Widerstand Text: ffg | Bild: Alex Tiffler

80 Jahre «Operation Anthropoid»

Vor 80 Jahren gelingt in Prag, was als fast unmöglich galt: Der tschechoslowakische Widerstand verübt ein erfolgreiches Attentat auf die Nummer 3 in der Hierarchie von Nazi-Deutschland. Reinhard Heydrich stirbt an den Folgen des Attentates – das hat Folgen für die Zivilbevölkerung, den Widerstandsgeist in Europa und auf die Zukunft der Tschechoslowakei.

Heydrich war 1941 von Hitler beauftragt worden, das 1939 ins Deutsche Reich integrierte «Protektorat Böhmen und Mähren», also die damalige Tschechoslowakei und das heutige Tschechien und die Slowakei, zu verwalten und zu befrieden. Es handelte sich um wichtige Produktionsstandorte für die NS-Kriegswirtschaft. Der anfänglich schwache Widerstand gegen die Deutschen erstarkte nach dem Überfall auf die Sowjetunion am 6. Juni 1941 wieder. Die Nazis waren 1938 ins tschechoslowakische, aber mehrheitlich von Deutschsprechenden besiedelte Sudetenland einmarschiert; sie hatten an der Münchner Konferenz von Grossbritannien und Frankreich grünes Licht für den Einmarsch in ein erhalten. 1939, noch vor Kriegsausbruch, «verleibte» sich Deutschland auch die sogenannte «Rest-Tschechei» ein. Bekannt wurde die Politik der Zurückhaltung der Alliierten unter dem Begriff des «Appeasements», also der Beschwichtigungspolitik, wofür die Konferenz von München symbolhaft steht. Heydrich tat sich in Prag als erbarmungsloser Herrscher hervor. Er zerschlug den tschechoslowakischen Widerstand weitgehend – nur wenige Zellen konnten sich halten.

Die Rolle Heydrichs
Unter dem Akronym «HHhH» verbarg sich die Floskel «Himmlers Hirn heisst Heydrich». Es wird Hermann Göring, dem Reichsmarschall und damit Chef der Wehrmacht, zugeschrieben. Ob er das tatsächlich so sagte, ist unklar. Die Floskel spielt auf das strategische Geschick, die Intelligenz und die Skrupellosigkeit des Reinhard Heydrich an. Himmler, «Reichsführer SS», war nach Hitler die wichtigste Person im Nazi-Staat, weil er die SS, die SA, den Sicherheitsdienst, die Gestapo und viele weitere Organisationen mit polizeilichen, geheimdienstlichen und paramilitärischen Aufgaben unter sich hatte. Himmler war aber nie für praktische Weitsicht bekannt. Er hing stark völkisch-esoterischen Ideen nach und inszenierte sich gerne als in den Fusstapfen Heinrich I. stehend, dem ehemaligen König von Sachsen und Ostfrankreich (im 10. Jahrhundert). Heydrich, anfänglich kein Nationalsozialist, sondern bloss ein unehrenhaft aus der Marine Entlassener, kam erst durch den Kontakt zu seiner späteren Ehefrau Lina von Ostens 1930 in die NSDAP. Dort machte er in der Münchner SS unter Himmler Karriere, der in Heydrich einen talentierten und ehrgeizigen Parteigenossen erkannte. In wenigen Jahren stieg Heydrich in der SS auf und baute den «SD» auf, also den «Sicherheitsdienst», den ersten und wichtigsten Nazi-Geheimdienst. Später leitete er das «RSHA», das «Reichssicherheitshauptamt». Er war damit Hauptzuständiger für die Verfolgung von Sozialist*innen, Regimegegner*innen, Jüd*innen, aber auch parteiinternen Konkurrent*innen Hitlers wie Ernst Röhm. Am 20. Januar 1942 organisierte Heydrich in Berlin die Wannseekonferenz: Hier wurde die bereits laufende Vernichtungspolitik gegenüber den Jüd*innen mit administrativer und bürokratischer Kälte koordiniert und intensiviert.

Das Attentat
Durch die aussergewöhnliche Stellung Heydrichs im NS-Apparat und seine Rolle als «Reichsprotektor Böhmen und Mähren» galt er der tschechoslowakischen Exilregierung in England als potentielles Ziel. Neben der möglichen Destabilisierung des NS-Apparates waren vor allem auch patriotische Motive entscheidend, weil Heydrich die auch von England 1938/39 legitimierte deutsche Hoheit über die Tschechoslowakei repräsentierte. Mittels eines aufsehenerregenden Attentates, das sowohl durch Tschechen, als auch durch Slowaken durchgeführt werden sollte, würden der Zusammenhalt der Nation, die Wirkung auf die Alliierten und der Widerstand Aufschwung erhalten. «Anthropoid», eine wissenschaftliche Bezeichnung für höhere Primaten, fungierte als Decknamen und spielte damit auf die Rassenideologie der Nazis an.
Ende 1941 springen deshalb Jan Kubis, Josef Gabčík und sieben weitere Soldaten nahe Pilsen mit Fallschirmen ab. Fast ein halbes Jahr halten sich die beiden in verschiedenen Safe-Houses, also in Häusern, die von Widerstandsaktivist*innen bewohnt waren, in Prag auf und planen das Attentat. Am 27. Mai 1942 warten die beiden in einer Haarnadel-Kurve mit zwei Helfern auf den immer zu ähnlichen Zeiten vorbeifahrenden Heydrich. Gabčíks Gewehr klemmt, als er sich vors Auto wirft und feuern will. Kubis wirft seine Handgranate – sie explodiert. Die vier Attentäter flüchten, Heydrich wird verletzt. Das zunächst als gescheitert geltende Attentat gelingt doch, als Heydrich am 4. Juni aufgrund einer Infektion durch die Explosion stirbt.

