megafon | «Bomben-Holocaust» und Physiognomie – wer ist der «Swiss Mens Club of Freedom»?

19. Dezember 2021

«Bomben-Holocaust» und Physiognomie – wer ist der «Swiss Mens Club of Freedom»?

 

Text: Andrea Gerber, Lisa Camenzind, Noah Wyss

Sie geben sich bedrohlich und stark: Seit gut drei Monaten treibt sich eine Männer-Gruppe namens «Swiss Mens Club of Freedom» an Demonstrationen der Massnahmengegner*innen herum. Viele fragen sich: Wer ist das? Wir sind dem nachgegangen.

Gruppenfoto von Erstmitgliedern des Swiss Mens Club of Freedom
Gruppenfoto von Erstmitgliedern des Swiss Mens Club of Freedom

Seit einigen Wochen kursieren auf Twitter und in einschlägigen Telegram-Chats Gruppenfotos von Männern, die in schwarzen Pullovern mit einheitlichem Logo posieren. Über dem Logo – einem Lorbeerkranz mit den Buchstaben «WG» in der Mitte – steht: «Swiss Mens Club of Freedom since 2021». Die Männer bewegen sich im Umfeld der Massnahmengegner*innen und leisten auch Sicherheitsdienst an Demonstrationen. Auf ihrem Twitter-Kanal schreibt die anonyme Gruppe über sich: «Kollektiv aus verschiedenen Ecken, Gesinnungen und Nationalitäten in der Schweiz.» Wer also ist dieser «Swiss Mens Club» und warum gibt es ihn? Ist die Gesinnung wirklich so divers? Wir sind in diese «Männerwelt» eingetaucht.

Der «Swiss Mens Club» wird von seinen Mitgliedern auch «Männer WG» oder nur «WG» genannt. Erstmals in der Öffentlichkeit aufgetaucht sind die Kleider mit dem WG-Logo an der Grossdemonstration vom 23. Oktober 2021 in Bern.

Doch der Name «Männer WG» tritt schon früher in Erscheinung: Am 19. September 2021 trafen sich einige Massnahmengegner*innen zu einem Fest in kleinem Kreis nahe der Deutschen Grenze. «Grill&Chill» stand auf der Einladung. Es wurde ein Gebäude in einem kleinen Dorf gemietet, Lichterketten montiert und Spielsachen bereitgestellt. Sogar an die Tischdekoration wurde gedacht.

An diesem Fest entstand ein Gruppenfoto. Darauf abgebildet: 15 Männer und eine Frau. Tags darauf taucht der Begriff «Männer WG» das erste Mal in Telegram-Chats auf – bezogen auf ebendieses Foto. Das lässt darauf schliessen, dass sich die Gruppe an dem «Grill&Chill»-Fest gegründet hat.

Von den ca. 20 Erstmitgliedern des «Swiss Mens Club of Freedom» konnten wir 13 mit Namen identifizieren. Eine Auswahl davon wird im Folgenden vorgestellt.

 

Martin H. – «Papi» und rechtsradikal

Einer, der das Logo schon früh auf seinem Telegram-Profil zeigte, ist Martin H. aus dem kleinen Dorf B. nahe der Deutschen Grenze. Er scheint eine zentrale Figur zu sein: So war er Gastgeber des oben genannten Festes, an welchem die «WG» gegründet wurde.

Martin H. ist schon sehr lange an Demonstrationen unterwegs, wo er sich aktiv vernetzt. Auf Telegram partizipiert der Vater von drei Kindern in diversen Chats von Massnahmengegner*innen. Hier teilt er nebst Demoaufrufen auch LGBTQI*-feindliche Inhalte – beispielsweise das Piktogram einer Familie, die sich mit einem Regenschirm vor einem Regenbogen schützt. In anderen Posts ruft er aktiv zu Gewalt an Gegendemostrant*innen auf. In einem Fall gar zu Entführung ebendieser: «AntifantenJagd in Zürich! Wer holt sich das grösste Exemplar», steht da.

Symbol in einem Meme, gepostet von Martin H.
Symbol in einem Meme, gepostet von Martin H.

