Rechte Räume Text: sir | Bild: daf

Wie rechts?

In den Medien und im alltäglichem Diskurs wird der politisch «rechte» Raum oft als homogenes Gefüge dargestellt – als «die Rechten» halt. «Rechts» bezeichnet jedoch vielmehr ein ideologisches Spektrum – eben einen Raum, in dem sehr verschiedene Ausprägungen existieren. Dieser Text soll etwas Licht ins Dunkel dieses Begriffswirrwarrs bringen – denn: wir können nur kämpfen, wenn wir wissen, wer unser*e Feind*in ist.

Rechte Kräfte erleben zurzeit weltweit einen Aufschwung. So hält sich etwa in Russland seit 24 Jahren der rechtsnationale Politiker Vladimir Putin an der Macht; in Italien hat die Postfaschistin Giorgia Meloni die Wahlen diesen Herbst gewonnen und in den USA brachten im Juni dieses Jahres rechtskonservative Richter das bis dahin national geltende Abtreibungsrecht zu Fall – um nur einige wenige Beispiele zu nennen.
Wirtschaftliche und soziale Instabilität bieten Nährboden für «rechte» Akteur*innen und lassen «rechtes» Gedankengut als «massentauglich» erscheinen. «Rechts» ist jedoch nicht gleich «rechts» – der «rechte» Raum wird vielmehr von unterschiedlichsten Akteur*innen und Ideologien geprägt. Um den «rechten» Strömungen Stirn zu bieten ist es zentral, deren Ausprägungen und Ideen zu kennen und zu benennen. Folgend also ein Überblick über das, was mensch gemeinhin als «rechten Raum» versteht.

Konservatismus und Rechtsextremismus
Unter dem Begriff «Rechts» wird grundsätzlich die Unterstützung einer traditionellen, hierarchischen sozialen Ordnung (Anti-Egalitarismus) und der Ablehnung von gesellschaftlichem Wandel verstanden. Rechtsextremismus im Besonderen wird zusätzlich zum Anti-Egalitarismus durch einen ausgeprägten Nationalismus und die Ablehnung demokratischer Prinzipien charakterisiert. Rechtsextreme Strukturen sind als Extremisierung rechter Werte wie nationale Identität, restriktive Law-and-Order Politiken und Machtautorität zu verstehen.
Im Gegenzug bezeichnet Konservatismus eine politische Weltanschauung, in der Tradition betont wird und die «gegebene», vorherrschende Macht- und Reichtumsverteilung verteidigt. Als zentrale Prinzipien konservativer Politik gelten Identität, Sicherheit und Kontinuität. Konservatismus ist antimodern: hierarchische Strukturen werden betont und gezielt aufrechterhalten. Diese werden als notwendig für die Funktionsfähigkeit der Gesellschaft angesehen.
Konservative und Rechtsextreme weisen zwar zum Teil gemeinsame Werte auf, unterscheiden sich jedoch in einigen zentralen Punkten erheblich voneinander. Hier ist im Besonderen die freiheitlich-demokratische Grundordnung moderner Nationalstaaten zu erwähnen, welche von Rechtsextremen abgelehnt, von Konservativen jedoch verfochten wird. Konservative ordnen, im Gegensatz zu Rechtsextremen, Menschenrechte, Gewissensfreiheit sowie rechtsstaatliche Grundprinzipien(1) als schützenswert ein.

Gefährliches Hufeisen
Der Begriff des «Extremismus» ist jedoch insofern zu kritisieren, als dass er den «Extremismus der Mitte» ausblendet. Die Annahme, dass eine Zweiteilung zwischen Verfassungsfeindlichkeit (Extremismus) und Verfassungskonformität (Demokratie) besteht, vernachlässigt die Komplexität des Extremismusbegriffs. Sie suggeriert zudem eine ideologische Nähe zwischen Links- und Rechtsextremismus (Hufeisentheorie), welche sich vor allem durch ihre Distanz zur moderaten Mitte manifestiert. Die inhaltlichen Ziele radikal linker Ideologien und jener der extremen Rechten werden dabei komplett ausgeblendet – es wird primär die Gemeinsamkeit des «Extremen» betont. Aus Sicht des Staates ist eine solche Sichtweise naheliegend: Sie macht es einfach, radikale Linke und extreme Rechte gleichermassen zu bekämpfen (oder zumindest so zu tun als ob). In diesem Verständnis ist Extremismus alles, was von einer Norm (der «gemässigten» politischen Mitte) abweicht. Welche Rolle diese «harmlose» Mitte in der Verbreitung rechtsextremer Ideologie spielt, wird von Verfechter*innen der Hufeisentheorie komplett ausgeblendet. Zudem wird revolutionären und radikalen Ideen so jede Legitimität genommen, sobald diese den Staat und seine kapitalistische Funktionsweise an sich in Frage stellen.

