PMS und PMDS Text: omg & magdalenasküche | Bild: magdalenasküche

Die Tage vor den Tagen

Für viele menstruierende Personen (1) stellen sie einen psychischen und körperlichen Ausnahmezustand dar. Die auftretenden Beschwerden werden oftmals stigmatisiert, kleingeredet und finden kaum gesellschaftliche Anerkennung. Dieser Text will aufmerksam machen auf einen kleingemachten, aber grossen Teil der Lebensrealität vieler Menschen.

Während wir an diesem Text arbeiten, schlagen wir uns mit prämenstruellen Symptomen herum. Wir sind wahnsinnig müde, fühlen uns in unseren Körpern unwohl, der Bauch ist aufgebläht, die Brüste spannen, wir stehen neben uns. Auch psychisch; wir sind unmotiviert, emotional und melancholisch, negative Gedanken kreisen in unseren Köpfen – ein Gedankenkarussell in der Abwärtsspirale.
Das prämenstruelle Syndrom, kurz PMS, bezeichnet körperliche und psychische Beschwerden in den Tagen vor dem Einsetzen der Menstruation. Die Symptome sind vielseitig und reichen von Stimmungsveränderungen wie Reizbarkeit, Traurigkeit oder Antriebslosigkeit, Kopfschmerzen, Wassereinlagerungen an Händen oder Füssen, schmerzhafte und berührungsempfindliche Brüste bis hin zu Unterleibskrämpfe – eine abschliessende Symptomliste besteht nicht, es sind allerdings mehr als 150 Symptome, die für PMS bekannt sind. Die Stärke und die Dauer der Symptome können von Person zu Person, sowie von Zyklus zu Zyklus variieren. Die Symptome treten immer in der zweiten Phase des Zyklus auf. Jede dritte menstruierende Person leidet unter PMS.
Der grosse, gemeinere Bruder des PMS ist das prämenstruelle dysphorische Syndrom, kurz PMDS. Die Symptome gehen von Angstzuständen, Depressionen, Paranoia, Hoffnungslosigkeit, starken Selbstzweifeln und Selbstkritik, emotionaler Sensibilität bis hin zu Suizidgedanken (2). Die Beschwerden können zu Arbeitsunfähigkeit führen und soziale Beziehungen stark belasten. Betroffene berichten, in dieser Phase des Zyklus lebensverändernde Entscheidungen treffen zu wollen – wie Beziehungen zu beenden, eine Stelle zu kündigen, oder umzuziehen. Nur bei ca. einer von zwanzig menstruierenden Personen wird PMDS diagnostiziert. Es ist wahrscheinlich, dass aufgrund von Fehldiagnosen und fehlender Diagnosen weitaus mehr Menschen davon betroffen sind. PDMS-betroffene Personen haben ein um 70% erhöhtes Suizidrisiko – deswegen ist diese Dunkelziffer alarmierend.

