«V for Vendetta» und «Frankenstein» Text: ffg

Das Monster, das sind wir

«Es ist einfacher, sich das Ende der Welt vorzustellen, als das Ende des Kapitalismus». Zweifelt wirklich jemand nicht am Ende der Welt, wie wir sie kennen, wenn wir den Kapitalismus nicht bald bändigen? Und wer zweifelt nicht daran, dass der Kapitalismus überhaupt zu bändigen ist? Bevor sich die Menschen daran den Kopf zerbrechen, seien sie auf das positive Gegenteil hingewiesen.

Es ist einfacher, sich das künstliche Schaffen von Leben vorzustellen, als eine sozial gerechtere Gesellschaft». Unter diesem Motto lebt die Menschheit vielleicht noch viel mehr. Es seien hier zwei Beispiele aus der Populärkultur aufgeführt, die mir aufschlussreiche Zeitdiagnostik wurden. Angesichts der nach wie vor ungebrochenen Popularität von «V for Vendetta» und dem schon 200-jährigen «Frankenstein» bot sich ein Vergleich an, wie sie die Gesellschaft ihrer Zeit bewerten, was sie kritisieren und wie sie ihr Stück aufgebaut haben.

Helden wider Willen

Sowohl «V» als auch der Dämon des Viktor Frankenstein sind unfreiwillige Produkte medizinischer Experimentiererei, die eigentlich zum Machtbeweis bzw. der Machtausdehnung der Ersteller gedacht war – das Produkt richtet sich nun aber gegen die Erzeuger. Hinter Vs «Erschaffung» stehen die Motive der Überlegenheit gewisser Menschen über andere. Die faschistische Regierung in einem England der Zukunft nutzt die Manipulation von Genen und Viren, um Menschen nach ihrem Bild zu formen. Hunderte, vielleicht tausende Menschen sterben in den Konzentrationslagern. Nach einem atomaren Weltkrieg konnte die faschistische «Norsefire»-Partei ein politisches Vakuum nutzen und kam an die Macht. Sie hält sich durch ein ausgeklügeltes Überwachungs- und Propagandasystem an der Macht, das mit dem Erscheinen von V nach und nach ins Wanken gerät.

Bei «Frankenstein» wird schnell klar, dass man es hier mit einer Tragödie zu tun hat. Der Genfer Viktor Frankenstein erschuf im Rahmen seines Studiums der Naturwissenschaften in Bayern ein neues Wesen – im Grössenwahn seiner eigenen Fähigkeiten. Im Moment der Belebung des Dämons bricht Frankenstein zusammen und verflucht sich und sein Werk. Danach setzt er alles daran, den Dämon zu töten, statt sich auf einen Dialog mit ihm einzulassen und seine Schöpfung kennenzulernen. Der Dämon (er hat keinen Namen, der Titel ist nach dem Erschaffer Viktor Frankenstein benannt) ist offensichtlich gutherzig und lebensfroh. Erst die ablehnenden Reaktionen der Menschen, wenn sie ihn sehen, verstören ihn.

Vom Grössenwahn

Das Leben des Viktor Frankenstein hätte von Erfolg geprägt sein können. Durch die Erschaffung von Leben aus toter Materie bringt er sich und sein Umfeld in Lebensgefahr. Dabei hätte das nicht sein müssen – es sind die Sturheit und Verbissenheit des Frankenstein und die Oberflächlichkeit der Menschen, die aus dem Dämon einen Mörder machen. Frankensteins Schöpfung ist im Gegensatz zu V kein politischer Märtyrer, den ein totalitäres System mit dem Ziel der Veränderung der Menschheit an sich schuf, sondern das Einzelwerk eines Einzelnen. Der Dämon findet in seiner Tasche das Tagebuch des Frankenstein. Nachdem er zu lesen gelernt hat, versteht er die Hintergründe seiner Existenz und weiss, dass er seinen Meister stellen muss, um sein Leben glücklich leben zu können. Er will sich, wie sich beim legendären Gespräch mit seinem Meister auf den Gletschern des Mont-Blanc-Massivs herausstellt, mit einer Gespielin nach Südamerika absetzen und die Menschheit meiden. Dafür braucht der Dämon Frankenstein: Der macht sich mit schweren Gewissensbissen ans Schaffen eines weiteren künstlichen Wesens, um dem Spuk ein Ende zu bereiten und die Einsamkeit des Dämons zu beenden. Monate später widerruft er sein Versprechen seiner Schöpfung gegenüber und bricht die Bastelei ab. Als dem Dämon dieser einzige Wunsch verwehrt bleibt, konzentriert er sein ganzes Handeln auf die Rache am Meister. Eine Mordserie folgt und eine wahnwitzige Verfolgungsjagd beginnt.

