megafon | Sisch nid wit wägg

2. Dezember 2021

Sisch nid wit wägg

Unsere beiden Reporter daf und ffg waren an einem Konzert. Zum zweiten Mal folgten sie dem Ruf von «AMIXS», der neuen Synthie-Popper-Avantgarde aus Basel. Dieses Mal führten sie ein Nachttagebuch, das sie im megafon exklusiv veröffentlichen.

Text & Fotos: DAF, FFG


 

AMIXS sitzen bei Bier und Momos neben Jeans for Jesus, einer Musikgruppe aus Bern, inklusive Entourage. AMIXS, wer ist denn das? Das sind Simon, der mit den pinken Haaren und tiefen Stimme, Salz, Patrick Salz, der mit dem Gefühl für die Synthis und Tommy, der mit dem Gefühl für die Drums, der Neuste in der Band (seit diesem Album dabei). Wir hätten auch essen dürfen dort, das wussten wir nicht und haben uns so schon im «Sultan» bedient. «Um 8 im Sultan? Viel zu früh!» weist uns Simon zurecht. Später werden wir nochmal vorbeischneien. Zu üblicheren Zeiten.

 

20:30 – Rotwein beim Beim-Znacht-Zusehen
AMIXS ist auf Tour mit dem «Bahnhof Buffet Olten», ihrem neusten Album. Das Konzert in der Kaserne in Basel markiert den Abschluss ihrer «Olten re-Tour».  «Ich mag nichts essen, bin so aufgeregt, nur eine Viertelstunde Soundcheck. Das ist zu wenig», sagt Simon und wir laufen mit AMIXS zur Kaserne, wo in einer halben Stunde das Konzert beginnt. Wir  stolpern in den Konzertsaal. Hier sucht und findet Simon den AMIXS-Merchandisekoffer, drückt ihn uns im Wohnzimmer wieder in die Hand – wir haben für nach dem Konzern einen Job gefasst. Danach geht’s hoch ins Back Stage. Sanja ist auch schon da: Sie singt auf einem Feature bei AMIXS neuer Platte. Viel Zeit bleibt nicht mehr, um es sich gemütlich zu machen. AMIXS und Sanja bilden einen Kreis und umarmen sich. Vom Tisch mit den Snacks schaut DJ Bobo in legerer Pose zu.

 

21:15 Bier mit Konzert
Das Konzert beginnt um 21.15 Uhr ohne Publikum. Als die ersten Töne von Patricks Synthesizer erklingen, öffnet sich das Tor und die Menschen strömen in den Saal. Die Halle füllt sich rasch. 200 Leute vielleicht. Die Masse scheint uns motiviert, aber auf eher bedacht, denn exaltiert zu sein. Vor der Bühne ein Sicherheitsabstand zur Band von etwa zwei Metern. Kein Gerempel, kaum Berührungen, man steht trotzdem eng. Die Bühnenpräsenz von AMIXS ist stark. Während Tommy und Salz ihre Drums und Keys bearbeiten, springt Simon vor- und zurück, legt sich hin, mäht mit seiner Stimme die Übergänge. Beim Finalsong «Mach mit» hüpft er fast durchgehend, was die Meute ansteckt. (Fast) alle machen mit. Dann ist fertig, und nach einem lauten Applaus verabschieden sich Band und Crowd voneinander. Die einen müssen gehen (AMIXS), die anderen (Crowd) warten auf das nächste Konzert.

22:00 Merch-Stand mit Apérol
Wir zwei verkaufen unterdessen Shirts, Platten und AMIXS-Glutamat am Merch-Stand. Die Band baut ihr Equipment ab. «Es war recht wild» sagt Julia, die das erste Mal die BaslerBoyBand live erlebte. «Sie haben die 80er in die Schweiz geholt». Daneben sitzt Niklas, der ebenfalls das erste Mal dabei ist. «Ich mag den Lokalbezug, den Text habe ich nur teilweise aufgeschnappt.» An der Bar wird unser grünes Backstage- Bändeli zuerst nicht akzeptiert. Erst nach unserem Insistieren bekommen wir den Aperol zum halben Preis. Wir trinken wie mit Halbtax – was für 1Leben. Kunst misst sich nicht am Portemonnaie und Journalismus nicht an der Auflage.

 

 

22:21 Merch-Stand mit Prosecco
Im Wohnzimmer der Kaserne in Basel: Parkett-Boden in hohen Mauern; Steh- und Hängelampen leuchten sie aus. Fasan und Fuchs, ausgestopft, schauen hinter der Eckbar auf die Gäste herab. «Im Rössli wars ein Bisschen dreckiger als hier», stellen wir fest. Andrea, die heutige Mischerin von AMIXS, setzt sich zu uns, während Simon, der mittlerweile beim Merch-Stand angekommen ist, seine Fans unterhält und J4J nebenan «Estavayer» in die Mikrofone stöhnen. Andrea hat vor drei Wochen im Rössli AMIXS zum ersten Mal abgemischt. Sie wohnt in Basel und arbeitet regelmässig für den Dachstock und das Rössli in Bern. «Beim Live-Konzert kann es holpriger tönen, als auf der CD. Ich finde das gut», wir können nur beipflichten. Wie fand sie ihre Harmonie heute mit AMIXS? «Teilweise haben wir uns nicht verstanden, und die Vorbereitungszeit war zu knapp», sagt sie. J4J standen im Stau, so verzögerte sich der Soundcheck. «Ansonsten hats sehr Spass gemacht. Die Soundqualität war gut.»