Auf seinem Telegram-Profil bezeichnete Martin H. sich selbst als «Eh(r)enmann, Papi, Eidgenoss, Freiheitskämpfer, das Netzwerk». An einer Veranstaltung der «Corona Rebellen» vom 2. Oktober 2021 in Zug war er mit einem «Peripetie»-Shirt zu sehen. Eine Marke, die hauptsächlich von rechtsextremen getragen wird: Die Motivation für die Gründung von «Peripetie» war es explizit, eine Marke zu schaffen, die nur von Rechten getragen wird. Auch «Pepe the Frog» kommt bei Martin H. immer wieder vor: «Pepe = Liebe» schreibt er beispielsweise. Pepe ist ein beliebtes Symbol bei Rechtsextremen.

 

Simon W. – Physiognomie als Hobby

Weiter in der Gruppe dabei ist Simon W. Einen YB-Schal um die Schultern gelegt, sieht man ihn oft an Demonstrationen, insbesondere in Bern und Zürich. Doch auch in Schaffhausen war er schon demonstrieren – hier gar in einem Hemd der Freiheitstrychler, die Kuhglocken schwingend.

Noch mehr als Corona fürchtet Simon W. den sogenannten «Kommunismus 2.0». Und der wird laut seinem Weltbild gerade jetzt eingeführt. Was Simon W. dagegen weniger schlimm findet ist Rassismus. «Ich finde Rassismus völlig normal.», führt er in einer Telegram-Diskussion aus.

Eine Leidenschaft von Simon W. ist die «Physiognomie». Für ihn heisst das, Menschen anhand ihrer Gesichtszüge eine Abstammung zuzuordnen. Er bezieht sich damit auf eine «Wissenschaft», die es nicht gibt. «Ich schaue allen ins Gesicht und frage mich, woher sie abstammen. Beschränke mich dabei aber nicht auf Ashkenazi.» Aschkenasim ist eine Selbstbezeichnung von mittel-, nord- und osteuropäischen stämmigen Juden. «Ich mag das zuordnen und ob ich richtig lag», schreibt er und erklärt, dass es beispielsweise bei «Bergjuden» «sehr schwierig» sei. Simon W. behauptet, dass er Georgier, Tschetschen, Armenier und Azeri gar auf 100 Meter auseinander halten könne – «ist ein Hobby».

Aussage von Simon W. in einer Diskussion über Physiognomie
Aussage von Simon W. in einer Diskussion über Physiognomie

Weiter ruft er auf, man müsse «die Hintermänner finden und aufhängen, die unser Land in Gefangenschaft nahmen». Damit in der Schweiz nicht dasselbe passiere wie in der Ukraine. Mit «Hintermänner» meint Simon W. jüdische Menschen. Denn: die Juden hätten seiner Meinung nach den Krieg zwischen Russland und der Ukraine angezettelt.

 

Simon H. und Bruno B. – Ein Mitläufer und LGBTQI*-Hass

Simon H. seinerseits versucht schon seit über einem Jahr, Anschluss zu rechtsradikalen Massnahmengegner*innen zu finden. Nun scheint er es geschafft zu haben. Das Gedankengut von Simon H. ist rechtsideologisch geprägt. So zeigt er sich gerne in T-Shirts der rechtsextremen Partei PNOS. Und auch er trägt die oben erwähnte rechtsextreme Marke «Peripetie».

In Chats schreibt Simon H. von «LGBTQI*-Verseuchung» und davon, Gegendemonstrant*innen zu «zerreissen». Er will Frauen, Kinder und Alte an Demonstrationen verteidigen. Ausserdem spricht er Drohungen gegen Journalist*innen aus. Den Chat-Admin des Telegramkanals «patriot.ch» bezeichnet er als einen «guten Anführer».

Weiter im «Swiss Mens Club» aktiv ist auch Bruno B. Er ist schon länger an Demonstrationen unterwegs und teilt ab und zu Videos davon. Dort hält er gerne Ausschau nach Zivilpolizist*innen oder Gegendemonstrant*innen.

Bruno B. hat in seinem Telegram-Profil ein Bild mit dem alten Logo von Thor Steinar – ein Erkennungsmerkmal der rechtsextremen Szene. Seine rechtsextreme Gesinnung zeigt sich auch in seiner Chat-Aktivität: Viele Posts handeln von Migranten, die einheimische Frauen töten sollen. Zudem macht er – wie Martin H. – LGBTQI*-feindliche Posts und insbesondere «Linke und Grüne» hasst er. Der Klimawandel: ein Fake. Die Klimamassnahmen: ein Mittel zum Machtaufstieg der Linken.

