Wie geht es unserem Stadtwald? Text: fuh | Bild: rex & Charlie Blaize

Bremer, Dählhölzli & Co

Wer durch die Wälder rund um die Stadt Bern spaziert, trifft neben Joggerinnen, Hündelern und nächtlichen Raves auf ein Bild eines Waldes, der Spuren starker Nutzung trägt. Meterhoch sind Baumstämme neben den Wegen aufgetürmt. Nach Grösse und Qualität sortiert warten sie auf den Abtransport in die Sägereien. Dem Wald wurden breite Schneisen in die Bestände geschnitten – regelmässig und schachbrettartig angereiht. Hinter diesen Bildern liegt eine Planung, die von Menschen getroffen wird. Eine Planung, die ganz anders aussehen könnte.

Wald übernimmt verschiedene Funktionen in unserer Gesellschaft. Die Nutzung und der Nutzen werden in unserem sehr ausführlichen und verhältnissmässig fortschrittlichen Forstgesetz beschrieben und geschützt. Je nach Gebiet wird eine andere Funktion priorisiert: Es gibt den Schutzwald, den Erholungswald, Waldreservate und nicht zuletzt den Wirtschaftswald. Grundsätzlich werden mit Ausnahme der kleinsten Waldflächen wie z.B. dem Dählhölzli alle Berner Wälder zur Holzproduktion genutzt.

Alle Waldflächen in und um Bern gehören ausschliesslich der Burgergemeinde. Mit einem Besitz von 3666 Hektaren Wald ist sie der grösste Forstbetrieb der Schweiz. Geführt wird das Unternehmen vom ETH-Ingenieur Stefan Flückiger, der sich gerne als angesehen und innovativen Unternehmer im Gewerbe der Holzproduktion präsentiert. Dank ihm rühmt sich die Burgergemeinde als einer der letzten Schweizer Betriebe, der im aktuellen Holzmarkt noch schwarze Zahlen schreibt. Doch zu welchem Preis?

Ein kurzer Überblick

In der Welt der forstlichen Planung gibt es zwei sehr unterschiedliche Modelle, wie Profit aus einem Wald erwirtschaftet werden kann: den Wirtschaftswald und den Dauerwald.

Beim Wirtschaftswald wird mit Beständen gearbeitet, die jeweils eine Baumart führen und alle gleich alt sind. Vergleichbar mit Gemüsebeeten bei Gärtner*innen. Ein Wald besteht aus mehreren voneinander klar abgegrenzten aber in sich sehr gleichförmigen Bereichen. Pro Bestand gibt es eine Hauptbaumart, von der – sobald sie ihr «optimales» Alter erreicht hat – alle Exemplare komplett abgeerntet werden. Allenfalls gibt es noch die eine oder andere unbedeutende Nebenbaumart, die wirtschaftlich nicht interessant ist und nach dem Kahlschlag der Hauptbaumart meist ebenfalls entfernt wird, um die freie Fläche anschliessend neu bepflanzen zu können. Dadurch ist garantiert, dass nach einer Umschlagszeit von 30-50 Jahren wiederum effizient geerntet werden kann. Da grossflächig und radikal geerntet wird, können schwere Erntemaschinen, sogenannte Vollernter, eingesetzt werden. Deshalb wird für die Erschliessung dieser Bestände alle 30-100m eine «Rückegasse» eingerichtet. Sie funktionieren als Strasse für die mehrere Tonnen schweren Maschinen, die durch ihr Gewicht den Boden verdichten. Um den Schaden am Boden möglichst gering zu halten, werden diese Gassen fest und langfristig eingeplant. Auf diesen Flächen wird auch nicht aufgeforstet. Das entstehende Bild kennen wir: Regelmässige, grossflächige Räumungen und lange, tiefe Schneisen in den Wäldern, auf welchen nichts ausser Brombeeren wächst. Dazu Fahrspuren von Maschinen, die sich metertief in den Waldboden gegraben haben.

Der Dauerwald hat sich als Antwort auf die Problematiken des Wirtschaftswaldes in den letzten Jahrzehnten entwickelt. Der Wirtschaftswald wird mit der Zeit durch seine Einheitlichkeit anfällig auf Stürme, Pilzbefälle und den Borkenkäfer. Der Dauerwald nimmt sich eine natürliche Waldstruktur zum Vorbild. Es wird darauf geachtet, dass Bäume in verschiedenen Altersklassen und Grössen aber auch verschiedene Baumarten in einem Bestand wachsen. Nach dem Schlagen der einzelnen erntereifen, ausgewachsenen Bäume ist somit immer noch eine Struktur vorhanden. Es pendelt sich mit der Zeit ein fast natürlicher Zyklus ein. Bäume wachsen ohne Pflanzung nach und das Ökosystem wird erhalten. Die Nachteile liegen auf der Hand. Einsatzmöglichkeiten für Maschinen sind sehr begrenzt. Die Waldplanung ist mit viel mehr zeitlichem und personellem Aufwand verbunden. Der Wald jedoch bleibt resilient gegenüber Katastrophen wie Dürre, Windstürmen oder Käferbefall. Sterben einzelne Bäume ab oder werden gefällt, schliesst der bereitstehende Nachwuchs die Lücken sofort. Selbst wenn eine Baumart vollständig ausfällt (zum Beispiel, weil die Fichte nicht gut mit zunehmend trockeneren Sommern klarkommt), steht eine andere Art schon bereit, um den Platz einzunehmen.

