Woher kommt die BGB? Text: ffg | Bild: leo

Eine Stadt - zwei Gemeinden

Der Burgergemeinde Bern (BGB) gehört rund ein Drittel des bernischen Bodens. Und damit mehr, als der Einwohnergemeinde. Bereits in früheren Ausgaben des m*, die sich mit der Waldpolitik beschäftigten, war die auch von der BGB die Rede. Im Folgenden wird versucht, die Wurzeln, Entstehung und Weiterentwicklung der BGB zu beschreiben – und die Konflikte rund um den sogenannten Gemeindedualismus, der Bern bis heute in «Einwohner-» und «Burgergemeinde» teilt.

Wenn das Wort «Burgergemeinde» fällt, weht beim Aussprechen ein Hauch Geschichte mit. So beginnen wir am besten vorne, um uns der facettenreichen Geschichte der BGB und der Stadt Bern zu nähern. Bern wurde 1191 von Berchthold von Zähringen gegründet; Mitte des 13. Jahrhunderts erhielt sie vom römischdeutschen Kaiser den Titel «freie Reichsstadt». Dieser Status liess Bern weitgehend autonom agieren und expandieren. Mitte des 14. Jahrhunderts stieg Bern auf und wurde 1536 zum grössten Stadtstaat nördlich der Alpen – die Stadt war also zum Staat geworden, der immer grössere Gebiete eroberte und beherrschte. Mitbestimmen konnte im Staate Bern – wie zu jener Zeit üblich – nur ein kleiner Teil der Gesamtbevölkerung – die sogenannten «Burger¹». Nur ein Teil der Burger wiederum stellte die eigentliche Machtelite dar, die Politik, Verwaltung, Handel etc. bestimmte: das sogenannte Patriziat. Im Folgenden wird weitgehend aufs Gendern verzichtet, da es sich bei der BGB um eine über weite Strecken männlich dominierte Institution handelt.
Das nachgewiesene Entstehen von organisatorischen Einheiten namens «Burgergemeinden» im Gebiet des heutigen Kantons Bern ist laut der BGB-Forscherin Katrin Rieder in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts anzusiedeln² (die BGB, wie wir sie heute kennen, wurde aber erst 1832 gegründet). Zu unterscheiden sind die Begriffe des Patriziats und des Burgertums. Als «Patrizier» (lat. «Schutzherr») bezeichnete man seit 1651 diejenigen Burger, die regieren durften. Als «Stadtburger» solche, die regimentsfähig waren – also politische Mitsprache und Zugriff auf Staatsämter und Stadtgüter hatten, aber nicht regieren konnten. Ausserdem wurden 1643 viele Familien als «ewige Einsassen» eingetragen – was ihnen fortan lediglich Zugriff auf die Burgernutzen (z.B. Holz aus Wäldern) und das Recht auf Armenhilfe garantierte, sie von Ämtern und dem Regieren jedoch ausschloss. Gemäss Rieder bildete sich diese «Oligarchisierung» erst durch die soziale Praxis im 17. und 18. Jahrhundert heraus. Dem voran ging die Schliessung des Burgerrechts, also den Aufnahmestopp von Neuzuzügern. Dadurch entstand die ausschliesslich auf Blutsverwandtschaft basierende Weitergabe des Burgerrechts – das reduzierte die Anzahl burgerlicher Familien von 540 (1650) auf 73 im Jahre 1785. Diese starke Hierarchisierung und Monopolisierung innerhalb der regimentsfähigen Burger führte zu Konflikten und Spannungen. Die heutigen Burger*innen waren (und sind) also keine homogene oder gleichgestellte Einheit. Neben Patriziat, Burgern und «Ewigen» blieb die Mehrheit der damaligen Stadtbewohner*innen ohne Rechte – sie waren Untertanen («Hintersassen») und konnten keine Häuser erwerben, mussten eine Art Jahressteuer bezahlen und konnten keine Armenhilfe beziehen.

Konflikte: Der Kampf um die Zukunft der BGB und die neue Einwohnergemeinde
Nach Napoleons Einmarsch 1798 in Bern und seiner Umgestaltung der Schweiz waren Patriziat und Burger zur Abdankung gezwungen. Im Rahmen der Restauration, die Napoleons Abzug folgte, bauten sie aber eine rechtlich abgesicherte Körperschaft auf, um eigene Privilegien zumindest teilweise in die neue Zeit hinüberzuretten: Die – bis heute existierende – Burgergemeinde Bern (BGB). Zwischen 1831 und 1833 konstituierte sich der Staat Bern neu: Der Kanton war nun zur massgebenden politischen Grösse geworden; die Stadt Bern nur mehr eine unter vielen anderen ähnlich berechtigten Gemeinden. Dagegen wehrte sich das Patriziat mit allen Mitteln. 1832 wurde die Burgergemeinde Bern als öffentlich-rechtliche Körperschaft gegründet, die sich selbst mit den Aufgaben der Verwaltung des Burgerguts (den Besitz) und der Armenverpflegung betraute. Daneben sprossen im ganzen Kanton neben den neuen Einwohnergemeinden «Burgergemeinden» aus dem Boden, mit denen ihre Mitglieder die Privilegien erhalten wollten.
Ab 1833 stand fest, dass es bis auf weiteres einen Gemeindedualismus geben wird. Die Auflösung oder Überführung der alten Burger-Güter, Burger-Gelder, usw. in die neue Einwohnergemeinde wurde zwar von progressiven Akteur*innen verfochten, scheiterte aber am Widerstand der Burger, an Doppelbesetzungen (Patrizier, die zum Beispiel gleichzeitig dem burgerlichen Parlament und der Einwohnergemeinde vorstanden) und an konservativen Politikern. Das schuf eine paradoxe Situation im Gebiet der Stadt und Teilen des Kantons Bern: Vermögenswerte wie Land, Gebäude, Flächen und Gelder blieben in Besitz der neugegründeten Burgergemeinde, die stadtpolitischen (oder «munizipalen») Aufgaben, die neu der frisch gegründeten Einwohnergemeinde zufielen, mussten also weitgehend ohne ökonomische Ressourcen bestritten werden.

