José Alfredo wurde vor fünf Jahren gegen seinen Willen in die psychiatrische Klinik Santa Isabel in León, Spanien eingewiesen. Dort erhielt er eine psychiatrische Diagnose, die ihn seither psychiatrischem Zwang in der Form von Medikation und Freiheitsentzug aussetzt. Bereits 2021 hatte José deswegen im Kampf um seine physische und psychische Autonomie gestreikt. Dieses Mal hat er einen Protestbrief verfasst, indem er sich als Sozialist positioniert und das System Psychiatrie kritisiert. Die nachfolgenden Informationen zu seiner Situation stammen aus seinem Protestbrief, sowie von seiner Supportgruppe. Diese besteht aus von ihm selbst ausgewählten Personen und es ist bewusst kein Familienmitglied Teil dieser Gruppe. Das Personal des Zentrums kommuniziert jedoch seit Beginn des Hungerstreiks nur mit Josés offizieller Familie.
Zwangsernährt und abgekapselt
Am fünften Tag des Streiks wurde José Alfredo von den übrigen Insass*innen der Psychiatrie isoliert, weil er sich weigerte, mit seinem Psychiater zu sprechen. Seither ist er faktisch in psychiatrischer Einzelhaft. Seine Habseligkeiten wurden ihm weggenommen und Besuche wurden ihm verboten. Der 14. Januar war der letzte Tag, an dem seine Supportgruppe mit ihm kommunizieren konnte. An dem Tag erfuhr die Gruppe, dass er mittlerweile zwangsernährt und sediert wird. Das Personal begründete diese gewaltvollen Massnahmen gegenüber der Supportgruppe mit seinem Gesundheitszustand und leugnete den politischen Charakter des Protests.
Als José’s Unterstützer*innen daraufhin juristische Unterstützung zum Schutz seiner Rechte anforderten, verweigerte das Krankenhauspersonal José den Zugang zu einer Anwaltsperson – obwohl laut spanischem Gesetz jede Person, die in psychiatrischer Obhut ist, das Recht auf Verteidigung hat. Doch bei zwangseingewiesenen Personen wie José kann das Grundrecht auf juristische Unterstützung eingeschränkt werden. Dies dann, wenn eine Person basierend auf der Einschätzung der Psychiater*innen als «unfähig» befunden wird, den eigenen Gesundheitszustand zu beurteilen. Wer sich unter diesen Umständen zu wehren versucht, läuft Gefahr, infantilisiert zu werden oder dass emotionale Reaktionen wie Wut oder Frustration als Symptome der diagnostizierten Störung pathologisiert werden. So geschah es im Fall von José Alfredo, welcher durch die medikamentöse Zwangssedierung zusätzlich in seinem Handlungsspielraum beschränkt wird.
Doch auch wenn José’s Recht auf eine juristische Vertretung anerkannt würde, gäbe es weitere Hürden. Das spanische Rechtssystem stösst im Bereich der psychiatrischen «Versorgung» regelmässig an seine Grenzen, was meist zu Ungunsten der Insass*innen ausfällt: Es gibt nicht genügend Anwält*innen, welche auf psychische Gesundheit und Psychiatrisierung spezialisiert sind. Die öffentlichen Rechtsdienste sind oft überlastet und behandeln Fälle von Zwangseinlieferungen in Psychiatrien mit tiefer Priorität. Die bürokratischen Prozesse sind ausserdem langsam und werden schlussendlich von denselben Systemen kontrolliert, die auch für den institutionellen Machtmissbrauch verantwortlich sind.
Die Systematik psychiatrischer Gewalt
In Spanien sammeln Kollektive wie Orgullo Loco Madrid, Zoroa Gam Bilbo und Insania Barcelona seit mehreren Jahren Zeugenaussagen zu psychiatrischer Gewalt. Sie dokumentieren viele ähnliche Zeugnisse wie jene von José. Die CCDH (Bürgerkommission für Menschenrechte) in Spanien hat zudem öffentliche Berichte über psychiatrischen Missbrauch zusammengestellt. Darunter sind verstörende Beispiele wie der Einsatz von Elektroschocks als Therapiemethode: Im März 2023 liess sich Iván, damals minderjährig, aufgrund einer psychotischen Episode freiwillig in das Provinzkrankenhaus Conxo in Santiago de Compostela (Galicien) einweisen. Die Ärzte aktivierten daraufhin das Antisuizidprotokoll und ein Richter genehmigte gegen den Willen von Iván und seiner Familie eine Elektroschocktherapie. Obwohl Elektroschocks in vielen Ländern aufgrund ethischer Implikationen und Nebenwirkungen wie vorübergehendem oder dauerhaftem Gedächtnisverlust verboten sind, verteidigt sie die spanische psychiatrische Gemeinschaft weiterhin als «therapeutisches Mittel» für bestimmte Diagnosen. Diese Praktiken erinnern stark an Taktiken faschistischer Repression in Spanien, die, getarnt als medizinische Behandlung, bis in die Gegenwart fortgeführt werden.
