Koloniale Geschichte der Menschenrechte
Die allgemeine Erklärung der Menschenrechte entstand anschliessend an die zwei Weltkriege anfangs des zwanzigsten Jahrhunderts. «Alle Menschen werden frei geboren und sind gleich in ihrer Würde und ihren Rechten», lautet der erste Artikel der universellen Erklärung der Menschenrechte, die 1948 von der UN Vollversammlung verabschiedet wurde.
Es wäre leider jedoch naiv zu glauben, dass der Impuls für die Stärkung des internationalen Rechts das Bedürfnis nach Gleichbehandlung war. Denn dieser Impuls kam aus Europa, wo die erste Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts geprägt war von Rassentheorie, Eugenik und kolonialen Begierden. Viel eher ging es europäischen Staaten darum, zu verhindern, sich erneut gegenseitig zu zerbomben. Es stimmt, dass im Zusammenhang mit dem Ausbau des Völkerrechts auch einige europäische Administrativkolonien aufgelöst wurden. Dies geschah jedoch eher aus ökonomischen Gründen (die Aufrechterhaltung direkter kolonialer Ausbeutung ist sehr ressourcenintensiv). Nicht weil die zugrundeliegende rassistische Hierarchisierung von Körpern neuerdings abgelehnt wurde.
In der Folge ging koloniale Ausbeutung durch westliche Staaten vermehrt auf die Handelseben über. Sie ist dadurch weniger greifbar, jedoch nicht weniger strategisch. Ausbeutung durch «freien Handel» erlaubt es ausserdem, Menschenrechte zu propagieren und gleichzeitig die Verantwortung dafür ausserhalb des eigenen Staatsgebiets elegant abzulehnen, Schliesslich sind alle selbstständigen, souveränen Nationen für die Einhaltung der Menschenrechte in ihrem Staatsgebiet selbst zuständig.
Offiziell können Verstösse gegen die Menschenrechtserklärung im Rahmen der Institutionen der Vereinten Nationen gemeldet und beispielsweise vom Internationalen Gerichtshof auch verurteilt werden. Gerichtsurteile und auch Beschlüsse der UN-Generalversammlung sind indes seit jeher nur so wirkungsvoll, wie die politischen und rechtlichen Systeme der einzelnen Nationen gewillt sind. Der Name united Nations, also «Vereinte Nationen» enthält einen grundsätzlichen Widerspruch. Deshalb sind Vetos, Finanzierungsentzug oder schlicht Ignoranz weitaus häufiger, als dass Verstösse gegen internationales Recht irgendwelche Konsequenzen haben. Doch es gibt auch Fälle wie in Gaza und Palästina, in denen das Einfordern der grossen Versprechen von Freiheit und Gleichheit politische Sprengkraft erhalten kann und kolonialen Mächten gefährlich wird.
Nicht willkommen an der Uni Bern:
Menschenrechtsexpertin Francesca Albanese
Vor zwei Monaten sollte eine Veranstaltung von Amnesty International mit UN-Sonderberichterstatterin Francesca Albanese an der Universität Bern stattfinden. Francesca Albanese ist eine profilierte Rechtswissenschaftlerin und seit knapp einem Jahrzehnt Sonderberichterstatterin für die besetzten palästinensischen Gebiete. Ihre von der UN zugedachte Aufgabe liegt darin, basierend auf geltendem Völkerrecht auf Menschenrechtsverletzungen an Palästinenser*innen in Gaza und den besetzten Gebieten aufmerksam zu machen. Die Veranstaltung wurde abgesagt und die Uni veröffentlichte eine Reihe von Tweets, die Resultate ihrer Recherche, auf welche sie den Entscheid abstützte. Mittlerweile sind die Tweets von der Webseite verschwunden. Zusammengefasst waren die ausschlaggebenden Gründe – wenig überraschend – Antisemitismus und fehlende Ausgewogenheit.