 

Enzo S. – «Bomben-Holocaust» und «Reisfresser»

Auf dem oben erwähnten «Gründungsfoto» des «Swiss Mens Club of Freedom» ist auch Enzo S. ersichtlich. Enzo S. ist glühender Qanon-Anhänger. Daneben schreibt er unter anderem vom «Bomben-Holocaust», ein Begriff der Rechtsextremen in Deutschland, und gedenkt den «Verbrechen an Deutschen – das augenscheinlich grösste Tabu des 20. Jahrhunders». In einem Post ärgert er sich über den «genetisch gefickter Gehorsam» der «Reisfresser». Pikant: Enzo S. gründete ein Hilfswerk in Kambodscha, wo er vor Ort mitgearbeitet hatte.

Post von Enzo S.
Post von Enzo S.

Auf Telegram nennt er sich «Renzo Destra» und ist bekannt für seine zahlreichen Videos, in denen er die wildesten Verschwörungsmythen verbreitet. Über einen Virologen schreibt Enzo S. in einem Chat: «Es sind sehr, sehr kranke und korrupte Zeitgenossen, die ihr Leben hier auf der Erde verwirkt haben! Die werden keine Chance haben, bei einem Militärtribunal lebend durchzukommen!!!!!!».
Seinen Telegram-Kanal führt er mit dem bekannten Freiheitstrychler Chrigi Rüegg.

 

«Grill&Chill X-Mas Edition» – mit organisierten Neonazis

Am 5. Dezember 2021 fand bei Martin H. ein weiteres Fest statt. «Grill&Chill X-Mas Edition», so der Name. Die Tischdekoration diesmal weihnachtlich mit Erdnüssen, Mandarinen und Kerzen. Auch an diesem Fest war die «Männer WG» anwesend. Mit dabei: Sepp H., der auf Facebook unter Posts der rechtsextremen Partei PNOS fleissig kommentiert.

Auch Daniel B. war Gast am «Grill&Chill X-Mas Edition». Vor kurzem veröffentlichte das linke Kollektiv MiliZH eine ausführliche Recherche über die Verbindung der Naziszene mit den Massnahmengegner*innen. Auf einem dieser Bilder zu sehen ist Daniel B., wie er in Luzern mit Nazis marschiert.

Bei zahlreichen anderen Mitgliedern findet sich ein rechtsextremer Hintergrund: so reiste ein WG-Mitglied namens «Woschi» kürzlich zu Ignaz Bearth nach Ungarn. Ignaz Bearth ist ein rechtsextremer Politiker, der mittlerweile nach Ungarn ausgewandert ist und von dort aus unter den Massnahmengegner*innen kräftig für sein rechtes Gedankengut wirbt.

Von links nach rechts: "Woschi", "Shipi", Ignaz Bearth, unbekannt
Von links nach rechts: «Woschi», «Shipi», Ignaz Bearth, unbekannt

 

Fabian I. – der Linke?

Bei der klar rechtsradikalen Gruppe scheint nur einer aus der Reihe zu tanzen: Fabian I. Denn Fabian I. läuft an Demonstrationen immer mit einer Anarchie-Fahne herum. Doch was macht ein Linker in rechtsradikalen Kreisen? Wie das Kollektiv MiliZH ausführt, ist die Anarcho-Gesinnung bei Fabian I. wohl mehr Schein als Sein. MiliZH schreibt: Fabian I. glaube an die Verschwörungstheorie, dass jüdische Menschen selbst den Holocaust verübt hätten. Zudem sei er nicht in linken Strukturen aktiv gewesen, sondern war lediglich Teil einer Cybergoth-Subkultur und ging an Festivals.

Journalist*innen wissen mittlerweile: Fabian I. ist an Demonstrationen oft stark betrunken und darum in seiner Handlung unberechenbar. Gewalt scheut er nicht.

