Dem Mann an der Empfangstheke bei der Staatsanwaltschaft im Breitenrain platzt fast der Kragen, als wir – eine Gruppe von etwa einem halben Dutzend junger Menschen – uns für die Gerichtsverhandlung in Raum 56 anmelden. Wir weisen ihn darauf hin, dass es sich um einen öffentlichen Prozess handelt, und lassen ihn mit seiner Wut über die Anwesenheit solidarischer Menschen aus dem Reitschulumfeld im Empfangsraum zurück.
Grund für den Prozess ist ein Vorfall, der sich im Winter 2021 in der Reitschule ereignet hat. An diesem Abend wurde im Sous le Pont eine PoC verhaftet. Eine Reitschülerin hat sich der offensichtlich rassistisch motivierten Polizeikontrolle entgegengestellt. Daraufhin wurde sie wegen «Hinderung einer Amtshandlung» und «Beschimpfung, Drohung und Gewalt gegen Beamte» angeklagt. In der Einvernahme der Polizisten, die als Strafkläger auftraten, fielen Aussagen wie «Sie hat mir Rassismus vorgeworfen, das hat mich sehr verletzt». Auch der Anwalt der Polizisten verwendet in seinem Plädoyer Formulierungen, die zynischer nicht sein könnten. So etwa die Aussage, dass «Beleidigungen dieser Art» schon für «durchschnittliche Menschen» nicht in Ordnung seien – für Polizist*innen hingegen absolut inakzeptabel. Diese Aussage impliziert, dass Polizist*innen so etwas wie «bessere Menschen» sind.
Während des Prozesses habe ich immer wieder das Gefühl, dass hier verkehrte Welt gespielt wird. Wieso wird ein Mensch dafür verurteilt, eine Situation als das bezeichnet zu haben, was sie darstellte, nämlich eine rassistisch motivierte Festnahme? Weshalb lässt die Richterin das Argument im Plädoyer des Anwaltes der Polizist*innen: «das sind garantiert keine Rassisten, das sind Polizisten, die ihren Job machen», einfach so gelten? Es scheint völlig ausgeschlossen, dass ein Mensch gleichzeitig Polizist*in und Rassist*in sein könnte. Die Polizist*innen inszenieren sich im Prozess als Opfer, die wegen einer «Beleidigung» in «abnormalem Ausmass» zutiefst verletzt sind. Als Polizist*innen seien sie sich Vieles gewöhnt: «Ich erstatte nicht wegen jedem kleinsten Vorfall Anzeige», versichert der eine Polizist in seiner Einvernahme. Über das Wohlbefinden der festgenommenen Person wird hingegen kein Wort verloren. Umso absurder sind die rhetorischen Fragen, die der Anwalt der Polizist*innen der angeklagten Person stellt. «Glauben Sie, dass es Menschenrechte gibt?», fragt er sie etwa, um dann noch nachzudoppeln, ob sie wisse, dass es sogenannte Polizeirechte gäbe. Offensichtlich hat er selbst den Inhalt der Menschenrechtserklärung nicht ganz präsent, sonst wäre ihm wohl aufgefallen, dass er gerade dem in Artikel 7 festgehaltenen Grundsatz, gemäss dem alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind und in gleichem Ausmass vor Diskriminierung geschützt werden, widersprochen hat.
Der Freispruch hinsichtlich des Vorwurfs der «Beschimpfung, Drohung und Gewalt gegen Beamte» ist zwar erfreulich, lässt aber das Gefühl, dass die Polizei mit diesem Prozess ein Exempel statuieren wollte, nicht verschwinden. Die Begründung des Schuldspruchs wegen «Hinderung einer Amtshandlung» schien doch relativ ideologisch gefärbt und das Strafmass unverhältnismässig.
Der Prozess zeigt einmal mehr, wie relevant der Kampf gegen Rassismus und Racial Profiling ist. Darum: Lassen wir uns nicht einschüchtern, kämpfen wir gemeinsam weiter gegen rassistische Diskriminierung und zeigen wir uns solidarisch mit Menschen, die von Rassismus betroffen sind und jenen, die sich solidarisch an ihre Seite stellen.
«Das sind keine Rassisten, das sind Polizist*innen»
Mitte Juni 2023 findet an der Kasernenstrasse eine Gerichtsverhandlung statt. Angeklagt ist eine Reitschülerin, Strafkläger sind drei Polizisten der Kantonspolizei Bern. Der Prozess zeigt, wie der Staat abermals das rassistische Verhalten von Polizist*innen deckt und legitimiert.