Populismus am rechten Rand
Rechtspopulismus ist die Bezeichnung für einen bestimmten politischen und propagandistischen Stil, der sich seit den siebziger Jahren vornehmlich in westlichen Gesellschaften entwickelt hat und sich meist in Form von Parteien mit charismatischen Führungspersönlichkeiten zeigt. Rechtspopulistische Parteien halten ihre Affinität zum Rechtsextremismus zugunsten ihrer Wählbarkeit oft verdeckt. Als zentraler Aspekt des (Rechts)Populismus gilt die moralische Überhöhung des Volkes. Dieses Volk wird, im Sinne eines unantastbaren Volkswillens, als Massstab aller politischen Handlungen angesehen. Dem Volkswillen wird eine korrupte Machtelite gegenübergestellt. Diese Anti-Establishment-Ideologie ist mitunter ein Kernelement des Rechtspopulismus. Rechtspopulistische Politiker*innen sehen sich selbst nicht als Teil des kritisierten Establishments. So grenzte sich im Wahlkampf 2016 der Rechtspopulist Donald Trump von seiner Konkurrentin Hillary Clinton ab, indem er betonte, dass er «nicht von der Wallstreet gekauft» sei.
Die Differenzierung zwischen Rechtsextremismus und Rechtspopulismus besteht vor allem in der antidemokratischen, umfassenden Ideologie des Ersteren, die sich deutlich von der schwammigen Anti-Establishment-Kritik des Rechtspopulismus unterscheidet. Hier ist jedoch wichtig zu beachten, dass Rechtsextreme den rechtspopulistischen Stil oftmals zu ihren Zwecken verwenden und aus strategischen Gründen rechtspopulistischen Parteien beitreten, in denen sie dann ihre Interessen gesellschaftstauglich und somit mehrheitsfähig machen. Rechtsextremismus und Rechtspopulismus sind daher keine isolierten Phänomene.

Faschismus und Neofaschismus
Mit dem Aufstieg rechter Parteien und Bewegungen ist auch der Begriff des Faschismus wieder präsenter. So steht die Stichwahl zwischen Jair Bolsonaro und Lula da Silva in Brasilien zwar bei Redaktionsschluss noch aus, der «Bolsonarismus» ist jedoch nach wie vor tief in der Gesellschaft verankert. Diese Ideologie, die durch Jair Bolsonaro geprägt wurde und wird, ist zutiefst faschistisch oder zumindest eindeutig faschistoid (2).
Der Begriff «Faschismus» wurde erstmals im Jahr 1919 vom italienischen Diktator Benito Mussolini als Bezeichnung seiner politischen Bewegung verwendet und leitet sich vom italienischen «Fascio» (Bund) ab. Im aktuellen Diskurs wird Faschismus als übergeordneter Begriff, welcher durch bestimmte Ideologien charakterisiert wird, definiert. Faschismus ist als Konzeption zu verstehen, die sehr verschieden ausgeprägt sein kann. So weisen Faschismen, zu denen auch der Nationalsozialismus gehört, zwar gemeinsame Elemente auf, sind in ihrer Ausprägung jedoch zum Teil grundlegend verschieden. Trotzdem lassen sich Grundelemente des idealtypischen Faschismus identifizieren. Diese sind ein öffentliches Bekenntnis zu systematischer Gewaltanwendung gegenüber politischen Gegner*innen, einer Etablierung einer sogenannten «Gefolgschaftspartei» wie der NSDAP, einem radikalen (völkischen) Nationalismus sowie zur Zerstörung der Demokratie durch die Errichtung eines Führer*innenstaates wie bei Hitler oder Putin. Zudem wird das politische Bürger*innentum durch das ethnisch definierte Volk als Herrschaftsträger*in ersetzt und eine imperialistische Aussenpolitik verfochten. Grundsätzlich wird zwischen der «Bewegungsphase», welche den Aufstieg faschistischer Massenparteien beschreibt sowie der sogenannten «Regimephase», die auf die Entwicklungsperiode, welche auf die Machtübernahme durch faschistische Führer*innen folgt und durch die Etablierung einer totalitären Diktatur charakterisiert wird, unterschieden. Als neofaschistisch werden alle dem Faschismus nachfolgenden Bewegungen und Parteien, die nach dem Ende des zweiten Weltkriegs entstanden sind, bezeichnet.

