Formation Blond Text: pal | Bild: aja

Geflunker, 
Lidschatten 
und Kampfansagen

Die ursprünglich aus einem Kinderzimmer in Chemnitz stammende Formation Blond trat kürzlich in Bern auf. Anlässlich dessen folgt hier ein Portrait zu dieser Band, die nahezu beiläufig zum Indie-Pop-Musikmachen eine beträchtliche Menge politischer Arbeit leistet.

Schon am Nachmittag des achten Septembers, an dessen Abend die Formation Blond ein Konzert im Gaskessel spielt, tauchen auf dem offiziellen Blond-Instagram-Account Videos von ihrem Aufenthalt in Bern auf. Beispielsweise ist zu sehen, wie die Schwestern Nina und Lotta Kummer in der Aare schwimmen. Oder wie zahlreiche Aareböötlis den Fluss runtertreiben. Blond kommentiert das mit «die Leute treiben in Scharen an unser Konzert». Offensichtlich steuern nicht alle Boote Richtung Blond-Konzert, doch solche absichtlichen Falschbehauptungen und andere Turnübungen mit der Wahrheit machen die Chemnitzer*innen gerne. Eigentlich ist genau das auch der Aufhänger des Podcasts, den Nina und Lotta im ersten Corona-März vergangenen Jahres auf die Beine gestellt haben. Sie erzählen dort Geschichten und Facts zu bestimmten Oberthemen, auf die Hörer*innen in unangenehm stillen Gesprächssituationen zurückgreifen und als ihre eigenen verkaufen können: «Da muss man dabei gewesen sein» heisst der Podcast.
Während dem Konzert im Gaskessel künden sie «Sanifair Millionär» – Track 11 ihres im Januar 2020 veröffentlichten Debutalbums «Martini Sprite» – als gerappte Version der Corona-Verordnung an. Die Veranstaltenden hätten sie nämlich darum gebeten, das Publikum nochmals kurz über die Vorsichtsmassnahmen aufzuklären. Deshalb hätten sie vorhin im Backstage kurz den folgenden Rap geschrieben. Auch die Anregungen ans Publikum mitzutanzen, wird als Gratis-Probe ihres neuen Fitnessprogramms angepriesen. Vor dem Song «Es könnte grad nicht schöner sein» wird das Publikum gespielt schüchtern gefragt, wer gerade menstruierte. Als nur einige Wenige die Arme heben, stochert Blond weiter. «Ähm, Bern, ich weiss nicht, ob ihr uns richtig verstanden habt… Wer blutet alles gerade?», stacheln die Schwestern ihre Fans hoch, bis schlussendlich alle ihre Hände hochstrecken und ob Uterus oder nicht, ihre Tage haben – zumindest für den nächsten Song.

Blond Konzerte als Safe Space

Johann Bonitz steht am Synthesizer, Lotta sitzt am Schlagzeug und Nina singt.
«Es könnte grad nicht schöner sein.
Mein Leben ist grad ziemlich geil.
Ich habe eine gute Zeit.»
Die Fans stürmen in den Moshpit.
«Und genau dann kicken meine Tage rein!»
Songs über Menstruation, Glitzersternchen im Gesicht, «ich hab die Fresse voll Spinat», prinzessinnenhafte Outfits, ein Kartonschild im Publikum, auf dem «Kackendreist» steht. Das gehört alles zum «Las Vegas Glamour» – Blonds Selbstdefinition ihres Stils. Auch zu Blond gehört, dass in jedem Song ein gewichtiges feministisches Thema oder eine sexistische Ungerechtigkeit angesprochen wird. Auch bei ihrem gesamten öffentlichen Auftritt schwingt eine fette Ladung Feminismus mit. Obwohl Nina und Lotta sich öfters ziemlich stereotypisch «mädchenhaft» anziehen und schminken, verhalten sie sich alles andere als das, was als «girly» bezeichnet wird. Sie inspirieren und fordern damit unterschwellig dazu auf, dass «girly-sein» auch heissen kann, schamlos übers Kacken zu sprechen und viel zu fluchen. Sie nehmen energiegeladen Platz ein, sind laut, selbstbewusst und trotzdem reissen sie andere Menschen gerne mit auf ihre Welle hoch, sprich, leben auf eine Art auch Toleranz und Solidarität vor. Während dem Konzert im Gaskessel fordern sie ihre Fans immer wieder auf, aufeinander aufzupassen und betonen, dass dieses Konzert ein Safe Space sein soll. Ein Ort, an dem sich alle wohl fühlen können.
Hoffentlich fühlte sich für die Blondinators – so nennen Blond ihre Fans – auf dem Nachhauseweg vom Konzert, der Song «Sie» nicht allzu real an:
«Ich lauf› die letzten Meter bis zum Haus.
Den Haustürschlüssel, bereit in meiner Faust.»