Tagebücher – die Geschichte

Der Anarchist «V» ist auf einer Mission: Er will das faschistische Regime durch eine Mischung von gezielt eingesetzter Gewalt und der Information der Bevölkerung zu Fall bringen. Es gelingt ihm als manipulierten Menschen, der de facto eine Idee des herrschenden Systems ist und nur darum so viel Kraft und Intelligenz besitzt, die bösen Mächte aus dem Gleichgewicht zu bringen. Vs Infiltration ins System und sein detailliert geplanter Komplott gehen auf, nachdem er die letzte grosse Sprengung seiner mehrjährigen Aktivität ausführt und alle tragenden Figuren ausgeschaltet hat. Durch die Unterstützung der Bevölkerung und seiner «NachVolgerin» wird das Regime gestürzt. Die Zukunft der Gesellschaft ist wieder offen. Vs Vorgeschichte und seine Motive werden dem / der Lesenden durch die Figur des Ermittlers Eric Finch klar, der das Tagebuch der Lagerärztin findet. Auf LSD begibt er sich in die Ruinen des Lagers, wo V behandelt wurde, um die Entwicklungen in Vs Kopf und der gesamten Gesellschaft nachvollziehen zu können. V stellt in all seinem Wirken immer die Freiheit des Menschen ins Zentrum. Er versteht sich als Wiederhersteller der Gerechtigkeit, die in der zum Faschismus degenerierten bürgerlichen Gesellschaft verloren ging – und die sich an ihm besonders grausam verging. Dieses Experiment führt Finch schlussendlich an den richtigen Ort, wo er V stellen kann.

Kurz nach dem Tode Frankensteins erscheint der Dämon an Deck des Todesschiffes und weint um seinen Erschaffer. Die Hetzjagd ist vorbei. Der Kapitän (und anfänglicher Ich-Erzähler des gesamten Buches) stellt den Dämon zur Rede und konfrontiert ihn mit Frankensteins Vorwürfen. Dieser erwidert, dass er sehr unter den Menschen gelitten habe und dass er von seinem Meister verachtend behandelt worden sei. Ohne das wäre er nie zudem geworden, was er ist. Danach verschwindet er im ewigen Eis.

Fazit

Sowohl «V», als auch «Frankenstein» zeigen auf, wie sich Grössenwahn und Dogmatismus in Gruppen und Individuen zur Allmachtsphantasie steigern. Unfähig, ihre Fehler einzugestehen oder zu versuchen, mit ihnen klar zu kommen, vertuschen sie ihr Tun und streben ausschliesslich nach Vernichtung ihrer Schöpfung. Beide Werke sind Metaphern für ausser Kontrolle geratene Wissenschaft, begünstigt durch autoritäre politische und soziale Vorstellungen, Grossmachtspläne und Narzissmus. Sowohl in Frankensteins Welt, als auch in Vs, herrscht die Atmosphäre der Intoleranz gegenüber dem «Anderen», dem «Nicht-Normalen». Organisiert bekämpft im faschistischen England, unkoordiniert und im Affekt abgewiesen in den Wäldern, Dörfern und Städten Deutschlands und der Schweiz: Das «Andere» ist nicht Teil von «uns» und wird verachtet. Das wiederum macht die «Anderen» erst zu gefährlichen, weil durch die Ablehnung hasserfüllten Akteur*innen.

Wer also heute (merklich entmenschlicht) abschätzig und hasserfüllt von «Terroristen» und «Gefährdern» spricht, sollte von den Frankensteins, die sie einst schufen, nicht schweigen. In Diskriminierung, Benachteiligung und Ausbeutung von Einzelnen oder ganzen Menschengruppen liegt der Kern des Hasses derjenigen, die später zurückschlagen werden.