
Schon bevor ich in die Strasse, wo wir wohnten, einbog, roch man die Zwiebeln. Für eine Familienportion Bohnen hackte mein Vater vier bis fünf grosse Zwiebeln und presste sechs Knoblauchzehen in den mit Olivenöl bedeckten Pfannenboden, wo er die schwarzen, über Nacht in kaltem Wasser eingelegten Bohnen anbriet, bis es fast gefährlich heiss wurde und erst dann gab er Wasser dazu, so viel, dass der Pfannenspiegel eine Handbreite über den Bohnen lag. Da brutzelten die Bohnen vor sich hin und den knoblauchzwieblige Bohnendampf zog es auf die Strasse und ums Eck. Dort ging ich, vorher noch weinerlich wegen dem vollbepacktem Schulrucksack, verschwitzt von der Schneeballschlacht und angespannt wegen der schlechten Note, plötzlich fröhlich und schneller auf das Haus zu, als würden die Geruchsschwaden mich nach Hause tragen.
Argwöhnisch schaute die Nachbarin meinem Vater beim Kochen über die Schulter: «So viel Zwiebeln und so viel Knoblauch und so viel Salz!», das ging ihr nicht in den Kopf. Aber am Schluss ging sie immer zufrieden mit vollem Bauch und Resten für die ganze Woche in der Tasche nach Hause und ich glaube, ihre Kinder assen lieber bei uns.
Ein Junge, den ich traf, half mir nie beim Kochen, nie beim Abwasch, es war ganz schlimm. Er tat sich unfähig, genoss mein Essen und hatte nie ein Kompliment übrig. Seine Leidenschaften: Sport, Sneakers und Mansplaining. Wir trafen uns ein knappes Jahr, schauten zusammen mittelmässige Filme und hatten nie Streit. Einmal, das letzte Mal, sah er mir wieder beim Kochen zu, er sass in meiner Küche gegenüber von mir am Esstisch, hatte immer noch seine North Face Daunenjacke an. Ich hasste es, wenn er in der Wohnung seine dumme Jacke nicht gleich auszog. Ich war gerade dabei die Zwiebeln zu schneiden, ihre Schalen lagen zwischen uns auf dem Tisch verteilt. Aufmerksam betrachtete er das grosse Küchenmesser, welches in meiner Hand lag, auf und ab glitt, die violetten Zwiebelhälften in feine, weisse Scheiben trennte. «Du machst das falsch», meinte er zu mir. «Was?», ich, er: «Du schneidest die Zwiebeln falsch». Wo ich mein ganzes Leben schon Zwiebeln schneide. Das Messer lag jetzt reglos in meinen Händen, der Zwiebeldampf stieg mir ins Gesicht, die Wut brannte mir im Hals. Das war der letzte Tropfen.
Später möchte ich am Dorfrand in einem Haus mit grossem Garten leben, wo nur Zwiebeln wachsen, in allen Arten und Farben. Dort backe und koche ich jeden Tag Zwiebelkuchen und Zwiebelsuppe und werde ganz rund. Jeden Morgen stehe ich auf, um mich um die Zwiebeln zu kümmern und abends sitze ich auf der Veranda und schaue zu, wie meine Zwiebeln langsam in der schweren Dunkelheit der Nacht verschwinden. Und wenn ich alt bin, meine Hände faltig, die Fingernägel violett verfärbt vom ewigen Zwiebeln schneiden und mein Körper müde von der schlauchenden Gartenarbeit, liege ich zu meinen Zwiebeln in die Erde und verwandle mich selbst in eine Zwiebel und überwuchere mit all meinen Zwiebelfreundinnen zuerst den Garten, dann die Ruine meines Hauses, dann allmählich das ganze Dorf.