Berner Rap Text: daf, ffg, xrg | Bild: daf

Ernsthafter Humor

Musik für die Polit-Bubble und feierwütige Reitschulbesucher*innen: Die Chaostruppe lädt auf ihrem neuen Album «Umverteilig (zu üs)» dazu ein, in ihren Mikrokosmos einzutauchen. 17 Songs – teils ironisch, teils ernster, abgerundet mit humorvollen Skits. Das megafon sprach mit Tilt, Tiggr, Migo, Dubios, MQ, 200BPM und Theo Äro.

m*: Das Album ist fertig, die ganze Welt spricht über Corona. Die Plattentaufe muss verschoben werden etc. Wie geht ihr mit der jetzigen Situation um?

Tiggr: Ich finde es eigentlich ganz angenehm. Jetzt muss ich meiner Frau nicht erklären, weshalb ich in den nächsten Wochen für Konzerte durch die halbe Schweiz reise.

Migo: Ich finde es sehr schade, dass wir im Mai keine Tournee machen können. Das nervt (lacht).

Tilt: Ich finde Corona richtig scheisse und es kackt mich an.

Wie habt ihr die Arbeit mit so vielen Künstler*innen erlebt? Wie lange dauerte es vom Projektbeginn bis zum Albumrelease?

MQ: Angefangen haben wir 2015. Zuerst wollten wir einen Sampler machen. Doch dann haben wir gemerkt, dass es uns mehr Spass macht, zusammen ein Album zu schaffen, an dem alle miteinander arbeiten. Diesen Prozess erlebten wir als organisch und das Projekt ist dann einfach gewachsen.

Tiggr: 90% der Chaostruppe-Mitglieder sind ADHS-Kinder, das ist nicht zu unterschätzen (lacht).

200BPM: Wir hätten schon für unsere Leistung, 15 Leute auf dem Album zu versammeln, eine Auszeichnung verdient. Es ging relativ gut, auch wenn wir alle sehr kritisch waren mit dem Projekt. Wir haben eine Art Schwarmintelligenz entwickelt.

Tiggr: Wir haben manchmal fast mit der ganzen Gruppe im Keller geschrieben. Dabei gab es viele Themenvorschläge für Lieder. Bei den schlechten hat niemand etwas dazu gesagt und es herrschte komplette Stille. In diesem Moment wusstest du: Das war wohl kein guter Vorschlag.

Tilt: Ich fand es richtig nice, dass da so viele künstlerische Identitäten zusammengekommen sind.

MQ: Ich fand es auch super, dass sich viele Leute aus ihrer eigenen Komfortzone herausgewagt haben und über Beats oder Themen gerappt haben, die sie sonst nicht auswählen würden. Das gab eine spannende Dynamik.

Das Album ist ein Mix aus Ironie und ernsthafter Gesellschaftskritik. Was war der rote Faden?

MQ: «Zäme schaffe mirs!»

200BPM: Ich denke «ernsthafter Humor» ist unser Motiv, etwa wie bei Filmen, die ernst sind, aber die Menschen trotzdem zum Lachen bringen.

Dubios: Der rote Faden sind die Skits.

Tilt: Das Album hatte zuerst keinen roten Faden, da es zuerst nur viele geile einzelne Songs waren. Durch die Skits wurde eine Verbindung hergestellt und so ergab sich zusammen mit der Reihenfolge eine Dramaturgie.

Tiggr: Wir haben bemerkt, dass wir etwas Grösseres verkaufen und uns dabei an der Umverteilung beteiligen. In diesem Fall die Umverteilung zu uns. Ob mit fairem Handel oder unfairem Handel könnt ihr entscheiden. Aber eigentlich ist Handel immer unfairer Handel.

MQ: Word.

Tilt: Es gibt keinen unfairen Handel, solange wir daran verdienen.

Dubios: Word.

Auf einigen Tracks werden «falsche Lebensweisen» kritisiert. So ist zum Beispiel Chia-Samen kaufen schlecht. Erdbeeren im Winter kaufen ist schlecht. Drogen nehmen, je nachdem, nachvollziehbare Ausflucht oder: schlecht. Wie könnte denn ein richtiges Leben aussehen?

Tiggr: Wir bieten schon Lösungsvorschläge, z.B. dass man auf dem Handy in den Flugzeugmodus wechselt.

MQ: Wir sagen ja nicht schlicht was falsch ist und was richtig, sondern wir beziehen die Themen meistens auch auf uns. Wir wollen nicht fingerpointen.

Theo Äro: Zum Teil ist es auch Selbstreflexion. Ich denke nicht, dass das Album eine Blaupause für die Revolution ist, die wir anzetteln wollen. Leider.

200BPM: Es ist eine originelle Art von Selbstkritik, wo liegen eigentlich meine eigenen Fehler? Selbstreflexion und Selbstkritik – dadurch lernt man mehr, als mit dem Fingerzeig.