Du und Ich

«Du und Ich» heisst die neueste Single des Trios. Was als Songtitel auf den ersten Blick eine romantische Ode an die monogame Liebe vermuten lässt und beim rein musikalischen Hinhören eine unterschwellig bedrohliche Spannung auslöst, ist in Wirklichkeit ein Sturmangriff im Kampf gegen sexuelle Gewalt. Begleitet wurde dieser auch in der kürzlich stattgefundenen Ausstellung, die Blond gemeinsam mit Kosmos Chemnitz und Wildwasser e.V. initiiert hat: «Die Hütte der sexualisierten Gewalt».
Die ersten Zeilen in «Du und Ich» erzählen die leider vielen Menschen altbekannte Geschichte von der fremden Hand, die samstagnachts, scheinbar ganz heimlich, beim Vorbeigehen im Club auf dem eigenen Arsch landet. Blond dreht die Situation um. Wohin will der Handbesitzer denn verschwinden? «Ich hab hier Sekt und ein paar Ringe. Ich dachte, das Grapschen war ein Antrag.» Das Musikvideo, das diesen Sommer erschienen ist, fängt mit einer recht idyllischen Szene an. Johann, der übrigens blind ist, steuert ein Cabrio einen Feldweg entlang. Lotta checkt sich auf dem Beifahrendensitz im Spiegel ab und Nina residiert lässig auf der hinteren Sitzlehne. Als das Auto anhält, wird plötzlich klar, dass es sich um eine Entführungssituation handelt. Eine kontrastierend zu den knalligen, frechen Outfits der Band im dunkeln Anzug gekleidete Gestalt mit Fesseln und Jutesack über dem Kopf wird von den Schwestern aus dem Auto gezogen. Begleitet vom Refrain treibt Blond den Entführten ernst in eine altmodisch aussehende Jagdhütte. «Du und ich für immer. Ich lass dich nie mehr los. Ein Haus, ein Hund und Kinder.» Der Song und das Video bleiben dem Las Vegas Glamour durch und durch treu: Das Turnen mit der Wirklichkeit, denn Johann kann ja eigentlich kein Auto steuern, oder «nachschauen», ob auf der anderen Seite seines Jagdgewehrs noch eine Stelle zu polieren ist. Unverkennbar für Blond wird im Songtext Sexismus angegriffen, ohne das Wort «Sexismus» oder «Feminismus» überhaupt zu benutzen. Und natürlich die farbig geschminkten Schwestern, deren mit Glitzersteinchen dekorierten Augen eine selbstverständliche Autorität ausstrahlen. Im späteren Verlauf ihres skrupellosen Entführens stehen sie in märchenhaften weissen Hochzeitskleidern da, das Opfer, das wohl früher einmal Täter war, in ihrer Mitte fixiert und Nina entfacht ein Feuer, indem sie ihre Zigarette abgeklärt in einen Scheiterhaufen spickt. Der Schlusssatz des Songs erhält eine neue Bedeutung, als Nina und Lotta mit mittlerweile blutgetränkten Hochzeitskleidern furchteinflössend durchs Dickicht waten: «Du und ich, bis in den Tod». Eine gewaltige Kampfansage gegen sexuelle Gewalt. Danke dafür, Blond.