Ursachen
In der Wissenschaft herrscht bis heute keine abschliessende Gewissheit darüber, wie PMS und PMDS verursacht werden. Trotzdem hilft ein Blick in den Menstruationszyklus, um zu verstehen, wo die Ursachen von PMS und PMDS liegen könnten.
Der Menstruationszyklus dauert zwischen 23 und 35 Tagen. Die ersten 3 bis 7 Tage des Zyklus findet die Menstruation statt. Nach der Menstruation beginnt die Follikelphase, in der die Eizellen reift. Diese Phase dauert bei allen unterschiedlich lang, da sie leicht auf Stress, Krankheit oder Ernährung reagiert, meistens aber zwischen 6 und 21 Tagen. Die Follikelphase endet mit dem Eisprung, der ungefähr 16 bis 10 Tage vor dem Einsetzen der Menstruation stattfindet. Der Eisprung wird durch das Hormon Östrogen ausgelöst, welches in dieser ersten Phase eine grosse Rolle spielt. In der zweiten Phase des Zyklus ab dem Eisprung wird das Hormon Progesteron gebildet. Wenn sich keine Eizelle in die Gebärmutter einnistet, kommt es zu einem Progesteronabfall. Hier setzt dann die Menstruation ein, da die Gebärmutterschleimhaut nicht mehr aufrecht gehalten werden kann.
Dieser Hormonabfall sowie auch das Ungleichgewicht zwischen Progesteron und Östrogen in der zweiten Phase des Zyklus ist ein möglicher Auslöser für das prämenstruelle Syndrom. PMS lässt sich also wahrscheinlich auf die hormonelle Veränderung im Zyklus zurückführen. Diese hormonelle Veränderung kann eine biochemische Veränderung im Hirn auslösen, unter anderem eine Störung des Serotonin-Haushaltes – des sogenannten Glückshormons – was die Symptome auslösen kann. Bei Personen, die bereits an einer Depression oder anderen affektiven Erkrankungen leiden, können die Symptome verstärkt auftreten. Allerdings ist damit nicht geklärt, wieso gewisse menstruierende Personen PMS-Symptome haben und andere nicht.
PMDS dagegen ist ein eigenes Krankheitsbild und wird von der WHO mittlerweile als gynäkologische Erkrankung mit neuro-biologischer Ursache definiert. Neueste Erkenntnisse zeigen, dass es sich um eine organische Erkrankung handelt, bei der das zentrale Nervensystem stark negativ auf natürliche Hormonschwankungen reagiert. Vermutet wird eine Überempfindlichkeit gegen Sexualhormone wie Progesteron und Östrogen. Die Stimmungswechsel sind für Betroffene ohne Wissen um die Krankheit oft schwer nachzuvollziehen. Deswegen werden Personen mit PMDS oft fehldiagnostiziert, z.B. mit einer bipolaren Störung oder Borderline.

Menstruation als Trigger
Für Nonbinäre- und Transpersonen kann die Menstruation an sich triggernd sein. Dass ein Teil des eigenen Körpers, mit dem mensch unter Umständen nicht wohl ist, so stark spürbar ist, kann verunsichernd und überfordernd sein. Kommen dann auch noch psychische und physische Symptome dazu, kann dieser Trigger verstärkt werden. Ängste oder Abneigungen sich selbst oder seinem Körper gegenüber, sowie negative und selbstkritische Gedanken können PMS und PMDS zusätzlich sehr belastend machen.

Anerkennung oder Pathologisierung von PMDS
In den 1980er Jahren wurde PMDS in den diagnostischen und statistischen Leitfaden psychischer Störungen, dem DSM, eingetragen. Für Menschen mit hohem Leidensdruck kann dies eine Erlösung sein, da die Rechtfertigung gegenüber dem Umfeld – neben den tatsächlichen Beschwerden – als sehr belastend empfunden werden kann. Viele suchen die Gründe für ihr Empfinden respektive Verhalten bei sich selbst und zweifeln teils gar an ihrer eigenen Wahrnehmung und Urteilsfähigkeit. Eine Diagnose kann diesbezüglich mehr als nur eine Erklärung bieten.
Mit der Aufnahme in den DSM kam auch eine Kritik aus feministischen Bewegungen einher. Einige sahen darin eine Pathologisierung des „weiblichen“ Körpers. Diese Kritik wurde in den USA besonders laut, als die Aufnahme in den DSM die Zulassung eines neuen Antidepressivums ermöglichte. Dies würde vor allem Interessen der Pharmaindustrie befriedigt, anstatt PMDS als Problem der Leistungsgesellschaft anzuerkennen. Dieser Vorwurf beruht darauf, dass in Zusammenhang mit PMDS vor allem der Ausfall der menstruierenden Person im Fokus stehe und dass es diesen zu verhindern gäbe. Es werde dabei kaum Systemkritik betrieben, welche die Mehrfachbelastung für menstruierende Personen anerkenne. Aus der Perspektive der Kritiker*innen sei es nicht verwunderlich, dass zyklusbedingte, hormonelle Veränderungen in Anbetracht von Belastung durch Lohnarbeit, Familie, Care-Arbeit, sowie Diskriminierungen nicht einfach weggesteckt werden können.
Die PMDS-Beschwerden können jedoch nicht komplett auf gesellschaftliche Bedingungen geschoben werden, denn es gibt nachweislich auch neuro-biologischen Ursachen von PMDS. Auch können Antidepressiva, die auf den Serotonin-Spiegel einwirken, einigen Betroffenen tatsächlich helfen. Gerade weil es bei PMDS zu starken Einschränkungen der Lebensweise kommen kann, ist eine medizinische Anerkennung wichtig. Das ebnet den Zugang zu Hilfe und Anerkennung für Betroffene.

