Brennpunkt Schütz Text: ffg | Bild: daf

Zerstörung als Form von Kultur

Die Schützenmatte in Bern: Sie liegt zwischen Aare und Bahnhof, hinter Polizeikaserne und Kunstmuseum, sie grenzt an die Drogenanlaufstelle und die Reitschule. Die Schütz – ein Hexenkessel oder doch das Bermudadreieck? Vielleicht eher Sandbank, auf der die Verrückten stranden und die Links-Alternativen versuchen, erste Pflöcke ihrer Utopie einzuschlagen. Umkämpft, sowohl körperlich zwischen Staatsgewalt und Autonomen, sowie medial, zwischen allen Parteien und Akteuren, die in der Hauptstadt mitreden wollen.

Das megafon traf ein Jahr nach dem Start der dreijährigen Zwischennutzung vom Verein PlatzKultur einen der Initianten zum Gespräch. Zwischen Silos und Zelten, Holzgerüsten und Bussen auf Stelzen stellt sich heraus: Die Schützenmatte hat nach nur einem Jahr mehr Geschichten zu erzählen, als mancher Weltenbummler.

m: Hallo Pumba! Seit einem Jahr ist die Schützenmatte im Herzen Berns in eurer Hand. Auch damals haben wir uns zum Interview getroffen (megafon 436). Inwiefern hat sich das optische Bild der Schütz verändert? Und was war das Programm?

Pumba: Wir haben den Platz oft umgebaut. Es gab viele saisonale Wechsel und umfassende Bautätigkeiten; die Veränderung gehört zum Konzept. Der Platz zieht die Menschen an. Auch wegen den Inhalten und den vielen verschiedenen Akteuren. Es ist und bleibt ein Experimentierfeld: Die Schütz soll der interessanteste Platz der Schweiz werden!

m: Der Platz sorgt auf jeden Fall für Gesprächsstoff.

P: Dadurch, dass wir ein Projekt im Auftrag der Stadt führen, haben wir einen leichteren Stand als zum Beispiel die Reitschule.

m: Obwohl Reitschule und Schütz oft als eins wahrgenommen werden. Zumindest, wenn man sich in die Berner Aussenquartiere begibt.

P: Ja, das stimmt. Trotz dem, dass wir sehr anders funktionieren und einen anderen Auftrag haben.

m: Was ist denn euer Auftrag?

P: Die Bespielung des Platzes anhand partizipativer Prinzipien. Insgesamt haben wir viel Freiraum gehabt. Das ändert sich nun nach einem Jahr etwas.

m: Wieso?

P: Die Medienberichterstattung der letzten Monate war dominiert von Gewalt, Raub und Drogenhandel auf dem Platz. Um das zu bekämpfen, braucht es genügend Mittel und saubere Konzepte. Deshalb sind wir nun wieder stärker auf die Stadt zugegangen, um gemeinsam Lösungen zu erarbeiten. Es hilft nichts, sich in einem medialen Hickhack zu verfangen. Ausserdem werden wir in Zukunft stärker auf grössere Akteure setzen und längerfristige Verträge eingehen.

m: Was heisst «Partizipation» für euch? Haben sich eure Beteiligungskonzepte in dem Fall nicht bewährt?

P: Die Resonanz auf unser Konzept der offenen Schützenmatte war super. Es gab sehr viele Projekte. Allerdings sind wir nach einem Jahr auf der Schütz auch der Meinung, dass dieser Platz hartes Terrain ist. Er eignet sich nicht wirklich für kleinere Kunstprojekte, die Wert auf Etikette legen: Lagert man Material ungeschützt über Nacht auf der Schütz, ist es am nächsten Morgen kaputt. Tonfall und Umgang miteinander sind definitiv rauer, als sich das einige Veranstaltende gewöhnt sind. Wir sind nicht der Waisenhausplatz, wo man Möbel und Gegenstände einen Sommer lang sich selbst überlassen kann.

m: Es gibt also sehr unterschiedliche Praktiken, wie der Raum angeeignet wird? Dinge zu zerstören, ist auch eine Form von Kultur.

P: Das mag sein. Ich sehe dafür aber vor allem Perspektivlosigkeit und Geopolitik als Ursache. Wer keine Zukunftsaussichten hat, nur geduldet hier lebt, traumatisiert ist etc., weiss sich nicht anders auszudrücken. Vor allem, wenn dann noch Drogen jeglicher Couleur ins Spiel kommen.

m: Geopolitik?

P: Ja, vor allem aus Italien kommen wieder mehr Menschen hierher, die dort vertrieben wurden vom Salvini-Regime. Im Moment nehmen viele italienischsprechende Leute den Raum ein. Ausserdem schlafen fast jede Nacht Menschen auf dem Platz, die kein Obdach haben.

m: Wie reagiert ihr darauf? Ihr hattet doch sowas wie eine «Integrierbar».

P: Genau. Wir haben einzelne Mitglieder im Schütz-Team, die sich sehr gekonnt in diese informellen Strukturen auf dem Platz einleben. Auch, weil sie selbst Migrationshintergrund haben. Sie wurden sozusagen das offene Ohr für die Gestrandeten. Sie bauten Vertrauen auf zu den Leuten. Dadurch konnten wir der Stadt Bern dann auch zeigen, dass es andere Ansätze braucht als nur «mehr Polizei». Die Stadt unterstützt uns nun auch.

m: Die Stadt will ja nun «interkulturelle Soziale Arbeit » auf der Schütz fördern.