 

Die «Männer WG» in der Coronabewegung

Wie oben erwähnt tauchten die WG-Mitglieder zum ersten mal am 23. Oktober 2021 an einer Demonstration auf. Schon an dieser – organisiert von der Freien Linken und dem Bündnis Urkantone – befanden sich Männer in WG-Kleidung im Sicherheitsteam. Sie bewegten sich vor dem Demozug. Ebenso traten sie an der Demonstration vom 20. November 2021 in Zürich auf – diesmal organisiert von «Mass-Voll». Am 23. November 2021 schliesslich stellten gar die Freiheitstrychler den «Swiss Mens Club» als Sicherheitsdienst auf.

Martin H. freut sich über den Security-Einsatz für die Freiheitstrychler
Martin H. freut sich über den Security-Einsatz für die Freiheitstrychler

Interessant in diesem Kontext ist zudem eine weitere Veranstaltung: Am 2. Oktober 2021 veranstalteten die «Corona Rebellen» einen Event in Zug, der es in sich hatte. Sechs Stunden lang folgte Vortrag auf Vortrag mit einer Verschwörungserzählung nach der anderen. Themen waren unter anderem: Chemtrails, Great Reset, Ritueller Missbrauch, 12-Punkte Plan der neuen Weltordnung und viele weitere. An diesem Tag führten Mitglieder der «WG» die Einlasskontrolle zum Gelände durch.

Aus Journalistenkreisen ist zudem zu vernehmen, dass insbesondere die WG-Leute Reporter*innen an Demonstrationen bedrängen und versuchen sie einzuschüchtern. Trotzdem werden sie von wichtigen Organisationen als Demoschutz akzeptiert oder gar aktiv angefragt. Die Organisator*innen scheinen kein Problem damit zu haben, betrunkene, gewaltbereite Rechtsradikale als Prügelknaben an Demonstrationen einzusetzen, um Journalist*innen und Gegendemonstrant*innen einzuschüchtern.

Wenn die «WG» von «verschiedenen Gesinnungen» schreibt, die ihre Gruppe ausmache, erscheint dies fragwürdig. Die meisten der Mitglieder hassen die LGBTQI*-Community und äussern sich rassistisch. Sie haben ein sehr gewaltbereites Auftreten und viele von ihnen arbeiten mit rechtsradikalen Symbolen und tragen rechtsradikale Marken.

Damit, dass die Organisationen der Coronabewegung die «Männer WG» als Demoschutz einsetzt und deren aggressives Auftreten toleriert, legitimieren sie auch deren Gedankengut. Dass das rechtsradikale Gehabe weder die Demoorganisation noch die Demoteilnehmenden stört, spricht Bände. Die Aussage «Ich habe noch nie Rechte an einer Demo gesehen» wirkt vor diesem Hintergrund geradezu lächerlich. Dass Rechtsradikale und Rechtsextreme sogar Demoschutz an einer Kundgebung der Freien Linken machen dürfen, ist absurd. Wer in seinen Reihen Rechtsextreme toleriert, toleriert Rechtsextreme in seinen Reihen.

 

Und die Verschwörungen?

Die gibt es. Reichlich. Freimaurer, Chemtrails, Ufos, Pädophilenringe, Satanistenorden, Massenmord durch verseuchte Corona-Tests, die Sonne bestimmt das Klima nicht CO2, angebliches Massensterben von Geimpften, Killer-Impfstoff, Great Reset, Gehirnchip, sind nur einige Stichworte.

 

‹Safespace› für menschenverachtendes Gedankengut

Trotzdem wirkt die «Männer WG» auf den ersten Blick oft wie ein Haufen Dorfclowns, die sich gerne gemeinsam betrinken, an Demonstrationen und Events krasse Macker markieren und sich gegenseitig auf die Schultern klopfen beim Grölen von rassistischen Parolen. Die «Männer WG» zeigt sich oftmals dilettantisch organisiert und scheint zu Teilen aus Mitläufern und Möchtegern-Rebellen zu bestehen. Trotzdem ist die Gruppierung als Phänomen auf jeden Fall ernst zu nehmen. Sie dient der Zelebrierung einer toxischen Männlichkeit und der verzweifelten Wiederbelebung des Alphamannes, der Frau und Kinder vor bösen Eindringlingen schützt. Sie kreiert einen ‹Safespace›, wo sexistisches, queerfeindliches, rassistisches und antisemitisches Gedankengut noch willkommen sind. Und all das ist kein Zufall.