Grosse Wissenslücken
Es fehlt allerdings weiterhin an Forschung zu PMS und PMDS. Zu anderen Themen sind um das Vielfache mehr Studien vorhanden. Unter dem Schlagwort Errektionsstörungen sind in der Datenbank PubMed um die 1000, für PMS um die 100 Studien, für PMDS um die 50 pro Jahr erfasst. Auch wenn diese Störungen nichts miteinander zu tun haben, wird sichtbar, dass medizinische Forschungen «Frauen»-Themen vernachlässigen. Zudem fehlt Forschung, welche sich nicht ausschliesslich auf ein binäres Geschlechtersystem – also Mann und Frau – beziehen. Die fehlenden Informationen führen zu Unwissen und daraus resultierenden stigmatisierenden Zuschreibungen: «Menstruierende Personen seien emotional instabil und in den Tagen vor der Menstruation nicht zurechnungsfähig». Durch das fehlende Wissen werden Beschwerden nicht ernst genommen, oftmals auch von Gynäkolog*innen nicht. Wissensproduktion und Austausch findet deshalb oftmals in selbstorganisierten Gruppen und sozialen Medien statt.

Zyklische Lebensweise
PMS und PMDS lassen sich nicht einfach beseitigen. Zwar gibt es neben Psychopharmaka auch pflanzliche Arzneimittel gegen prämenstruelle Beschwerden. Die eigene Lebensweise bleibt aber der entscheidendste Faktor im Umgang mit PMS und PMDS. Der Schlüssel kann in einer zyklischen Lebensweise liegen: Wir können lernen, das eigene Leben mehr auf den Zyklus und seine Gegebenheiten auszurichten, als auf die Anforderungen der Leistungsgesellschaft und Arbeitswelt. Das Ziel sollte nicht sein, sich selbst an die gesellschaftlichen Bedingungen anzupassen, sondern vielmehr sein Leben so einzurichten, dass es einem in jeder Phase des Zyklus gut gehen kann. Den eigenen Körper zu verstehen, auf ihn zu hören und die eigene Lebensweise an den Zyklus und die eigenen körperlichen Bedingungen anzupassen, scheint jedoch eine riesige Aufgabe und ist auch eine Frage von Privilegien.
Jede Person sollte für sich entscheiden können, wie sie ihr Leben ändern und ausrichten möchte, um auf die bestmögliche Weise mit ihrem Zyklus leben zu können. Dafür braucht es allerdings besseren Zugang zu Wissen und Unterstützung für alle. Eine mögliche Entlastung könne eine Erweiterung des Menstruations«urlaubes» sein, den es in Japan bereits gibt und in Spanien eingeführt werden soll. Es braucht dafür aber weitere Entstigmatisierung von PMS, PMDS und Menstruation, damit der Bezug solcher Tage nicht negative Auswirkungen auf Karriere und Jobmöglichkeiten hat.
Die Verantwortung liegt in der Gesellschaft und damit auch in Politik und Wirtschaft, damit Aufklärungs- und Forschungsarbeit vorangetrieben, sowie ein neuer Umgang gefunden und die Akzeptanz für PMS und PMDS erhöht wird. Bis dahin und darüber hinaus können Räume – ob physisch oder digital – vernetzten, kollektives Verstehen fördern und Unterstützung bieten. Damit PMS und PMDS nicht das Leben bestimmen.

1 In diesem Text wird von menstruierenden Personen und nicht von Frauen gesprochen, da auch Menschen eine Gebärmutter haben und demnach menstruieren, welche sich nicht als Frauen identifizieren.
2 Hast du Suizidgedanken? Wende dich per Telefon an 147 (Jugendliche) oder 143 (Erwachsene) oder sprich mit anderen darüber. Du bist nicht alleine mit deinen Gefühlen und deinem Erleben.