Klimagerechtigkeit & Kolonialismus Text: she | Bild: rex

Streicht die Schulden! Für das Klima!

Klimakrise und Kolonialismus hängen zusammen: Länder des Globalen Nordens verursachen Emissionen, unter deren Folgen vor allem der Globale Süden leidet. Im Globalen Süden fehlt es aber an den nötigen finanziellen Ressourcen, um die Bevölkerung vor den Folgen der Klimakatastrophe zu schützen; auch, weil diese Länder stark verschuldet sind. Die Debt-for-Climate Bewegung fordert deswegen den vollständigen Schuldenerlass

Letzten Monat tagten in Washington der Internationalen Währungsfonds und die Weltbank, und in diesem Monat läuft die Weltklimakonferenz. Diese Tagungen sind Auftakt der neuen globalen Debt-for-Climate-Bewegung, zu Deutsch: Schulden fürs Klima. Die Debt-for-Climate-Bewegung ist eine vom Globalen Süden ausgehende Initiative, die Kämpfe für Klima- und soziale Gerechtigkeit verbindet. Die Forderung der Bewegung ist simpel: Alle Schulden von Ländern des Globalen Südens sollen annulliert werden. Die Beweggründe dahinter sind aber wesentlich komplexer. Länder des Globalen Südens sind oft stark verschuldet bei dem Internationalem Währungsfonds oder der Weltbank. Die Schuldenlast treibt diese Länder dazu, fossile Rohstoffe abzubauen, um die Zinsen für die Schulden zu bezahlen. Von diesem Abbau profitieren Länder des Globalen Nordens, während Länder des Globalen Südens unter den ökologischen Folgen leiden.
Wir haben mit Peter Emorinken-Donatus über die Verstrickung von Kolonialismus und Klimakrise, aber auch über die Forderungen der Debt-for-Climate-Bewegung geredet. Er ist freier Journalist, Bildungsreferent, Umweltaktivist und langjähriger Gegner des Shell-Konzerns und engagiert sich unter anderem bei der Debt-for-Climate-Bewegung. Peter ist in Nigeria geboren und lebt seit über drei Jahrzehnten in Deutschland.

m*: Peter, du befasst dich aus antirassistischer und dekolonialer Perspektive mit der Klimakrise. Kannst du diesen Zusammenhang zwischen Kolonialismus und Klimakrise genauer erläutern – was heisst es, wenn man sagt, dass die Klimakrise koloniale Züge trägt?
Peter: Heute ist der 12. Oktober, Jahrestag der sogenannten Entdeckung Amerikas. Diese sogenannte Entdeckung war und ist für uns in Afrika und in den Ländern von Süd- und Mittelamerika und Asien aber eine Invasion: ein Angriff auf unsere Kultur und unser Leben, aber auch auf unsere Bewirtschaftungsformen. Die Kolonialisten sind gekommen, haben unser Land mit den natürlichen Ressourcen genommen und verwüstete Regionen wie das Nigerdelta und Mapuche-Land hinterlassen. Man muss also wissen, dass der Vandalismus an der Natur nicht vor fünfzig, sondern vor fünfhundert Jahren begann. Dieser Vandalismus diente dem Aufbau des Wohlstandes des Globalen Nordens. Dieser Wohlstand, den man in Europa so hoch lobt, basiert auf Ausbeutung von Mensch und Natur im Globalen Süden. Denn der Kolonialismus ist kein Roman – der Kolonialismus hat schreckliche Züge. Für die Menschen, für das zwischenmenschliche Zusammenleben, aber auch für die Biodiversität. Deswegen ist die Klimakatastrophe eine Folge des Kolonialismus, aber auch der kolonialen Kontinuitäten. Der Kolonialismus ist noch nicht zu Ende, denn die Strukturen, die den Kolonialismus befeuerten, sind aktueller und präsenter denn je.
Die westlichen Länder nehmen die Klimakatastrophe erst jetzt ernst, da sie erst jetzt merken, dass diese Misere auch bei ihnen anfängt. Ich bin zu hundert Prozent sicher: wenn die Folgen der Klimakatastophen auf Afrika, Süd- oder Mittelamerika beschränkt wären, würde sich niemand hier in Europa dafür interessieren. Erst jetzt sieht man in Europa die Waldbrände und die Unwetter, die so nah gerückt sind – da ist man plötzlich gezwungen, zu handeln.

m*: Menschen aus dem Globalen Norden verursachen viel mehr klimawirksame Emissionen als Menschen aus dem Globalen Süden. Die Folgen der Klimakrise sind aber ungleich verteilt; oft heisst es, dass die Klimakatastrophe die gesamte Menschheit betrifft. Doch dies ist nur die halbe Wahrheit, denn der Grad an Betroffenheit ist sehr unterschiedlich.
Peter: Genau – es gibt viele verschiedene Ungerechtigkeiten im Zusammenhang mit der Klimakatastrophe. Eine erste Ungerechtigkeit hast du schon angesprochen: Diejenigen, die am wenigsten zu der Erderwärmung beitragen, leiden am meisten unter deren Folgen. Afrika stösst weniger als 4% der globalen Emissionen aus. Aber acht der zehn Länder, die am meisten von den Folgen der Klimaveränderung betroffen sind, liegen in Afrika. Das ist ein Alarmsignal. Insbesondere die Sahel Zone ist eine tickende Zeitbombe. Eine zweite Ungerechtigkeit liegt darin, dass die Menschen nicht nur weniger beitragen und mehr leiden, sondern auch, dass die am stärksten betroffenen Regionen weniger Ressourcen und Kapazitäten zur Verfügung haben, um sich gegen die Klimakrise zu schützen. Hingegen sind solche Länder, die jahrhundertelang die Umwelt vandalisiert haben und dadurch Kapital akkumuliert haben, jederzeit in der Lage, Milliarden zur Verfügung zu stellen. Das ist ungerecht, vor allem, wenn man über die sogenannte Klimahilfe für den Globalen Süden redet – ein freches Unwort, denn wenn du meine Sache zerstörst, dann bist du dafür verantwortlich, meine Sache zu ersetzen. Das ist keine Hilfe, das ist Pflicht. Wir sollten von Reparationszahlungen reden, nicht von Hilfe!