Die Güterausscheidung 1848 – 1852
Der Druck seitens des Kantons und des Bundes, die widersprüchlichen und anachronistischen Verhältnisse zu klären, blieb auch nach der Gründung des Bundesstaates 1848 aufrecht. Burger und ehemalige Patrizier waren auch in der jungen Einwohnergemeinde Bern gut vertreten. Die Güterausscheidung erfolgte weitgehend im Sinne der Burgergemeinde: Die Einwohnergemeinde erhielt nicht einmal einen Drittel des Gesamtvermögens zugesprochen, die BGB behielt etwa zwei Drittel. Somit hatte sich an der paradoxen Situation im Vergleich zu 1833 wenig geändert – bloss waren die Burger jetzt vertraglich abgesichert. Ausserdem bot ihr kurioser rechtlicher Status vielfältige und fragwürdige Möglichkeiten: So waren die Burgergüter als «Privateigentum» deklariert und verbrieft. Die BGB übernahm jedoch weiterhin staatsbürgerliche Aufgaben für ihre Mitglieder wie die «Armenpflege» oder Kompetenz zur Ausstellung von offiziellen Dokumenten. Aber auch burgergemeindeintern gab es Unruhen. Die Jahrzehnte der internen Konflikte über die Partizipation an burgerlichen Institutionen und die Verteilung des «Burgernutzen» sowie Versuche, die BGB zu enteignen, zu verkleinern oder ganz abzuschaffen, werden als «Burgersturm» bezeichnet. Katrin Rieder beschreibt in ihrem Buch «Netzwerke des Konservatismus», wie sich die BGB immer wieder erfolgreich gegen die verschiedenen Revisions- oder Revolutionsversuche von innen und aussen zur Wehr setzen konnte.
Die BGB veränderte sich in den 1880er-Jahren und passte sich strukturell gewissermassen der Einwohnergemeinde an. Ab Mitte der 1880er-Jahre begann der Streit um die Stellung der BGB leiser zu werden. Der «Burgersturm» schwächte sich zum Lüftchen ab – die BGB konnte aufatmen.

Heute³
Das heutige, vor allem kulturpolitische, Engagement der BGB ist neben seinem realen Nutzen für Institutionen, Veranstaltungen und Privatpersonen auch ein Weg, um sich selbst zu legitimieren – ganz ähnlich wie in den bernischen Wäldern die eigene, profitorientierte Forstwirtschaft mit der Waldpflege legitimiert wird (Siehe m* 476). Allgegenwärtig sind auch in der heutigen Stadt die Repräsentant*innen des alten Patrizier-Berns: Die Burger finanzierten – zumeist erst Mitte des 19. Jahrhunderts, also in Zeiten des politischen und gesellschaftlichen Umbruchs – einen Grossteil der Altstadt-Statuen oder entschieden mit, welche Strassen nach welchen alten Geschlechtern benannt werden sollten. Hiermit schlugen die Burger raumgestaltende Pflöcke ein, die das «alte Bern» auch in der Moderne sichtbar verankern sollten. Ebenso gehört der BGB das Naturhistorische Museum, womit sie auch direkt über einen gesellschaftlichen Erinnerungsort verfügt.
Bis heute sind also die «staatlichen» Güter und Gelder Berns geteilt – der BGB gehört auch heute noch rund ein Drittel des Bodens der Stadt. Gemäss Katrin Rieder stehen für die Burger bei ihrer Bodenpolitik drei Dinge im Vordergrund: Renditeorientierung, Stabilisierung durch eine Bodenvorratspolitik und das kulturpolitische Anliegen der Altstadt-Bewahrung. Die aktuellen Einnahmen der BGB stammen nach eigenen Angaben zu 90% aus Liegenschaftserträgen. Der Grundwiderspruch rund um die Burgergemeinde Bern ist und bleibt also, dass im revolutionären 19. Jahrhundert die neu entstandene, demokratischere Einwohnergemeinde Bern lediglich einen Teil der staatlichen Gelder sowie des Bodens erhielt (und erhält). So existieren heute gewissermassen zwei Staaten nebeneinander – mehr oder weniger still und friedlich mit einigen personellen Überschneidungen, wenn man beispielsweise in die Exekutive der Stadt Bern blickt.4

Leseempfehlung: Rieder, Katrin (2008). Netzwerke des Konservatismus. Berner Burgergemeinde und Patriziat im 19. und 20. Jahrhundert. Zürich: Chronos.

1 Burger (und somit auch Bürger) leitet sich ursprünglich von Burg ab; beschrieb also diejenigen, die in einer Burg hausten.
2 Es gibt in vielen bernischen Gemeinden bis heute «Burgergemeinden». Ihre Geschichten sind betreffend ihrer Entstehung ähnlich wie diejenige der Bernischen Burgergemeinde; jedoch war die stadtbernische die mit Abstand grösste und mächtigste.
3 Zu den aktuellen Strukturen der BGB besuche mensch die Webseite der BGB – www.bgbern.ch.
4 Alec von Graffenried und Michael Aebersold sind Mitglieder der Burgergemeinde.