur Folge. Bereits 2009 musste der Bund ums Überleben kämpfen. Damals wurde die Tageszeitung von einer Vollredaktion auf je ein Kultur- und Lokalressort re­duziert. Wie sich eine Wiederholung dieser Situation für langjährige Mitarbeiter*innen anfühlt, berichtet eine be­troffene Person: «Es widerstrebt mir, gegen die jüngeren Kolleg*innen zu kämpfen. In diesen Zeiten wieder eine Stelle zu bekommen, ist schwer, der Verlust schmerzt umso mehr.» Tatsächlich kann diese Person auf einen möglichen «Plan B» ausweichen – doch das sei bei vielen nicht der Fall, die ausserhalb des Journalismus kaum Berufserfahrungen aufweisen.

Unmut herrscht nicht nur, weil Mitarbeitende um ihre Stellen bangen. Der Abbau wird auch direkten Einfluss auf die Berichterstattung haben, sagt ein Mitglied einer der aktuellen Kulturredaktionen: «Mit weniger Man- und Womanpower wird auch die Berichterstattung leiden. Das könnte heissen, das nun vermehrt über bekannte Persönlichkeiten berichtet wird. Um die Berner Subkultur zu begleiten, wird es eng.» Auch diese Person weiss von Medienschaffenden, die das Boot bereits verlassen haben.

Der Einheitsbrei droht

Solche Bedenken sind begründet. Mit ihren profitgesteu­erten Abbaurunden kürzt die TX Group in allen Bereichen Stellenprozente. So bleibt generell wenig Raum für kritische Berichterstattung, geschweige denn Qualität. Worin sich alle befragten Journalist*innen einig sind: Perfekt sei das Berner Modell zwar nicht, aber der Wettbewerb der zwei Tageszeitungen sei immerhin ein konstanter Ansporn, bessere Berichterstattung als «die andere Redaktion» zu produzieren. Leser*innen der Berner Tageszeitungen wird die zunehmende Frequenz an peinlichen Fehlern aufgefallen sein, seit der Konzern die Ka­pazität beim Lektorat einschränkte.

Gleichgültigkeit über die Haltung der beiden Redakti­onen herrscht derweil in der Teppichetage. Sowohl von der Bund-, als auch der BZ-Redaktion liegen dem m* Schrei­ben an Verwaltungsratspräsident Pietro Supino und die Geschäftsleitung der Tamedia vor. Bis Redaktionsschluss blieben sie unbeantwortet. Darin konfrontieren Bund-Journalist*innen den Konzernchef mit den Widersprüchen sei­ner Strategie hinsichtlich der lobenden Worte, welche dieser zum Anlass des 170. Geburtstags der Zeitung veröffentlichte.

Auch den Unmut der BZ soll der Konzern zu hören bekommen: Bei der Redaktion meldeten sich Leser*innen, welche bei einer Fusion der Zeitungen auf ihre Abo-Verlän­gerungen verzichten möchten. Das überrascht wenig, denn das neue Medium wird wohl zwei Erscheinungsbilder haben, doch der Inhalt droht zum kompletten Einheitsbrei zu werden. «Eine Verarschung der Leser*innen, die so für dumm verkauft werden» nennt dies ein Mitglied einer der Redak­tionen und doppelt nach: «Die ehrlichere Variante, nur eine Zeitung zu verlegen, würde ich mehr respektieren.»

Im Anschluss auf die unbeantworteten Briefe verfasst die Belegschaft eine Resolution mit drei einfachen Forderun­gen: Transparenz, eine Antwort auf ihre Korrespondenzen und einen Sozialplan. Anfang Februar 2021 kommt aus Zü­rich eine Reaktion auf dieses Dokument. Die Konzernleitung hält fest, dass genauere Informationen über die Fusionspläne im zweiten Quartal 2021 folgen werden. Ausserdem bestätigt die Tamedia Verhandlungen mit den Personalkommissionen über einen Sozialplan. Diese seien bei stillem Beisitz der Gewerkschaft Syndicom und des Verbands Impressum seit September 2020 in Gang. Anlass für Kritik am Mangel an Reaktionen und Transparenz, sehen die Unterzeichnenden – Marco Boselli und Andreas Schaffner – nicht.

Erwähnenswert ist, dass mit den finanziellen Einsparungen durch die Zusammenlegung nicht per se eine Krise bekämpft werden soll. «Marco Boselli bezeichnete Quersub­ventionen innerhalb des Konzerns während der Videokonfe­renz als «sinnlos»», erinnert sich ein Betroffener gegenüber dem m*. Bei der TX Group geht es nicht darum, Medien zu betreiben – auch nicht, wenn ihre Zahlen schwarz sind – sondern, die Profitmarge um jeden Preis zu maximieren.

Planlose Medienförderung

«Im Vergleich zu 2009 herrscht bei der Belegschaft eine gewisse Resignation», erzählt uns eine Quelle. Das hänge vor allem damit zusammen, dass damals in der Bevölkerung reger Widerstand herrschte. Dieser blieb nun aus – im Gegensatz zur damals breit abgestützten «Rettet den Bund»-Kampagne. 2009 setzten sich unter anderem Simonetta Sommaruga, Alec von Graffenried oder der damalige SBB-Verwaltungsratspräsi­dent Ulrich Gygi für den Bund ein. Sie kämpften «gegen ein Pressemonopol in Bern».