Interne Uneinigkeiten und Folgen
Innerhalb des Prager Widerstandes führte die Operation Anthropoid, deren Vorbereitung sich ein Dreivierteljahr lang hinzog, zu Verwerfungen. Die Aussicht, Heydrich zu töten, versetzte einige Widerstandskämpfer*innen in Panik, waren die Nazis doch für ihre schrecklichen Vergeltungsmassnahmen gefürchtet. Hunderte Menschen verloren denn auch in Massakern in den Dörfern Lidice und Ležáky ihr Leben. Hunderte Menschen, die als Unterstützer*innen, Verwandte oder Bekannte der an den Attentaten Beteiligten galten, verloren nach Deportationen ihr Leben in Konzentrationslagern. Die genauen Todeszahlen der Vergeltungsmassnahmen sind unklar, Schätzungen gehen in die Tausenden.
Kubis, Gabčík und weitere Attentäter hielten sich nach der Attacke in der orthodoxen Kathedrale St. Cyril und Method versteckt. Durch den massiven Druck der Nazis und ausgeschrieben Belohnungen meldete sich schliesslich ein Widerständler und verriet sowohl die am Attentat Beteiligten als auch die Safe Houses. Dies führte zu brutalen Folterungen und Tötungen. Die Kathedrale wurde nach dem Verrat über Stunden von hunderten Soldaten belagert und mit verschiedenen Waffen attackiert. Die Krypta, in der sich die Attentäter versteckt hielten, wurde geflutet. Einige der Versteckten starben im Kugelhagel oder an Verletzungen, andere nahmen sich das Leben. Bischof Gorazd von Prag, der den Attentätern Schutz gewährt hatte, wurde ermordet, nachdem er die Verantwortung in der Hoffnung auf weniger Vergeltungsmassnahmen an Unbeteiligten auf sich genommen hatte.
Politisch wirkte sich das Attentat positiv auf die geforderte tschechoslowakische Souveränität nach dem Ende der Nazi-Herrschaft aus; Churchill und weitere Alliierte widerriefen die Abtretungen an Deutschland im Münchner Abkommen. Der Geheimnis-Verräter wurde nach dem Ende der deutschen Besatzung in Tschechien hingerichtet. Weitere hohe Nazis wurden in den Folgejahren in Polen und Belarus vom Widerstand exekutiert; Heydrich blieb aber der höchste je erwischte Nazi-Kader.

Nachwirkungen
Das erfolgreiche Attentat inspirierte viele Schreibende und Filmschaffende, zum Beispiel unmittelbar danach 1943 in «Hangmen also die!». Auch in den letzten Jahren kamen neue Filme zum Attentat ins Kino. Auch die Person Heydrich wurde zum 80. Jahrestag der Wannseekonferenz im Januar 2022 wieder einer breiteren Öffentlichkeit ins Gedächtnis gerufen.
Die «Operation Anthropoid» lässt beim Betrachten ein zwiespältiges Gefühl zurück. Wiegen die erreichten symbolischen und territorial-staatlichen Erfolge die Massentötungen Tausender auf? Kann die Tötung von Einzelpersonen ein grausames, bürokratisiertes und streng hierarchisches System sabotieren – oder rückt nur jemand (vielleicht noch Schlimmeres) nach? Inwiefern kann man angesichts dieser Auswahl zwischen «Schrecklich» und «Furchtbar» überhaupt noch handlungsfähig sein? Einfache Antworten gibt es nicht – was aber bleibt, ist die Erinnerung an den mutigen Widerstand verschiedenster Akteur*innen, die sich quer durch Politik, Militär, Kirche, Zivilgesellschaft und verschiedenen Widerstandsorganisationen zusammentaten, um einen der schlimmsten Menschen jener Zeit auszuschalten. Im Wissen darum, dass bei einem Erfolg das eigene Leben zu Ende ist.

Auswahl von Filmen zur Operation & zur Wannseekonferenz
• Anthropoid, 2016, Regie: Jean Ellis (CZ, UK, F)
• The Man With The Iron Heart, 2017, Regie: Cédric Jimenez (CZ, HN)
• Die Wannseekonferenz (Fernsehfilm, ZDF, 2021)
• Hangmen also die! (USA, 1943, eine Hollywood-Produktion durch die drei deutschen Exilanten Fritz Lang, Berthold Brecht und Hanns Eisler).

Das Museum «Topographie des Terrors» in Berlin befindet sich dort, wo sich früher Heydrichs «Reichssicherheitshauptamt» stand. www.topographie.de