m*: Du meinst, dass sich die globale Ordnung auch in internationalen Organisationen wie der Weltbank oder dem Internationalen Währungsfonds wiederspiegelt. Wie tragen solche Organisationen zu der Stabilisierung von kolonialen Kontinuitäten bei?
Peter: Diese Institutionen wurden geschaffen, um den Fortbestand von Kolonialismus möglich zu machen, nachdem man uns die sogenannte politische Unabhängigkeit zugesprochen hat. Es wurden Institutionen ins Leben gerufen, um die kolonialen Machenschaften trotz politischer Unabhängigkeit fortzusetzen. Länder des Globalen Südens haben sich nach der sogenannten Unabhängigkeit stark bei diesen Institutionen verschuldet. Mit der Folge, dass diese Länder so stark überschuldet sind, dass sie es nicht schaffen, die Grundversorgung für ihre eigene Bevölkerung zu decken, weil das Geld für alles fehlt.

m*: Du selbst bist vor mehr als dreissig Jahren aus Nigeria geflohen – wie zeigen sich diese Strukturen in deinem Heimatland?
Peter: Nigeria ist pleite! Nigeria ist eines der reichsten Länder der ganzen Welt, was Bodenschätze angeht. Aber das Land ist pleite. Das hat die Regierung vor ein paar Wochen bekanntgegeben. Warum? Weil die Zinsen für die Schulden, die Nigeria jährlich bezahlt, höher sind als die gesamten Staatseinnahmen. Kannst du dir das vorstellen? Es geht nicht um die Schulden selbst, sondern nur um die Zinsen. Und wer profitiert davon? Das sind die Gläubiger, die westlichen Länder.

m*: Um die Zinslast zu bewältigen, exportieren Länder des Globalen Südens Bodenschätze, und befeuern die Klimakrise dadurch weiter. Auch die Schweiz importiert viel Erdöl aus Nigeria – im Jahr 2021 rund 900 000 Tonnen.
Peter: So ist es. Ich komme aus dem Nigerdelta, und das Nigerdelta ist der schlimmste Ökozid-Hotspot der Welt. Dieses Gebiet wurde plattgemacht, nur damit Erdöl und Erdgas nach Europa verschifft werden kann. Der Boden ist an manchen stellen bis zu 5 Meter tief verseucht. Es stellt sich die Frage, ob diese Region überhaupt noch zu retten ist – ich habe Teile meiner Heimat für immer verloren. Die Lebenserwartung im Nigerdelta beträgt mittlerweile unter fünfundvierzig Jahre, der Landesdurchschnitt liegt bei vierundfünfzig Jahren. Und das nur durch die Verseuchung des Bodens, der Gewässer und der Luft. Jetzt, da Russland einen Krieg angezettelt hat, gibt es ein Energieproblem in Europa und die Gasversorgung ist ein grosses Thema geworden. Um diese 30 Prozent Gasimport aus Russland zu ersetzen, soll Nigeria liefern. Während wir gerade sprechen, wird eine Pipeline vom Nigerdelta über zwölf afrikanische Staaten bis Marokko und von dort nach Europa gebaut. 7000 Kilometer, das ist die längste Offshore-Pipeline der Welt. Viele Regionen in diesen westafrikanischen Ländern sind mittlerweile unter Kontrolle von Boko Haram. Glaubst du, in Europa denkt man daran? Hauptsache, die Versorgungssicherheit ist gedeckt. Bei dieser ganzen Sache müssen wir auch an die Menschen denken, die aufgrund dieser Misere flüchten müssen.

m*: Kannst du das ausführen?
Peter: Diese Menschen werden als Wirtschaftsflüchtlinge bezeichnet – eine Frechheit! Wenn die Schweizer*innen den Mut haben – Opfer ihrer Machenschaften so zu diffamieren, zu kategorisieren und als Wirtschaftsflüchtlinge zu disqualifizieren – sollten wir nicht auch mal über Wirtschaftskriminelle sprechen? Eine davon ist die Schweiz! Das ist doch weltbekannt!

m*: Reden wir über die Debt-for-Climate Bewegung, bei der du aktiv bist. Was sind genau eure Forderungen?
Peter: Im Rahmen des Gipfels vom Internationalen Währungsfonds und von der Weltbank sowie der Weltklimakonferenz in Ägypten wollen wir Aufmerksamkeit und Druck auf die Regierenden in Europa ausüben. Wir fordern die vollständige und bedingungslose Annullierung der Schulden der Länder des Globalen Südens. Wir glauben, dass sich Staaten wie die Schweiz aus historischer Verantwortung dafür einsetzen müssen, dass die Schulden des globalen Südens annulliert werden – ohne Bedingungen. Das ist die Message, die wir in den nächsten Tagen und Wochen global verbreiten. Es wird Demonstrationen und Aktionen geben. Das dient dazu, die Menschen aufzuklären, aber auch die Regierungen unter Druck zu setzen: es ist Zeit, endlich zu handeln.

Hier geht es zum Beitrag «Schuldenschnit für das Klima» des RaBe Info vom 13. Oktober 2022. Teile dieses Interviews sind dort nachzuhören. https://rabe.ch/2022/10/13/schuldenschnitt-fuer-das-klima/