 

23.15 Interview mit Patrick Salz
Um AMIXS zu verstehen müssen wir uns auf die Zwischentöne konzentrieren. Die Wahrheit erkennen wir nur, wenn wir das Milieu verstehen, aus dem sich AMIXS als Basler-Boy-Band schält. Ein wenig Kunsti-Chic, sozial-ökologisches Bewusstsein und der Exzess.
«Alli machet mit» – ein kritischer Song für die unkritischen Massen, erklärt uns Patrick. «Du schänksch dere Welt dis Härz – du hesch so viel Liebi zgä – du erhabni Referänz – hesch nie a dis Ego dänkt.» So klingt der Refrain des Liedes. «Die Idee dahinter ist es, den Willen zum Mitmachen zu illustrieren, sich nach einem Anführer oder einem Leitmotiv zu richten, ohne sein Handeln zu hinterfragen», meint Salz. Gleichzeitig sei es ein «Dialog-Song, bei dem das Volk interagiert mit dem Herrscher interagiert – das Volk antwortet im Refrain mit «…hesch nie a dis Ego dänkt», und frotzelt damit über seinen Herrscher». Gerade die Reaktion des Publikums, das vorhin im Konzertsaal tatsächlich mitmacht und Simons Hüpfen kopiert, ist erschreckend schön zu betrachten. Da ist nämlich beides, Hörigkeit gegenüber der Band und eine übertriebene Spiegelung der drei Leute, die da auf der Bühne hüpfen und musizieren.
Andere Lieder wie «Kannenfeldplatz» zelebrieren die eigenen Alltagspraxen und Ästhetik, wo die Zigaretten selbst gedreht und die Kleider von der Brockenstube sind. Hier geht es eher um das Lebensgefühl, als um den Inhalt. Auch Rückzüge und Utopien werden thematisiert, im Lied «Balkonien». «Bahnhof Buffet Olten», nein das ist keine Hommage an Peter Bichsel, sondern eine Hymne auf das Nebelmeer und an den inoffiziellen Mittelpunkt der Schweiz. «Sisch nid wit wägg – E halb Stund vo det, e Halbstund vo da, e Halbstund vo überall – is Bahnhofbuffet Olten». Die Musik von AMIXS ist dadaistisch, gleichwohl auch Sozialstudie und Sozialkritik für eine Generation, die nichts mehr neu erfinden kann. Alles schon mal dagewesen und jetzt dasselbe – einfach anders, oder einfach wieder mal hervorgeholt und neu vertont. AMIXS funktioniert auch ohne Text.

 

 

2:00 Ins René auf nen Absacker
Simon zieht uns mit. Wir laufen über den leeren Kasernenplatz. Zigarettenrauch wabert in die neblige Nacht hinein. Felix hängt sich bei Simon ein. Im René (das sich hinter einer unscheinbaren Tür einer dunklen Häuserfassade verbirgt) gibt’s ein ausgeklügeltes Schleusensystem, damit kein Lärm nach Aussen dringt. Als wir drin sind, läuft 80ies-Rock. Die Tische sind alle besetzt. Gäste, die schon am Konzert waren, warten an der Bar, bis wieder einer frei wird. Man rückt die Stühle näher. Alkohol ist weissgott schon genug geflossen, aber wir gönnen uns noch was. Plötzlich knutschen drei Leute, wie geht das, frage ich mich; daneben dreht sich einer hektisch hin- und her; jemand fotografiert. Niemand stört sich.

«Das wäre in der Reitschule anders», sagt der, der neben mir sitzt und schmunzelt. Den Barkeeper bekommen wir nicht zu Gesicht, trotzdem füllen sich unsere Gläser immer wieder. Simon ist ja auch noch da. Simon verlässt selten der Platz. Einer entdeckt unsere Kamera und fängt an zu fachsimpeln. Wir nutzen den Moment und gehen auf die Toilette. Kurz beraten, wie geht’s nun weiter? Simon ist schon ziemlich betrunken und wir dürften auch nicht mehr Autofahren. Noch ein paar Fotos und ein Statement eines Gastes. «Die Leute setzen sich wohl gerne in Szene», nuschelt David hinter der Hand hervor. Beim «Renée» handle es sich auch um eine Kunsti-Kneipe, erklärt uns Chris, der Simon kennt, «lange geöffnet, teure Cocktails, was willst du mehr?». Wir lachen, die teuren Cocktails passen dann doch nicht ganz ins Konzept, wie sich Felix den* oder die* «brotlose Kunsti» vorstellt. Dann solls losgehen, raus in die Novembernebelnacht, in die warme WG von Simon. Der Abend droht sich im Kreis zu drehen, es tauchen altbekannte Gesichter auf, eine Gruppe von jungen Leuten, sie umarmt sich. Wir schauen zu und hoffen, dass Simon sich bald losreisst.

 

9:30 Lecker Kaffee am Bahnhof Basel
Der nächste Tag war ein Freitag. Wir gingen in die Küche und merkten, dass wir keine Lust hatten, die Kaffeemaschine verstehen zu lernen. Der Abend war ja noch nicht lange her und hatte seine Spuren hinterlassen. Mit dem 30er fahren wir zurück zum Bahnhof Basel. Mit einem Kaffee in der Hand sitzen wir im Zug und schon bremst Olten neben uns. «Wollen wir aussteigen? Noch ein Kaffee, diesmal in DEM Bahnhofbuffet?», aber mein Gegenüber winkt ab. Als der Zug noch minutenlang stehen bleibt, glauben wir dann doch an ein Zeichen von Oben. Für AMIXS lohnt es sich, in Olten aus-, statt umzusteigen. Effizienzgedanken vergessen, nicht mehr mitmachen, einfach mal beobachten, was immer da ist, aber nicht gesehen wird. «Sisch nid wit wägg».

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