In einem Tweet, in dem Albanese vor mehr als zehn Jahren auf die verheerenden Folgen der fehlenden Finanzierung der UNRWA aufmerksam machen wollte, bediente sie einen antisemitischen Stereotyp. Für die Aussage, ihre fehlende Präzision und die dadurch entstandenen Verletzungen hatte sich Albanese vor langer Zeit entschuldigt. Dass für ein Veranstaltungsort dieser Kontext relevant ist für die Frage, ob eine Veranstaltung tragbar ist, oder nicht, ist nachvollziehbar. Problematisch ist jedoch die Gewichtung, welche die Uni dieser Informationen gab, angesichts eines andauernden Völkermords und der ausgewiesenen Expertise Albaneses.
Völkermord als Geschäft
Um klar zu sein: Auch Francesca Albanese ist nicht perfekt, aber ihre Arbeit ist in den allermeisten Fällen genauso präzise wie schonungslos. Wenn sie das Apartheidregime in den besetzten palästinensischen Gebieten detailliert benennt und israelische Verstösse internationalen Rechts dokumentiert, ist davon zwar nichts wirklich neu. Doch sie spricht von der Plattform der UNO mit der Autorität einer Menschenrechtswissenschaftlerin und erreicht damit Millionen von Menschen. Francesca Albanese ist bewusst, dass vor internationalen Gremien auf Menschenrechte zu beharren nicht ausreichen wird, um den Völkermord in Gaza zu beenden. Der eigentliche Anlass für ihre Reise in die Schweiz war ein Bericht über die ökonomische Rentabilität des Völkermords in Gaza, welchen sie am Folgetag in Genf an der UNO vorstellte. Darin erinnert sie daran, dass Staaten, welche die Völkermordskonvention unterzeichnet haben (darunter die Schweiz), dazu verpflichtet sind, im Rahmen ihrer Möglichkeiten alles zu unternehmen, um einen drohenden oder effektiven Völkermord zu verhindern. Der dreissigseitige Bericht von Francesca Albanese dokumentiert die Aktivitäten von 48 internationalen Unternehmen, welche vom Völkermord und dem illegalen Siedlungsbau profitieren.
Menschenrechte bedrohen faschistische Strukturen
Neben der inhaltlichen Dringlichkeit des Berichts ist insbesondere die vehemente Abwehr gegen Albanese interessant. Wie beschrieben hat internationales Recht nie mehr Verbindlichkeit als unterzeichnende Staaten es zulassen. Weshalb also eine solch vehemente Kampagne zur Verunglimpfung? Eine Begründung dafür ist simpel, jedoch folgenreich: Der Zionismus, die Staatsideologie Israels, sieht im Kern eine rassistische Trennung und Hierarchisierung zwischen jüdischen Menschen und arabischen Menschen vor. Deswegen stellt die Forderung nach rechtlicher Gleichbehandlung den israelischen Siedlungskolonialismus und somit den auf jüdische Vorherrschaft ausgelegten Staat grundsätzlich infrage. Daran haben zwar Staaten wie die Schweiz, welche am Völkermord und der Entrechtung von Palästinenser*innen mitverdienen, kein Interesse. Doch für den Zionismus bleibt die Bedrohung real und die Propagandamaschinerie ist entsprechend angestrengt, um von Forderungen nach Gleichberechtigung abzulenken.
Indem die Universität Bern Francesca Albanese die Bühne entzog, Amnesty International als eine der bekanntesten Menschenrechtsorganisationen auslud und die eigenen Studierenden im Juni erneut zum Schweigen brachte, bekannte auch sie sich klar: Sie bietet keinen Raum für Stimmen, die in aller Konsequenz gleiche Rechte für alle einfordern und Verantwortlichkeiten hinsichtlich des angehenden Völkermords in Gaza aufzeigen. Offen bleibt, ob sich die Unileitung dabei von Israels faschistischer Propaganda verunsichern liess, oder ob sie aus eigener Überzeugung gehandelt hat. Diese Frage ist jedoch nebensächlich, denn das Resultat ist dasselbe. Und die Geschichtsbücher werden sich daran erinnern.