P: Da kommen dann Profis auf den Platz. Wann und in welchem Umfang genau, wissen wir noch nicht. Für grössere finanzielle Investitionen müsste der Stadtrat befragt werden. Im Moment haben wir selber einen Sicherheitsdienst angestellt, um die schwierigsten Zeiten abzudecken. Der wird aber finanziert von den Kollektiven, die sich an der Schütz beteiligen, und noch nicht von der Stadt.

m: Seid ihr vom Ausmass der Konflikte überrascht worden?

P: Schockiert hat uns nichts. Wir kennen den «Perimeter Schützenmatte» seit langem, mit Lärm, Graffiti, Exzess. Einzig die systematischen Raubüberfälle haben uns auf dem falschen Fuss erwischt. Darum mussten wir jetzt handeln.

m: Nun finanziert ihr den Sicherheitsdienst also erstmal selbst. Hat die Stadt da versagt? Immerhin treibt sie durch ihre Politik Arme, Obdachlose, Drogenabhängige und Freiraum-Liebende Richtung Reitschule – und somit auch Richtung Schütz. Geld gesprochen hat sie euch letztes Jahr aber nur für «Kultur».

P: Ich mache grundsätzlich niemandem einen Vorwurf. Wenn der Wille da ist, etwas zu verändern, finde ich das gut. Die Stadt ist als bürokratischer Apparat nicht leicht zu verändern. Ich bin allerdings auch erstaunt, wie wenig es die Öffentlichkeit kümmert, was hier alles so abgeht. Wir haben so viele Delikte, dass es andernorts Aufschreie und Sonder-Arbeitsgruppen gegeben hätte. Hier auf der Schützenmatte wird das alles schulterzuckend hingenommen.

m: Welche Rolle spielt die Polizei?

P: Die Polizei hat von der Stadt einen Schwerpunktauftrag. Der wird von der Anti-Drogen-Spezialeinheit «Krokus» ausgeführt. Krokus ist für Drogen zuständig, wobei Drogenhandel und -konsum für uns das kleinste Problem darstellen. Für anderes fehlten der Polizei scheinbar die Ressourcen. Erstaunlich, dass sie es doch regelmässig schafft, dreissig Mann und Frau in die Reitschule auf Dealer-Jagd zu schicken. Da muss sich dringend etwas ändern.

m: Gibt es Lösungsansätze für diese schwierige Situation?

P: Ich glaube, alle sind überfordert. Seit Jahren hat man hier im sogenannten Bermuda-Dreieck die gleichen Probleme. Nun haben sie sich noch mehr zugespitzt. Und trotzdem scheint man das hinzunehmen zu müssen. Problematisch ist für uns, dass wir geopolitische Ursachen nicht bekämpfen können. Wir wollen die Menschen, die sich nahezu nirgends ausser hier aufhalten können, nicht wegweisen. Mit all dem Verrückten, das es hier gibt, kommen wir irgendwie zurecht. Aber bei den organisierten Banden, die alles und jeden attackieren, sind wir überfordert.

m: Welche Rolle spielt die Reitschule? Letztes Jahr hatten wir auch zusammen gesprochen. Da äussertest du den Wunsch, Schütz und Reitschule einander näher zu bringen.

P: Insgesamt läuft es, wir haben einen guten Austausch. Die Reitschule hätte aber mehr tun können auf der Schütz. Rein programmtechnisch, da gibt’s noch viel Potential. Ausserdem gelingt es der Reitschule meines Erachtens nicht, die gestrandeten Menschen mit ihren Herausforderungen aufzunehmen.

m: Die Lärmklagen aus dem Altenberg, einem Quartier, das auf der anderen Seite der Aare liegt, haben euch auch noch beschäftigt.

P: Ja, genau. Glücklicherweise sind die Dezibel-Messergebnisse positiv für uns gewesen. Dummerweise werden die Kläger* innen gegen die Schütz wohl weitermachen. Ich fürchte, wir führen einen Stellvertreterkrieg für die Reitschule.

m: Wie das?

P: Weil auf dem Vorplatz Reitschule schon immer Musik gespielt wurde, egal, was gerade Regelung war. Nächtliche Musik nervt die Anwohner*innen, wofür wir zum Teil auch Verständnis haben. Weil wir von PlatzKultur ein Baugesuch für längerfristige Bauten eingereicht haben, bekamen die Kritiker*innen vom Altenberg die einfache Möglichkeit, Einspruch dagegen zu erheben.

m: Und wie geht’s weiter für die nächsten zwei Jahre?

P: Wir wollen die ganze Sache planbarer und berechenbarer machen. Auch kleiner und weniger dicht soll es werden. Wir wollen mehr fixe Infrastruktur und mehr Sportanlagen, dafür etwas weniger Gastronomie. Insgesamt sollen diese Säulen dann vielen kleinen Projekten Fundament sein.

Programm, Veranstaltende, Gastronomie: Auf schützenmatte.be findet man die Übersicht der letzten und kommenden Monate.