megafon | American Alb-Dream – Bernies letzte Show?

16. März 2020

American Alb-Dream – Bernies letzte Show?

Text: ffg

«Joe and I didn’t shake hands»: Bernie Sanders beantwortet die Frage der steifen Moderatorin, die seine persönlichen Massnahmen gegen den Corona-Virus hören will. Bernie Sanders und Joe Biden, 78 und 77, sind Kandidaten der Demokratischen Partei für das Präsidentenamt der USA. Beide in der Risikogruppe in Zeiten der unsichtbaren Gefahr. Das Corona-Virus dominiert die vorerst letzte Fernsehdebatte der beiden letzten verbleibenden Kandidat*innen mit Chancen. Was sie täten, wenn sie Präsident wären?, Ob sie die Armee rausholen würden?, Was sie den Familien mit Corona-Patienten sagen möchten?, solche Dinge.

Biden erzählt über die «Ebola-Crisis», in der er und Obama durch «hervorragendes Krisenmanagement» brillierte hätten. Er würde alle Kosten, die Menschen wegen Verdachts oder Diagnose «Corona» auf sich nehmen müssen, den Staat tragen lassen. «The people are looking for quick results now», verkündet Joe mit gradem Rücken und einem Lächeln, das aus einer Zahnpastawerbung stammen könnte. «They dont want a revolution.»

Sanders, mit dem immer gleichen Blick zwar, aber in der Mimik überaktiv, geht es um Grundsätzliches. «Wenn dieses Gesundheitssystem nicht so schlecht wäre, hätten wir jetzt in der Corona-Krise weniger Probleme. Aber Millionen Amerikaner*innen sind sich gewöhnt, bei Krankheit nicht zum Arzt zu gehen, weil sie sich weder den Besuch, noch anschliessend verschriebene Medikamente leisten könnten.»

Wo sich Biden auf das moderate «Obamacare» zurückbesinnen möchte, will Sanders Krankenversicherungen zusammenlegen und den Zugang für alle Menschen zu Gesundheitsfürsorge garantieren. Ausserdem greift Sanders grundsätzlich an: «Wir müssen den Mut haben, die Pharmaindustrie anzugehen. Es gibt jetzt schon Leute, die sich die Hände reiben, die aus Krisen wie der Jetzigen Profit schlagen wollen.»

 

Bosse zu Gast bei Joe

Auch in Sachen Klimapolitik kann Joe Biden weniger gute Argumente, als seine rhetorische und bereits äusserst staatsmännisch wirkende Attitüde in den Ring bringen. «Als ich Vizepräsident war, hatten wir ein Meeting mit den Bossen der grössten Ölfirmen. Sie alle sagten: Der Klimawandel ist unser grösstes Problem.» Aussage: Ich kenne diese Leute, sie kennen den Ernst der Lage, vertrauen Sie mir, liebe*r Bürger*in.

Sein vorgeschlagenes Programm von 1,3 Billionen US-Dollar wirkt mickrig, vergleicht man es mit Sanders 16-Billionen-Vorschlag, um die Klimakrise noch rechtzeitig stoppen zu können. Sanders kontert: «We have to talk about that catastrophal situation. If we want to give our children and future generations a livable planet, we have to tackle the oil- and gas-industry». Bernie greift an – wie immer.

Fundamentale Kritik am Funktionieren der amerikanischen Demokratie, der Ungerechtigkeit in Wirtschaft und Gesellschaft, die wahren Machtverhältnisse – Bernie ist radikal, er redet über die Wurzeln der Probleme, wo sich Joe Biden nur auf die morschen Zweige fokussiert. Bernie zeigt bei Joe Bidens Abstimmungsverhalten der letzten Jahre auf, dass der alles andere als konsequent war – und beispielsweise für die Lockerung sozialer Sicherung lobbyierte, den Irakkrieg unterstützte, immer wieder auf der Seite der Industrie stand, und nicht auf derjenigen der kleinen Leute.

 

Leadership

«True leadership doesn’t mean that you support popular ideas. It means, that you support ideas then, when they are unpopular and you continue to pursue this idea, when they become popular.» Sanders macht klar, warum er der bessere Präsident wäre. Und da schweigt Biden für einmal, denn ansonsten lässt er keine Attacke von Bernie unbeantwortet, ob nun verbal oder non-verbal, mit breitem Grinsen und offensiv zugewandtem Oberkörper.

Joe Biden, das wird klar an diesem Abend, ist der Kandidat, der wohl das Rennen machen wird. Weil er perfekt angepasst ist an die amerikanische Mediendemokratie und souverän auftritt, rhetorisch begabt alle Widersprüche, die Sanders ihm aufzeigt, wegzuwischen vermag. Weil er als Vize-Präsident bereits Teil des Establishments war und sich auf seine Kontakte in Wirtschaft, Medien und Partei verlassen kann. Weil er opportun ist.

Und weil «USA» auch bedeutet, dass eine Präsidentenfernsehdebatte drei Mal von langen Werbepausen unterbrochen wird, die beiden Kandidierenden wie Boxer im Duell präsentiert sind, weil drei Moderator*innen und ein Kandidat wie Madame-Tussaud-Wachsfiguren wirken, nicht wie Menschen.

Bernie Sanders hat als Sohn eines polnischen Einwanderers und als seinen Ideen treu gebliebener Politiker hohe Glaubwürdigkeit und Authentizität. Aber das reicht nicht. Für die permanente Krisensituation der USA im Innern wie im Äussern, für die Stürme, die über das Land ziehen, scheinen radikale und grundsätzliche Lösungen kompliziert und untauglich, wenn es ums schnelle Handeln geht. Dabei könnten nur sie verhindern, dass die USA das Phänomen «Trump» in wiederkehrenden Zyklen als amerikanischen Albtraum erlebt.

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