Geschlechterrollen Text: Wolfgang A. Gokart | Bild: Alvin Reber

Männlichkeits-BlaBla

Die Männlichkeit in der Krise? In Werbespots und Rundfunkbeiträgen ist Männlichkeit derzeit ein beliebtes Thema. Die Diskussionen sind aber nicht zielführend, im Gegenteil, teilweise werden fragwürdige Ansichten vermittelt.

Was passiert, wenn sich René Schudel und Toni Bortoluzzi über toxische Männlichkeit unterhalten? Was klingt wie der Anfang eines guten Witzes, ist in Wahrheit ein schlechter. Der SRF-Club zum Thema «Männlichkeit», zu dem nebst Toni und René noch vier andere Männer eingeladen waren, die sich gemeinsam eine Stunde lang verbal um begriffliche Definitionshoheit prügeln, zeigte vor allem das Problem auf, anstatt Lösungen anzubieten. Das Problem der verunsicherten Männer, die sich nicht oder nur ansatzweise mit ihrer Geschlechterrolle auseinandersetzen können.

Eine erneut aufflammende Diskussion

Vielerorts wird proklamiert, Männlichkeit befände sich in einer tiefgreifenden Identitätskrise. Diese neuerliche Diskussion um Männlichkeit und deren Anpassungsfähigkeit wurde zu grossen Teilen von einer Rasierer-Marke mitinitiiert. In deren bekanntem Werbespot, der unter dem Slogan «the best a man can get» steht, werden Männer ermutigt, toxisch-männliche Verhaltensweisen abzulegen und ihr stereotypes Rollenbild zu überdenken – konkret: keine Frauen zu belästigen, niemanden zu schlagen, und vor allem andere darauf aufmerksam machen, dass sie das auch nicht tun sollen. Der Werbefilm schlug hohe Wellen und löste eine Lawine an Feedback aus. Die Online-Reaktionen zum Werbefilm sind grösstenteils negativ. Kommentator*innen sprechen von Indoktrination, Heuchelei und dem Kampf gegen die moralische Erziehung durch grosse Unternehmen. Die im Werbefilm angeprangerte «toxic masculinity» ist ein seit #metoo vermehrt verwendeter und seit einiger Zeit inflationär auf den Facebook-Timelines auftauchender Begriff. Toxische Männlichkeit beschreibt eine Vereinigung von männlichen Verhaltensweisen und Eigenschaften, die negativ – also toxisch – auf Männer und ihr Umfeld wirken. Darunter fallen Eigenschaften wie übertriebene Risikobereitschaft, Überheblichkeit, Übergriffigkeit, die Unfähigkeit über eigene Gefühle zu sprechen und Schwäche zu zeigen. Häufig wird der Begriff der toxischen Männlichkeit oberflächlich verwendet, sodass er nur zur Zweiteilung eher männlich gedeuteter Eigenschaften in «gute» und «schlechte» genügt. Einer differenzierten Betrachtung von patriarchalen Strukturen und Rollenzwängen hält die einfache, dichotome Verwendung des Begriffs jedoch nicht stand. Ein besseres Werkzeug zur kritischen Analyse von Männlichkeiten bietet die Soziologin Raewyn Connell mit dem Begriff der «hegemonialen Männlichkeit». Darunter wird die gesellschaftlich rela tiv akzeptierte Männlichkeit verstanden, die momentan Weiblichkeiten und andere Formen von Männlichkeiten unterdrückt. Interessant an dieser Definition ist, dass es nicht eine «Männlichkeit» gibt, sondern verschiedene, die in einem hierarchischen System geordnet sind. Wie die hegemoniale Männlichkeit 2019 etwa aussehen könnte, kann man erahnen, wenn man «Mann» in einer Suchmaschine eingibt und sich die Bilder ansieht: Weiss, zupackend, wahrscheinlich heterosexuell.