Das Konzept der «Männer WG» und ihr Auftreten entspricht einem Trend, den die extreme Rechte im deutschsprachigen Raum schon länger aktiv kultiviert. Rechtsextreme Publizistik und aktivistische Gruppierungen wie die «Identitäre Bewegung», rechtsextreme Burschenschaften, aber auch pseudo-intellektuelle Männergemeinschaften haben längst entdeckt, wie sich rund um die Themen «Mann» und «Männlichkeit» diverse Verschwörungstheorien verknüpfen und Feindbilder aufbauen lassen. Beispielsweise die des Bevölkerungsaustausches bzw. «The Great Replacement», die bereits seit Jahrzehnten kursiert. Gesteuert von jüdischen elitären Mächten sollen angeblich muslimische Migranten gezielt nach Europa geschleust werden, wo die «Eindringlinge» mit der LGBTQI*-Community gemeinsame Sache machen und die traditionelle, christliche, weisse, cishetero, monogame Kernfamilie angreifen um die europäische, weisse Bevölkerung Stück für Stück auszutauschen.

Die bösen Feministinnen unterstützen diesen Plan angeblich, indem die durch die Emanzipation der Frau sinkende Geburtenrate es den bösen Mächten scheinbar noch leichter macht, die traditionelle Familie zu zersetzen. Und wer steht laut der extremen Rechten wie ein Fels in der Brandung inmitten dieses Sturms an irrsinnigen Verschwörungstheorien? Richtig, der christliche, weisse, cishetero Mann, der sich schützend vor Frau und Kinder stellt.

 

Die Wiederbelebung der «rechtsextremen Männlichkeit»

Rund um dieses Konzept des Mannes lassen sich nach Belieben Verschwörungsnarrative kombinieren und traditionelle faschistische Feindbilder werden weiter verfestigt. Dabei spielt den Propagandaministern dieser Gruppierungen in die Hände, dass progressive Anliegen wie Queerfeminismus in der Mitte der Bevölkerung viele Emotionen auslösen. Männer, die von feministischen Errungenschaften eingeschüchtert sind, um ihre patriarchale Vorherrschaft fürchten oder schlicht Angst haben, in dieser vorwärtsgehenden Gesellschaft keine Partnerin zu finden, finden in diesen Gruppierungen den perfekten Anschluss. Diese Emotionen bilden den perfekten Nährboden für eine Radikalisierung, welche die Rechte geschickt für sich auszunutzen weiss.

Vereinigungen wie die «Männer WG» bieten einen Safespace, wo alles noch ist, wie vor 50 Jahren, auch das Männlichkeitsbild. Hier können sich diese Männer noch als Krieger, Beschützer, Helden inszenieren. So zum Beispiel auch «WG»-Mitglied Jürgen B., dessen Facebookprofil sich fast ausschliesslich um verstörende Meldungen von verschwundenen Kindern und Gewalt gegen Frauen dreht. Dies jedoch nicht, weil sich Jürgen B. gegen patriarchale Gewalt einsetzen will, sondern weil er zu wissen meint, wer für diese Zustände verantwortlich sein soll.

Mit diesem archaischen Männlichkeitsbild geht oft eine Faszination für Gewalt, Waffen, Kampfsport und Kriegstechniken einher. Auch Mitglieder der «Männer WG» zeigen sich immer gerne in diesen Kontexten. Bei den einen mag es in diesen «Hobbys» tatsächlich um Verteidigung gehen. Um Selbstverteidigung, Verteidigung der Familie, des Status Quo, der aktuellen Machtverhältnisse. Andere jedoch stehen längst an einem anderen Punkt, fantasieren von gewaltvollen Umstürzen und der aktiven Verfolgung ihrer politischen Feindbildern.