Ein weiteres Beispiel ist die gängige Pathologisierung von queeren Menschen. Nachdem Homosexualität 1990 von der Liste der Geisteskrankheiten entfernt wurde, ist zwar seit 2018 «Transsexualität» 2018 ebenfalls keine eigene offizielle Krankheit mehr. Doch in Spanien ist für den Zugang zu Hormonbehandlungen oder Operationen immer noch eine psychiatrische Diagnose der Geschlechtsdysphorie erforderlich – was auch rechtlich gesehen im Widerspruch zur geschlechtlichen Selbstbestimmung gemäss dem spanischen Transgender-Gesetz von 2023 steht.
Menschen wegsperren – in Gefängnissen wie in Psychiatrien
Der Logik des Wegsperrens folgen auch andere Institutionen wie Asylcamps, Pflegeheime, Zentren für Suchtkranke und Gefängnisse. In all diesen Institutionen geschehen Verletzungen von Grundrechten im Namen von Pflege, Sicherheit und Rehabilitation und die Grenzen sind oft fliessend. Gerade Polizei und Psychiatrie sind strukturell stark verbandelte Institutionen, wie auch die Praxis der Zwangseinweisungen zeigt, die meist von der Polizei durchgeführt wird. Der anarchistische Gefangene Abel Mora Campos, der seit zehn Monaten in Spanien im Gefängnis sitzt, kritisiert, dass man im Gefängnis ebenfalls zu einem medikamentenbeladenen Automaten werde. Auch in Gefängnissen werden Menschen gezwungen, sich einem medizinischen Behandlungsprogramm zu unterziehen, welches von einer Gruppe aus sogenannten Expert*innen und der Geschäftsleitung überwacht wird.
Doch selbst wenn man die Ähnlichkeiten im protokollarischen Vorgehen des Personals in beiden Zentren – Gefängnis und Psychiatrie – anerkennt, stellt sich die Frage, warum die Kritik in der Gesellschaft (und insbesondere in Räumen sozialer Kämpfe) immer noch selektiv ist? Warum geniessen psychiatrische Krankenhäuser weiterhin eine soziale Legitimität, die auf Pflege und Schutz beruht, wenn ihr Fokus historisch gesehen auf der Kontrolle von Dissident*innen, Frauen, queeren Personen, People of Color und Armutsbetroffenen basiert? Alle Gefängnisse sind strukturelle staatliche Gewalt. Die eine Form in Frage zu stellen, ohne auch die anderen zu hinterfragen, bedeutet, sich an der Unterdrückung sozialer Kämpfe sowie am emotionalen und psychischen Leid von nicht-normativen Menschen mitschuldig zu machen.
So können wir den Streik unterstützen
Viele Informationen und Updates zum Streik von José Alfredo sind auf seiner Support-Website und in den sozialen Medien verfügbar. Personen der Supportgruppe haben mehrmals versucht José zu besuchen, doch sie wurden weggewiesen. Von ausserhalb der Klinik gingen Anrufe und Beschwerden ein und in ganz Spanien wurde auf Plakaten und bei Veranstaltungen über den Vorfall informiert. Auch aus der Schweiz ist es möglich, mittels herunterladbaren Materialien wie Plakaten, Vorschlägen für Protestbriefe und der Briefadresse von José Alfredo den Streik zu unterstützen.
www.huelgajosealfredo.weebly.com
Die Unterstützung von Menschen mit psychiatrischen Erkrankungen ist eine nicht-hegemoniale politische Haltung gegenüber institutioneller Gewalt. Daher ist es wichtig, dies aus einer transfeministischen, antiableistischen und antirassistischen Perspektive zu tun. Diese soll darauf beruhen, die Realität jeder einzelnen Person anzuerkennen, ohne die Person zu infantilisieren oder zu pathologisieren. Es ist insbesondere wichtig, autonome Entscheidungen von psychiatrisierten Personen zu unterstützen und anzuerkennen, dass Medikamente und psychiatrische Behandlung nicht die einzigen Lösungen sind.
Unterstützen wir uns gegenseitig, vermeiden wir die Reproduktion von Machtdynamiken, welche die Unterdrückung verstärken und fördern wir alternative Gesellschaftsräume, in denen wir uns ausdrücken können ohne verurteilt oder stigmatisiert zu werden.