Dubios: Dort, wo man Kritik übt, muss man nicht immer eine Lösung parat haben. Wichtig ist, dass die Person, die die Kritik aufnimmt, erkennt, dass es sich um eine solche handelt. Lösungswege muss er oder sie letztlich selber finden – chli öppis muesch schono säuber mache.

Tilt: Ein schlauer Mensch hat einmal gesagt, dass es «kein richtiges Leben im falschen» gibt.

Migo: Ich würde unterschreiben, dass es kein richtiges Leben im falschen gibt. In vielen Lines wird dorthin geschossen, wo sich Menschen selbst sehr wohl fühlen: in der ganzen Konsum-Geschichte. Bei meinen Lines ging es darum, jenen Menschen ins Schienbein zu kicken, die das Gefühl haben, mit angepasstem Konsum könnte man die Welt in Ordnung bringen und sich in diesem Weltbild zu wohl fühlen.

200bpm: Ich finde, dass Kritik auch nicht nur einmal angebracht werden sollte. Man muss sie immer wieder wiederholen. Wir haben kein Wissensproblem, sondern ein Handlungsproblem.

Was hat es mit dem Strick auf dem Album-Cover auf sich?

Migo: Der Strick ist eine Goldkette und diese Kette ist ein Hip-Hop-Symbol. Es soll aufzeigen, dass dieser «pure Hip-Hop Bling-Bling» ins Nichts führt.

Tilt: In meinen Augen ist der Strick auch ein Symbol für Suizid, da es aufzeigt, das Geld dich nicht vor den echten Problemen schützt. Die sozialen Probleme werden nicht kleiner, nur weil jemand viel Geld hat.

Ihr greift auf dem Album viele Themen auf. Oft seid ihr zynisch oder sarkastisch unterwegs. Wie fest glaubt ihr daran, dass man diese Gesellschaft ändern kann?

Dubios: Jeder hat eine andere Meinung zu dieser Thematik, aber ich persönlich glaube daran, dass etwas geändert werden kann. Ich glaube aber nicht, dass es diesen einen Weg gibt, um etwas zu ändern. Und noch weniger glaube ich daran, dass dies ein*e Musiker*in ändern könnte.

Theo Äro: Ich denke wir werden als Berner Rapper*innen mit dem Medium Musik nicht wahnsinnig viel verändern. Aber wir verstehen unsere Musik auch als Einladung in unseren Mikrokosmos, sich mit Leuten zu umgeben, die man fühlt. Auf dem Album hat es viele Einladungen, um sich dazugehörig zu fühlen.

MQ: Was man sicher erreichen kann, sind Denkanstösse für die Hörer*innen. Wir wollen Menschen beim Nachdenken bestärken und Diskussionen anstossen. Generell habe ich das Gefühl, dass es schwierig ist, effektiv etwas zu verändern, besonders mit Musik.

Tiggr: Ändern tut sich sowieso was. Aber zu wissen, welchen Einfluss der Einzelne hat, ist sehr schwierig einzuschätzen.

Tilt: Ich finde man sollte Rap nicht unterschätzen, weil Musik die Menschen bis zu einem bestimmten Grad politisiert. Ich persönlich habe sehr viele Inputs durch Rap erhalten und habe dadurch begonnen, mir über gewisse Sachen Gedanken zu machen. Sogar ein Buch in die Hand genommen habe ich, und ich könnte mir vorstellen, dass es jüngeren Menschen auch so gehen könnte, die dieses Album hören. Ausserdem habe ich die Hoffnung, dass sich das Ganze doch noch in eine positive Richtung verändern könnte, obwohl ich viel zynische Musik mache. Einen Funken Restnaivität sollte man sich unbedingt auch in diesen verrückten Zeiten erhalten.

Migo: Ich denke, Musik hat einen grossen Einfluss darauf, ob Menschen politisiert werden. Das wurde uns auch persönlich vielfach so zurückgemeldet, und ich finde das huere geil. Wir machen Rap nicht mit dem Ziel, eine Revolution zu starten, sondern das Revolutionäre ist ein Aspekt unserer Musik. Ich bin genug naiv zu sagen, dass ich Hoffnung habe, die ganze Welt könnte sich ändern. Manchmal hat die Chaostruppe zynische Momente, aber eigentlich würde ich niemanden von uns als zynisch bezeichnen.

Habt ihr das Gefühl, dass das Album den Leuten Mut macht? Oder geht es mehr in die Richtung, dass ihr den Leuten einen Spiegel vorhaltet?

Dubios: Ich hoffe beides.

Migo: Wir haben im Album Themen aufgenommen, die im Moment von der Bildfläche weggedrängt worden sind. Zum Beispiel alles was Flucht angeht, wird nicht mehr thematisiert, da alle nur noch über das Corona-Virus sprechen und sich ganz Europa abschottet. Daher ist es gut, dass wir auch diese Themen zurück ins Gespräch bringen.