Im italienischen Kontext wird oft der Begriff Postfaschismus verwendet. Er bezeichnet politische Strömungen, die aus dem historischen Faschismus hervorgegangen sind, die die demokratische Ordnung jedoch erhalten wollen. Postfaschismus bezeichnet also in dem Sinne den italienischen Rechtspopulismus. Giorgia Melonis Partei «Fratelli d’Italia» steht exemplarisch für den Aufwind, den der Postfaschismus in Italien zurzeit erlebt und verdeutlicht zudem, dass die faschistische Vergangenheit Italiens unzureichend aufgearbeitet wurde. Durch die Vorsilbe «Post» wird suggeriert, dass der historische Faschismus überwunden wurde – dies ist irreführend und bietet eine Basis für die Verharmlosung der postfaschistischen Bewegungen. Bis heute ist die faschistische Ideologie in Italien gesellschaftlich anschlussfähig und wird von grossen Teilen der Gesellschaft «nur» als eine «normale» und daher legitime politische Gesinnung wahrgenommen. Es fragt sich hier, ob es aus antifaschistischer Sicht sinnvoller wäre, den Begriff des Postfaschismus mit dem Hinweis auf seinen verharmlosenden Effekt zu verwenden oder ob mensch, den italienischen «Postfaschismus» als das benennen sollte, was er schlussendlich ist – eine faschistoide, rechtspopulistische Bewegung.
Der Ausdruck «Neonazismus»/»Neonazi» bezieht sich aus dem historischen Kontext heraus nur auf rechtsradikale Parteien und Strömungen in Deutschland; bezeichnet also eine spezifische Ausprägung des (Neo)Faschismus.

An die Wurzel
Als radikal werden Fragestellungen verstanden, deren Antworten bis an die Wurzel gehen – «radix» ist der lateinische Begriff für «Wurzel». Sie kommen aus tiefster Überzeugung und erfordern eine entsprechende Lebensgestaltung. Aufforderungen, Mitmenschen zur Nachahmung radikaler Handlungen zu bringen, sind verbreitet, wobei jegliche Anwendung von Gewalt vermieden wird. So kann Radikalismus als eine Erscheinung gesellschaftlicher Diversität gesehen werden. Radikale politische Auffassungen sollten daher in einer pluralistischen Gesellschaftsordnung ihren legitimen Platz haben. Im Gegensatz dazu, zielt Extremismus auf eine Homogenisierung der Gesamtgesellschaft ab. Zwang und Unterwerfung werden als Konsequenzen akzeptiert, Konformität gilt als oberstes Ziel. Mit Extremismus geht die Verweigerung des Dialogs einher; es wird die Errichtung oder Bewahrung einer autoritären oder totalitären Diktatur angestrebt. Macht und Gewalt werden dabei verherrlicht. Extremismus kann daher als fundamentale Gegenkraft demokratischer Ideen beschrieben werden.
Die Gefahr, die das Aufstreben rechter Ideologien für die Gesellschaft darstellt, zu erkennen und als solche zu benennen, ist die Grundlage antifaschistischer Praxis. Nennen wir also rechtes Gedankengut beim Namen und geben Geschichtsleugnung und Verharmlosung keine Chance.

1 Rechtsstaatliche Grundprinzipien: Vor dem Recht sind alle Bürger:innen gleich. Staatliches Handeln ist an das Gesetz gebunden. Bürger:innen werden durch unabhängige Gerichte vor willkürlichen Eingriffen des Staates geschützt.
2 Faschistoid: Nicht in vollem Sinne faschistisch, jedoch eindeutig starke Züge des Faschismus beinhaltend.