Muss ein Wald überhaupt (noch) wirtschaftlich sein?

Der Schweizer Holzpreis ist so tief wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Ein Zusammenspiel von Borkenkäfern, mehreren Stürmen und dem starken Konkurrenzdruck aus dem Ausland haben dazu geführt, dass ein Forstbetrieb nach dem anderem die Sägen niederlegt und schliessen musste. Unter diesem Druck ist der Schritt zu einer intensiveren Bewirtschaftung und kostengünstigeren Methoden natürlich schnell gemacht. Maschinen kosten weniger als die Arbeitsstunden von Menschen und haben eine höhere Ausbeute. Es verwundert also nicht, dass die Burgergemeinde als profitorientierter Forstbetrieb diesen Schritt schon längst vollzogen hat. Ausserdem wird in der männerdominierten Forstwirtschaft die Rettung des Holzmarktes mit Methoden des nordamerikansichen Vorbilds immer noch stark angepriesen: Grössere Maschinen, effizienteres Arbeiten, Förderung von schnell wachsenden Baumarten wie zum Beispiel Douglasien. Die Burgergemeinde nimmt durch ihre Rolle im Holzmarkt hierbei auch eine fragwürdige Vorreiterrolle ein.

Gerade in urbanen Regionen sind Wälder wichtige Orte um sich zu erholen und spielen als schnell erreichbare Naturzonen eine pädagogisch wertvolle Rolle. Von Spaziergänger*innen über Waldspielgruppen bis zu Pilzsammler*innen ist das Leben in der Stadt immer auch vom Bild der umliegenden Wälder geprägt. Und genauso wie für die Berner Stadtplanung das Anlegen von Pärken oder die Naturalisierung der Aare wichtiger Bestandteil sind, nimmt auch die Planung und Bewirtschaftung der Wälder einen massgeblichen Einfluss auf das Leben in dieser Stadt. Die Berner Bevölkerung ist allerdings von jeglichem Mitwirken und Mitbestimmen, über diesen Aspekt der Stadtplanung ausgeschlossen. Wie würden die Wälder rund um Bern aussehen, wenn nicht ein gewinnorientierter, privater Forstbetrieb über das Aussehen der Wälder entscheiden würde, sondern die Nutzer*innen, die sich jeden Tag darin bewegen?

Ein Blick nach Zürich

Zürich hat als Pendant zu unserem Bremer und Grossem Forst den Sihlwald. Dieses Waldgebiet befindet sich in Besitz der Stadt und war bis vor 20 Jahren Hauptproduzent von Weisstannenholz in der Schweiz. Anzutreffen war ein Wald, der nach allen Regeln des Wirtschaftswaldes bewirtschaftet wurde. Dann jedoch stiess ein engagierter Stadtforstmeister eine Entwicklung an, die damit endete, dass das Zürcher Stimmvolk 2009 mit einem Ja-Stimmenanteil von 89% die Stilllegung der Holzproduktion und die Nutzung der gesamten Waldfläche als Wildnispark beschloss.

Heute entfaltet sich ein Naturspektakel entlang der Sihl. Der alte Wirtschaftswald ist kaum noch zu erkennen. Es werden keine Bäume mehr geerntet und auch nichts mehr gepflanzt. Abgestorbene Bäume, die ursprünglich geerntet hätten werden sollen, werden stehen- und liegengelassen. Das Totholz bietet Habitate für Flora und Fauna. Anstelle der Rückegassen und Forststrassen gibt es nur noch Trampelpfade, die durch das ansonsten schwer durchquerbare Dickicht führen. Die vom Borkenkäfer häufig befallenen Fichten sind verschwunden und werden nun natürlich durch Buchen, Eschen und Weisstannen ersetzt. Die ehemaligen Forstarbeiter*innen übernehmen jetzt Bildungsaufträge, führen Schulen und Interessierte durch die Natur und sind für das wissenschaftliche Biodiversitäts-Monitoring zuständig. Kurzum: der Wald erholt sich beobachtbar von seiner intensiven Nutzung und die Menschen freuen sich, in einem diversen und spannenden Wald zu spazieren und die Natur zu erleben.

P.S. In Bern hätte eine ähnliche Vorlage wie für den Sihl-
waldpolitisch wohl auch beste Chancen durchzukommen. Leider stehen unsere Wälder nicht unter demokratischer Kontrolle sondern gehören einem profitgeilen Wirtschaftskonzern.

 

Für alle, die sich etwas mehr über verschiedene Bewirtschaftungsformen und allgemein für unsere Wälder interessieren, empfehle ich die Plattform Waldwissen.net. Dort werden regelmässig wissenschaftliche Artikel aus den verschiedenen Domänen des Forstes publiziert. Von wirtschaftlichen Diskussionen bis zur Biodiversitätsforschungen finden sich Studien und anderes Material mehrheitlich aus Europa.