Tilt: Dieses Album ist in meinen Augen eher ein Kritik- als ein Hoffnungs-Album.

200BPM: Neben der Kritik ist es für mich dennoch auch ein Hoffnungs-Album. Es braucht Mut solche Themen anzusprechen, wie wir sie im Album behandeln. Genau diesen Mut aufzubringen wollen wir auch den Hörer*innen übermitteln. Die Menschen sollen sich darüber unterhalten und heikle Themen ansprechen.

Ich finde nicht, dass diese Themen besonders viel Mut brauchen, um angesprochen zu werden. Sie sind sehr wichtig, ohne Zweifel, ja. Darüber sprechen tun heute alle irgendwie.

Migo: Ich denke wir sprechen Themen an, die schon erwähnt worden sind, aber du bewegst dich in einer Bubble, einer Politszene, wo alles schon diskutiert worden ist. Wir mit unserer Musik auch, aber nicht nur. Der grosse Teil unserer Hörer*innen sind nicht Leute, die sich schon in Gruppen organisiert haben. Es sind Menschen, die zwar vielleicht bei der Reitschule feiern gehen, aber nicht unbedingt Menschen, die dort in einer Gruppe aktiv sind, und für viele unserer Hörer*innen sind diese Themen zumindest teilweise neu.

Theo Äro: Es ist wichtig, dass wir unseren persönlichen Themen treu bleiben. Dadurch gelangen wir automatisch zu politischen Themen. Ich finde es wichtig, dass wir letztere immer wieder ansprechen. Es kommen laufend neue Generationen, die noch nicht politisiert sind, die in ein neues Umfeld kommen. Wenn junge Menschen unsere Musik hören, können wir sie möglicherweise es bitzeli in eine Richtung stossen.

200BPM: Es braucht nicht nur technische Lösungen, sondern auch kulturelle und soziale Lösungen. Ich finde es durchaus innovativ, wenn Rapper anfangen, tiefergehend über Zusammenhalt in der Gesellschaft oder über Solidarität zu reflektieren. Das muss nicht unbedingt mutig sein, aber geht sicher in die richtige Richtung.

Dubios: Ich persönlich habe die Antworten auf viele Fragen, die ich stelle, nicht. Und ich denke, dass es viele Situationen gibt, wo es definitiv mutig ist, etwas überhaupt auszusprechen.

«Zu sagen was ist, bleibt die revolutionärste Tat». Ihr habt sehr viele wichtige Sachen gesagt und das Album ist sehr politisch, was wir bemerkenswert finden.

Migo: Ich denke, was noch kein Lösungsansatz ist, aber in eine gewisse Richtung geht ist, dass wir individuelle Konsumentscheide und dieses ganze Lifestyle-Gehabe kritisieren. Was wir aber bestärken ist der solidarische Gedanke, dass wir aufeinander aufpassen, dass wir uns gemeinsam organisieren. Die Chaostruppe gibt, wenn sie denn einen Lösungsansatz hat, mit auf den Weg: Zusammen sein ist wichtig und wir müssen uns zusammenschliessen. Bildet Banden.

Nun habt ihr 5 Jahre an eurem Album gearbeitet. Die Chlyklass hat auch gerade ein Album veröffentlicht. Sie sind eine Generation älter, aber auch ihr habt schon eine Generation von Musiker*innen unter euch, die jünger sind. Wir interessieren uns für den Aspekt Alter, wie geht ihr damit um? Rap machen ist ja eine Jugendblüte.

MQ: Wir ignorieren komplett, dass wir älter werden. In anderen Musikstilen kann man die Musik einfach weitermachen und niemand hinterfragt das Alter, da meistens das Publikum auch mit den Künstler*innen älter wird. Bei uns ist es so, dass teilweise das Publikum auch älter wird, aber viele unserer Zuhörer*innen sind Jugendliche und junge Erwachsene. Sie fühlen sich von unserer Musik angesprochen.

200BPM: Mani Matter war auch nicht 16 Jahre alt, als er Musik gemacht hat. Es kommt nicht darauf an, wie alt jemand ist, sondern ob man «à jour» bleibt im Kopf.

Dubios: Man muss dazu erwähnen, dass die Chaostruppe selbst altersmässig eine halbe Generation vereint. Zwölf Jahre Unterschied zwischen dem jüngsten und dem ältesten Mitglied. Das Alter spielt keine grosse Rolle.

Tilt: Ich habe auch schon Momente erlebt, wo mich der Altersunterschied befremdet hat, wenn ich etwa an einem Battle im Backstage mit Abstand der Älteste im Raum war. Aber Rap hat letztlich wirklich nichts mit Alter zu tun.

Merci viel mal für das Interview.

I däm Sinn, ässet nid gäube Schnee, z Beschtä chunnt nie, ade.