Luzius’ Manne

In dieser Männlichkeitsdebatte wollte auch das Schweizer Fernsehen mitmischen. Nebst dem «Club» zum Thema, brachte SRF auch den DOK-Film «Manne» von Luzius Wespe, der am 13. Dezember letzten Jahres zum ersten Mal ausgestrahlt wurde. Darin sucht der Filmemacher angeblich nach der Antwort auf die Frage, was ein richtiger Mann sei. Die Auswahl der Film-Protagonisten spricht für sich; Ein Jäger, einer, der mit Autos kann und ein Typ, der zur Auseinandersetzung mit der eigenen Männlichkeit Schwitzhüttenseminare besucht. Der Filmemacher hält sich zu Beginn des Films im Hintergrund (hinter der Kamera) und beginnt mit der Zeit, Persönliches einzubringen. Seine Probleme, besonders die in seiner Beziehung, geraten im Verlauf des Films in den Mittelpunkt. In einer Szene sitzt der Filmemacher mit einem seiner Protagonisten auf einer Bank an einem Weg in der Natur. Luzius Wespe spricht von der strengen Erziehung durch seine feministische Mutter. All die political correctness habe dazu geführt, dass er sich viele Sachen nicht mehr zu sagen traue, gerade im Liebesleben fehle ihm häufi g das Vokabular. Geht dir das auch so? Sein Gesprächspartner stimmt ihm zu. Er würde seiner Freundin manchmal auch gerne sagen «So, itz dräi di um, i wett di vo hinger…». Doch wegen political correctness und dem Feminismus sei so etwas heute verboten. Das Problem des vermeintlichen Verbots ist, dass es keines gibt. Es gibt keine political correctness, die dem Mann verbieten würde, seine Freundin um das Ausprobieren einer neuen Stellung im Bett zu bitten – wenn auch nicht auf diese Art. Das Imaginieren von Verboten – von moralisch höhergestellten Instanzen – ist Ausdruck eines angeblichen Kampfes zwischen den eigenen Bedürfnissen und der Moral von Feminist*innen und Gutmenschen, der so aber gar nicht geführt wird. Dieser Kampf gegen die «Unterdrückung durch den Feminismus» wird in Wespes Film gleichsam inszeniert, wie in den Online-Kommentaren zum Rasierer-Werbespot. Toni Bortoluzzi beschreibt Männlichkeit im SRF-Club gar als «Kampf um Wibli», der von «überbordendem Feminismus » bedroht werde. Dass das öffentlich-rechtliche Fernsehen Ansichten wie diese mehrmals unkritisch darstellt, ist zumindest fragwürdig. Der «Kampf», der in Publikationen am rechten Rand zum «Geschlechterkampf» hochstilisiert wird, wird einseitig geführt. Während feministische Kämpfe eine gerechtes ausgeglichenes Geschlechterverhältnis erreichen wollen, sehen sich konservative, weisse Männer dadurch in ihrem Selbstverständnis bedroht und reagieren angriffig. So wird Feminismus als Sündenbock verwendet. Als Sündenbock für Verunsicherung, für gesellschaftlichen Abstieg von weissen Männern, als angeblicher Zensor dessen, was man noch so sagen dürfe.

Hinterfragen und bekämpfen

Auch wenn wir in einer linken Bubble über die Hilflosigkeit eines Luzius Wespe lachen können, wenn wir die Wutbürger in den Kommentaren unter dem Rasierer-Werbefilm lustig finden, wenn Toni Bortoluzzi uns mehr als seniler Idiot denn als ernstzunehmende Person erscheint – eine Verurteilung solcher Männlichkeiten löst diese nicht auf. Während weibliche Rollenbilder in feministischen Strömungen seit Jahrzehnten kritisch hinterfragt werden, kennen die meisten Männer solche Auseinandersetzungen mit der eigenen Geschlechtsidentität und damit verbundener Rollen weniger. Dies kann eine selbstverschuldete Verunsicherung mit sich bringen, da die berechtigte Infragestellung der männlichen Rolle Männer teils unvorbereitet trifft. Diese Auseinandersetzung – ob in kritischen Männlichkeitsgruppen oder im Gespräch mit Freund*innen – ist im Moment aber bitter nötig. Toxisch-männliche Verhaltensweisen sind auch in ach-so-reflektierten Kreisen keine Seltenheit – diese gilt es zu bekämpfen. Andererseits gilt es eigene Rollen zu reflektieren, weil die «Krise der Männlichkeit» nicht zwingend eine Krise der männlichen Position in der Gesellschaft ist. Alte Rollenbilder wackeln glücklicherweise und werden vielerorts aufgebrochen. Nur weil sich Rollenbilder verändern, verändert sich aber kein System. Der Werbefilm der Rasierer-Marke bietet ein gutes Beispiel: Auf der Webseite der Werbeagentur «Grey», die für den Rasierer-Spot verantwortlich ist, brüstet sich die Agentur mit zahlungskräftigen Kunden. Hier lächeln dem*der Besucher*in auch die Führungspersönlichkeiten auf Schwarzweissfotos entgegen. Unter zehn vorgestellten Mitarbeitenden auf Führungsebene findet sich eine Frau. In der Werbeagentur hat die männliche Dominanz auch in Zeiten männlichkeitskritischer Werbefilme Bestand. Männer müssen zur Abschaffung solcher Ungleichheiten in die Verantwortung genommen werden. Die meisten heterosexuellen cis-Männer, egal wie reflektiert sie sind, profitieren vom Patriarchat. Die oben erwähnte Soziologin Connell schreibt in ihrem Buch «Der gemachte Mann» von einer «komplizenhaften Männlichkeit». Längst nicht alle Männer entsprechen den idealtypischen hegemonial-männlichen Normen. Viele der anderen Männer profitieren aber von der «patriarchalen Dividende». Damit gemeint ist der Vorteil, der für einen Grossteil der Männer durch die Aufrechterhaltung patriarchaler Strukturen durch die hegemoniale Männlichkeit entsteht. Die «Krise der Männlichkeit» ist nicht aus der Luft gegriffen. Vieles verändert sich und die Rolle des weissen Mannes verliert ihre Selbstverständlichkeit, zeigt sich daher inkompatibel mit neuen Gegebenheiten. Nur wäre es in diesem Fall angebrachter, das Ganze als «Chance» denn als «Krise» zu bezeichnen. Eine Chance wäre es, wenn es gelingt, den Diskurs mitzugestalten und ihn nicht PR-Agenturen und dem SRF zu überlassen. Hier sind alle gefragt, denn wenn nur Toni Bortoluzzi, René Schudel und Luzius Wespe uns erzählen, was «Männer» zu tun haben, läuft es schief.