 

«Männerbünde» zur Festigung rechtsextremer Strukturen

Und genau deshalb sollte man Clowntruppen wie die «Männer WG» eben doch ernst nehmen. Die Entwicklung der extremen Rechten im deutschsprachigen Raum zeigt, dass sich solche Vereinigungen als Konzept bewährt haben, um rechtsextreme Strukturen aufzubauen und Ideologien zu verfestigen. In der «Männer WG» lassen sich viele Mitläufer und Möchtegern-Widerständler finden – aber genau die braucht der harte Kern der Rechtsextremen und Faschos, um langfristig ihre Pläne verfolgen zu können. Sie sollen eben nicht in erster Linie die Infrastruktur für die gezielte Organisation von politischen Aktionen bieten. Sondern den traditionellen «Männerbund», wie solche Gruppen schon anfangs 20. Jahrhundert genannt werden, wiederbeleben. Das Konzept «Männerbund» spielte auch im Regime des Nationalsozialismus eine elementare Rolle, welche das Bild der «Männlichkeit» weiter mit klassisch rechtsextremen Motiven auflud.

Das muntere Zusammenkommen, Vernetzen, Biertrinken, sexistische Schnupfsprüche reissen sowie das Kampfsporttraining und die Begleitung von Demonstrationen von Männern im rechten bis rechtsextremen Spektrum sollen im Mainstream ankommen, kulturell verankert werden oder bleiben. Denn genau darauf setzt die extreme Rechte in Europa: Dass ihre Strukturen und Ideologien in der Mitte der Gesellschaft ankommen und verfestigt werden. Mit Gruppierungen wie der «Männer WG» verfügen eingesessene Neonazis nicht nur über ein Netzwerk von gewaltbereiten Mitläufern, die auf ihr Kommando reagieren. Sondern auch über ein Netzwerk, das sich ihren Platz mitten in der Gesellschaft schafft.

Es wäre nicht erstaunlich, wenn die «Männer WG» schon beim nächsten Schützenfest in Hinterdöttingen Bratwürste verkauft, das Geld an einen «guten Zweck» spendet – und dabei ganz nebenbei Männer und Jungen anwirbt, die schon länger einen Groll gegen den Feminismus und andere progressive Entwicklungen hegen.

 
 

Nachtrag:

Am 20.12.21 machte die «Männer WG» einen weiteren Schritt an die Öffentlichkeit. Neben einem auf Telegram verbreiteten Text, in welchem die Gruppe von sich behauptet, «unpolitisch» und «antifaschistisch» zu sein, schaltete sie auch eine eigene Website auf.

Interessant daran: Die Domain der «Männer WG»-Website verwendet die Nameserver der «Hilweb GmbH» und führt selbige auch als Registrar auf. Die «Hilweb GmbH» ist die Firma des IT-Unternehmers Markus Hilfiker, welcher unter anderem das Portal «Patriot.ch» und den gleichnamigen Telegram-Kanal betreibt. Wie der «Blick» berichtete, unterstützt er zudem die «Freiheitstrychler» bei ihrem Internetauftritt, ihrem Versand-Shop und ihren Markenregistereinträgen.

Die von rechtsradikalen, rassistischen und queerfeindlichen Personen geprägte «Männer WG» ist also keineswegs eine unbedeutende Splittergruppe am Rand der Coronabewegung. Vielmehr ist sie gut vernetzt mit wichtigen Akteur*innen der Szene. Und sie versucht gerade, mehr Leute für ihre Sache zu rekrutieren.

 
 

Weiterführende Literatur:

Ginsberg Tobias, Die letzten Männer des Westens, Antifeministen, rechte Männerbünde und Krieger des Patriarchats, Hamburg 2021.

Blum Rebekka / Rahner Judith, Triumph der Frauen? Das weibliche Antlitz des Rechtspopulismus und -extremismus in ausgewählten Ländern, Berlin 2020.

Ebner Julia, Radikalisierungsmaschinen, Wie Extremisten die neuen Technologien nutzen und uns manipulieren, 2. Aufl., Berlin 2019.

Nocun Katharina / Lamberty Pia, Fake Facts, Wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen, Köln 2020.

Piper Ernst, Die jüdische Weltverschwörung, in: Julius H. Schloeps / Joachim Schlör (Hrsg.), Antisemitismus, Vorurteile und Mythen, München 1995, 127-135.

Salzborn Samuel Rechtsextremismus, Antisemitisches Verschwörungsdenken im

Rechtsextremismus, in: Samuel Salzborn (Hrsg.), Antisemitismus seit 9/11, Ereignisse,

Debatten, Kontroversen, Bnd. 11, Baden-Baden 2019, 151-164.

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