Rollenbilder Text: jin | Bild: lka

Digital Tradwives

Millionen konsumieren Inhalte von Influencer*innen, die das Ideal der perfekten Hausfrau inszenieren. Die nostalgische Ästhetik wirkt harmlos, doch sie transportiert antifeministische Botschaften. So wird Lifestyle-Content zum Instrument politischer Radikalisierung.

Hannah Neeleman steht in ihrer Küche. Ihr blondes Haar ist zu einem Bauernzopf geflochten, sie trägt ein knöchellanges Baumwollkleid mit puffigen Ärmeln. Die Perlmuttknöpfe entlang der Knopfleiste durchbrechen den karierten Stoff in sanftem Rosa und Weiss. Um ihre Hüfte ist eine Jeansschürze gebunden. Ein waldgrüner Holzofen, eine Arbeitsplatte aus Massivholz, darüber schief angebrachte Bilder: Eine kleine Ballerina, ein Blumenstrauss, eine weisse Farm. Die Küche wirkt, als stamme sie aus einem anderen Jahrhundert. In einer Gusseisenpfanne brät sie Fleisch für eine Pastete an, ausschliesslich mit Zutaten vom eigenen Hof. Kinderstimmen im Hintergrund, eine kleine Hand greift nach ihr. «Ballerina Farm» inszeniert die perfekte Grossfamilie. Doch was nach harmloser Landromantik aussieht, ist Teil einer Bewegung, die antifeministische Ideologien über soziale Medien verbreitet: die Tradwives.

 

Tradwives

Eine «Tradwife», kurz für «traditionelle Ehefrau», ist eine Frau, die sich bewusst für ein konservatives Geschlechterrollenmodell entscheidet. Sie verzichtet auf eine klassische Berufskarriere und propagiert stattdessen ein Leben als Mutter, Hausfrau und umsorgende Ehefrau. Der Begriff ist durch Social-Media-Inszenierungen geprägt, in denen Haus- und Familienarbeit romantisiert und ästhetisiert wird. Diese Selbstinszenierungen erinnert stark an das Frauen- und Familienideal der 1950er-Jahre.

 

Historisches Tief der Geburtenrate

Das Social-Media-Phänomen der Tradwives erreicht Millionen und fällt in eine Zeit, in der die Geburtenrate in den USA ein Rekordtief erreicht hat. Im Jahr 2024 kamen pro Frau durchschnittlich 1,6 Kinder zur Welt, so wenige wie nie zuvor, meldete das Center for Disease Control and Prevention (CDC) im Juli.

Für Konservative ist das zugleich Alarmsignal und politisches Kapital. Vizepräsident J. D. Vance erklärte in seiner ersten Rede nach Amtsantritt, er wolle «mehr Babys in den Vereinigten Staaten». Elon Musk schrieb auf X, niedrige Geburtenraten seien ein grösseres Problem für die Menschheit als die Klimakrise.

 

Roe v. Wade als Wendepunkt

Der politische Rahmen dafür wurde mit der Aufhebung von «Roe v. Wade»1 im Juni 2022 geschaffen. Seither liegt die Entscheidung über Abtreibungsgesetze bei den Bundesstaaten. Konservative Regionen führten sofort restriktive Verbote ein, teils ab der Befruchtung. Für Frauen bedeutete das eine massive Einschränkung ihrer reproduktiven Selbstbestimmung.

Viele sorgen sich seither um den Zugang zu reproduktiver Gesundheitsversorgung. «Die Öffentlichkeit scheint ihr Fruchtbarkeitsverhalten angesichts der veränderten Situation angepasst zu haben», heisst es in einem Bericht des Institute for Research on Women, Gender & Sexuality der University of Houston. Kliniken wurden geschlossen, Ärzt*innen kriminalisiert, Betroffene gezwungen, hunderte Kilometer für medizinische Hilfe zu reisen.

Der Bericht zeigt: Der Geburtenrückgang hat sich in jenen Staaten verstärkt, in denen Schwangerschaftsabbrüche untersagt sind, zusätzlich zu Faktoren wie ökonomischer Unsicherheit, Klimawandel und gesellschaftlichem Wandel. Statt mehr Kindern führte die neue Rechtslage zu Verunsicherung und einem noch stärkeren Rückgang des Kinderwunsches.

