Text: Tom

AM ANFANG WAR DAS (ANALOGE) WORT

Mit dem «Megaphon» vom analogen ins digitale Zeitalter. Ein leicht nostalgischer Rückblick.

Am Anfang war das Wort. Nicht im biblischen Sinne, sondern im Radio. Es war der 17. November 1987. Ich war 17 Jahre alt, war im ersten Lehrjahr und sortierte im ersten Stock des Betreibungsamtes an der Speichergasse Zahlungsbefehle – ich weiss nicht mehr, ob nach Datum, Betreibungsnummer oder Alphabet. Netterweise durfte ich dabei – in angemessener Lautstärke – Radio hören. 11-Uhr-Nachrichten: Das «Freie Land Zaffaraya» war von 200 Polizisten geräumt worden. Fand ich Scheisse. Ich wusste zwar nicht viel über das «Zaffaraya», nur dass es zwischen Marzili und Eichholz lag – im Sommer 1987 waren Freunde und ich mal dran vorbeigelaufen – und dass offenbar zwei Typen von der Nachbarsdorf-Pfadi dort wohnten.

Zeitungen, Radios und TVs waren voll mit dem Thema Räu- mung. Regionaljournal Bern, Schweiz Aktuell, Tagesschau, die beiden Lokalradios und evtl. sogar das sich im Versuchsbetrieb befindliche TeleBärn. Alle interviewten fast nonstop die bürgerliche Stadtregierungsmehrheit. die linksgrüne Opposition und Zaffaraya-Symphatisant*innen. Währenddessen wurde fleissig gegen die Räumung demonstriert: in der Innenstadt, im Bahnhof und donnerstags am liebsten durch den rolltreppenreichen Loeb.

Am Samstag nach der Räumung war wieder Demo in der Innenstadt. Die Lokalradios Förderband und ExtraBern wurden besetzt und sendeten für ein paar Stunden als «Radio Zaffaraya». Und ich – anstatt an die Demo zu gehen – hörte draussen in der Agglo begeistert «Radio Zaffaraya».

 

Nachrichten aus dem nahen Freiraum

Irgendwann in diesen Tagen verteilten Aktivist*innen die erste Ausgabe des zu Beginn wöchenlich später monatlich erscheinenden «Megaphon». Anfangs ein Bewegungsblatt wegen der «Zaffaraya»-Räumung, später Zeitung aus der Reitschule mit Tendenz zum linksautonomen Kampfblatt,

Ich weiss nicht mehr, wann genau ich das erste «Megaphon» in den Händen hielt. Sehr wahrscheinlich nachdem ich im Sommer 1988 das erste Mal in der Reitschule war. Für mich eine spannende Lektüre, vor allem die letzte Seite, wo sämtliche Gruppen samt Sitzungszeiten aufgelistet waren, die in der nach der «Zaffaraya»-Räumung definitiv wiedereroberten Reitschule aktiv waren. Eine lange Liste. Da ich nicht viele Leute in der Reitschule kannte und so- mit der Zugang ein wenig schwierig war, abonnierte ich das «Megaphon», um die weiteren Entwicklungen und die Sicht der Bewegung mitzukriegen. Woraufhin ich von meinen liberalfreisinnigen Eltern belächelt wurde – es sei schon noch härzig, dass ich mich für Politik interessiere.

Analog für den rebellischen Freiraum

Neben dem «Megafon» gabs auch noch die «Telefonzytig». Diese bestand aus einem Anrufbeantworter, der regelmässig mit Meldungen, Demoaufrufen und Veranstaltungstipps besprochen wurde. Diese Art von Info-Medium gab es schon zur Zeit der 1980er-Bewegung (Tonbeispiele sind unter sozialarchiv.ch zu finden)

Über das Tee-Stübli (im Dachstock!), Telefonzytig, der Cafeteria (alkoholfrei!), Wohnen in der Reitschule-WG und dem Infoladen landete ich irgendwann mal in der «Megafon»-Redaktion. Neben Artikel-Schreiben, dem «Falten» (Kollektives Zusammen- stellen der Einzelblätter, Bostitschen mit der legendären Bostitsch-Maschine, die jetzt im Innenhof thront) verteilte ich auch «Megas» an verschiedene Läden (Frauen-Kiosk Länggasse, Postgassladen etc.).

Mitte der 1990er Jahre gabs dann die Fusion des «Megaphon» mit der entstehenden Reitschule-Programm-Zeitung zum «Megafon». Dies war neben einem reitschuleinternen Bedürfnis auch eine der Konsequenzen aus dem düsteren Jahr 1992 (2 Schusstote, Entstehung des Reitschule-«Manifest»).

Es werde digital

Das «Megaphon» wurde ursprünglich noch schreibmaschi- nengeschrieben, gezeichnet, zusammengeklebt und -kopiert, – so wie mensch es schon zu den bewegten «Drahtzieher»-Zeiten in den frühen 1980ern getan hatte. Das änderte sich mit der Zeit.

Während in der ersten Hälfte der 1990er Jahre die Genoss*innen vom Infoladen Kasama in Zürich noch darüber stritten, ob mensch sich auf Computer einlassen sollte, hielten in der Reitschule schon zaghaft die ersten Computer Einzug. Zum Beispiel im Infoladen, um alle Bücher der Bibliothek zu registrieren (Ein Projekt, das wohl noch heute nicht vollendet wurde…). Und natürlich auch beim «Megafon», was Schreiben und Layouten enorm erleichterte.

Auch das Internet hielt langsam Einzug. 1994 hatte ich als einziger Reitschule-WG-Bewohner Internetzugang. Etwa 1995/96 registrierte ich in weiser Voraussicht die Domain reitschule.ch. Ein paar Monate später fand ich dank einem Hinweis im Internet eine deutsche Neonazi-Seite, die Namen und Adressen von «linken Zecken» publizierte. Mein werter Name war auch dabei – wegen der reitschule.ch-Registrierung. Das digitale Zeitalter hatte definitiv begonnen.