Nun hielten sich Reaktionen bis Ende 2020 in Grenzen. Im Dezember behandelte der Stadtrat eine dringliche Interpel­lation des nicht mehr wiedergewählten GFL-Stadtrats Michael Burkard. Die Antwort des Gemeinderats wurde als Prüfungs­bericht abgelegt. Sie erwägt, die demokratiepolitisch relevan­ten Einbussen bei der Berichterstattung der lokalen Medien beispielsweise mit dem Einkauf von SDA-Stellenprozenten zu kompensieren. Burkard, Sekretär des Berufsverbands Impres­sum geht das zu wenig weit: «Agenturmeldungen entsprechen der Grundversorgung – für eine Regierung reicht es natürlich, um den Inhalt ihrer Communiqués zu verbreiten. Hingegen verstummt zusammen mit dem kritischen, vielfältigen Journalismus ebenfalls die Stimme der Parlamente.» Für eine effektive Medienförde­rung müsste der Gemeinderat nach Burkards Auffassung auf Diversität durch lokale Publi­kationen wie dem m*, Journal B oder RaBe setzen. Zudem ver­weist er auf die wachsende Wichtigkeit von Quartierpublika­tionen, gerade im Kontext von künftigen Gemeindefusionen. Sonst drohen viele lokale Themen von der Berichterstattung übersehen zu werden.

«Die aktuelle Medienpolitik entspricht einem klassischen Marktversagen», kommentiert Burkard. In seinem Prüfungs­bericht spielt der Berner Gemeinderat mit dem Gedanken, die SRG als mögliches Substitut für private Medien zu nutzen. Doch für den Initianten des Vorstosses mangelt es hier ange­sichts der demokratierelevanten Rolle der Presse an Weitsicht: «Ich denke eher an Konstrukte, die sich am Vorbild der unab­hängigen Wissenschaftsförderung durch den schweizerischen Nationalfonds orientieren. Oder wir versuchen lokal Neues und errichten neue Fördermodelle wie zum Beispiel Stiftungen.»

Eine diverse Medienlandschaft ist möglich

Damit trifft er einen wunden Punkt. In seiner Antwort lässt der Gemeinderat selbst verlauten, dass direkte staatliche Förderinstrumente demokratisch im besten Fall bedenklich seien, vor allem wenn diese sich nur an bestimmte Kanäle richteten. Sie können daher keine alleinige Lösung sein. Klar ist auch, dass in Bern politisch weder der Wille, noch die Mittel vorhanden sind, den Monopolisten TX Group zu bän­digen. Das Gegenteil ist der Fall, denn der Milliardenkoloss erpresst die Politik: Vor der Bekanntgabe des Kahlschlags klopfte Pietro Supino beim Gemeinderat an. TX Media könnte das Amtsblatt, den angeschlagenen «Anzeiger Re­gion Bern», übernehmen und mit staatlichem Auftrag vertreiben. So bestünde für Supino allenfalls die Möglichkeit, von der Zusammenlegung der beiden Tageszeitungen abzusehen. Anschaulicher lässt sich ein strukturelles Problem einer Demokratie kaum illustrieren.

Die Enteignung und Zerschlagung des TX-Imperiums ist eine Utopie – keine kurz- und mittelfristig umsetzbare Lösung. Folglich bleibt bloss ein Ausweg: Den Aufbau eigener Medien. Hier herrscht Interpretationsspielraum, wie sich kürzlich zeigte. Der Schaffhauser Verleger Norbert Bernhard fühlt sich zum Beispiel genötigt, seinen bürgerlichen Traum einer «Neuen Berner Zeitung» zu verwirklichen. Privat – versteht sich. Womöglich etwas weniger opportunistisch, aber nicht weniger realitätsfremd, tritt der Verein «Courage Civil» um Politberater Mark Balsiger auf. Auf Nachfrage verweist dieser auf eine Medienmitteilung zur Lancierung einer Umfrage, die den Aufbau eines «neuen Onlinemediums» in Aussicht stellt. Finanzierung und Format lassen die Ver­fassenden offen. Ihre Vorbilder: Medien wie die Basler Bajour, die Zürcher Republik oder die Luzerner Zentralplus. Anfang Februar hebt das Berner Journal B her­vor, dass diese Vorbilder derzeit in erster Linie durch die Gunst ihrer reichen Geldgeber*innen überleben. Bestehende Berner Presse-Publikationen wie das Journal B selbst, das _ und an­dere werden von «Courage Civil» mit keinem Wort erwähnt.

All die Fantasien privater Medienunternehmer*innen müssen per se kein Grund für Panik sein. Basisdemokrati­sche Ansätze liegen auf der Hand. Mögliches Credo: Eine di­verse, kritische Medienlandschaft kann kollektiv verwaltet werden, um bestmöglich ihren Informations-, Kontroll- und Aufarbeitungsaufträgen nachzugehen. Die Krise der Berner Medienlandschaft ist für Journalist*innen in der Tat bitter. Doch dieses systemisch bedingte Versagen, das einer knall­harten Profitlogik privat verwalteter Medien entspringt, ist auch eine Gelegenheit, in die Bresche zu springen. Don’t hate the media, be the media.

Aufgrund der unsicheren Lage wollten alle befragten Journa­list*innen nur anonym über die Pläne der TX Group sprechen.