 

Pronatalismus

«Wir wollen so viele Kinder, wie Gott uns geben möchte», erklärt Hannah Neeleman in einem YouTube-Video, in dem sie zusammen mit ihrem Mann Fragen von Zuschauer*innen beantwortet. Ihre Haltung knüpft an den Pronatalismus an – eine Ideologie, die kinderreiche Familien idealisiert und politische Massnahmen zur Erhöhung der Geburtenrate fordert. Zu den bekanntesten Vertreter*innen zählt Elon Musk, Vater von 14 Kindern.

Der Pronatalismus ignoriert jedoch wesentliche Gründe für niedrige Geburtenraten, darunter ökonomische Unsicherheit, unzureichende soziale Absicherung und fehlende Kinderbetreuung. Die Verantwortung für den «Fortbestand der Nation» wird stattdessen den Frauen zugeschoben.

Zudem weist der Pronatalismus zahlreiche Schnittpunkte mit der extremen Rechten auf: «Unsere» Frauen bekämen zu wenige Kinder, das gelte als Bedrohung für «unser» Volk. Damit verbunden sind nicht nur Frauenfeindlichkeit, sondern auch tief verankerter Rassismus und eugenisches Denken. Letzteres beruht auf der Idee, das menschliche Erbgut gezielt zu «verbessern», indem bestimmte Eigenschaften gefördert und andere unterdrückt werden.

 

Radikalisierung durch Lifestyle-Content

Eine Ideologie, die Frauen auf die Rolle der Gebärenden reduziert, präsentiert sich auf Social Media als Lifestyle. Tradwife-Influencer*innen inszenieren ein vermeintlich einfaches, romantisches Leben: Sauerteigbrot, Schnittblumen, Kinderlachen. Politik wird zur Ästhetik, Ideologie zur Romantik.

Wer solchen Content konsumiert, merkt oft nicht, wie schleichend antifeministische Narrative verinnerlicht werden. Politische Botschaften treten kaum direkt auf, ebenso wenig wie die Zugehörigkeiten zu Religionsgemeinschaften, etwa den umstrittenen Mormonen. Statt Freiheit und Vielfalt wird vermittelt: Glück gibt es nur durch Unterordnung und Mutterschaft. Lebensentwürfe ausserhalb dieses Schemas – queere Familien, kinderfreie Paare, berufstätige Frauen – werden systematisch abgewertet.

 

Keine Idylle für alle

Die romantisierte Darstellung von Hannah «Ballerina Farm» verdeckt einen zentralen Widerspruch: Ihr Leben ist kein Vorbild, sondern ein Ausnahmefall. Ihr Mann Daniel stammt aus einer wohlhabenden Familie; sein Vater David Neeleman gründete mehrere Fluggesellschaften, darunter WestJet und JetBlue. Hannah verdient zudem beträchtlich an Social Media: 10,3 Millionen Follower*innen und 188 Millionen Likes sichern ihr Einkommen. Millionen Frauen in den USA hingegen arbeiten in prekären Jobs – ohne Krankenversicherung, ohne bezahlte Elternzeit. Für sie bedeutet Pronatalismus nicht Idylle, sondern einen Angriff auf Selbstbestimmung und soziale Sicherheit.

Tradwives und Pronatalismus sind keine harmlose Kulturströmung. Sie instrumentalisieren die niedrige Geburtenrate, um Gleichstellung zurückzudrängen und Frauenrechte einzuschränken. Wer diese Inszenierungen unkritisch konsumiert, läuft Gefahr, Teil einer politischen Radikalisierung zu werden, die Frauen erneut auf Mutterschaft reduziert und Vielfalt ausblendet.

Die sinkende Geburtenrate ist ein komplexes Thema. Doch sie lässt sich nicht mit patriarchaler Ideologie lösen, sondern nur mit echter Sozialpolitik. Kinderkriegen muss eine freie Entscheidung sein – nicht ein nationaler Auftrag.

 

1Ist ein im Jahr 1973 getroffenes Urteils des Supreme Courts in welchem Frauen in den USA verfassungsmässiges Recht auf Schwangerschaftsabbrüche haben.