Pharmakonzerne Text: Multiwatch, Arbeitsgruppe Novartis | Bild: Vera Diener

Zwischen Widerstand und Abhängigkeit

Basel, lange als Stadt der Chemiefabriken bekannt, ist heute das Symbol einer Industrie, die sich mit Hilfe der lokalen Politik ein sauberes Image zu kaufen versuchte. Ein geschichtlicher Abriss des Widerstands gegen den totalen Ausverkauf.

Die lähmende, unheimliche Stille in der Stadt wird von Schüler*innen unterbrochen. Hunderte von ihnen demonstrieren zwei Tage nach der Chemiekatastrophe in Schweizerhalle am Montagmorgen, dem 3. November 1986, vor dem Gebäude des Erziehungsdepar­tements in Basel. Sie protestieren dagegen, am Wochenende als «lebende Beruhigungspillen» für die Bevölkerung inst­rumentalisiert worden zu sein und verlangen mit dem Re­gierungsrat Striebel ein Gespräch. Dieser hatte sie am Sams­tag trotz fehlender Informationen und entgegen früherer Meldungen in die Schule geschickt. In einem mit Megafon ausgerüsteten Auto parkiert Striebel schliesslich inmitten der wütenden Menge auf dem Marktplatz und erklärt sich bereit zum Dialog.

Die Kritik an der baslerischen Chemie- und Pharma-industrie erlebte ihren Höhepunkt anlässlich der Chemie­katastrophe des 1. November 1986 in Schweizerhalle bei Basel, bei der eine Lagerhalle des Sandoz-Konzerns mit 1351 Tonnen Chemikalien in Brand geraten war. Löschwasser spülte 30 Tonnen giftige Pflanzenschutzmittel in den Rhein, was diesen rot färbte, massiv verschmutzte und zu einem massenhaften Fischsterben bis nach Rotterdam führte. Rauch, Verbren­nungsgase und ein bestialischer Gestank verbreiteten sich schnell in Basel. Etwa 1250 Menschen mussten in den da­rauffolgenden Tagen aufgrund von Atemwegsreizungen behandelt werden. Erst 2006 wurde der Rhein wieder als «lebendiger Fluss» eingestuft.

Neben sich organisierenden Schüler*innen forderten in den darauffolgenden Tagen auch Ärzt*innen mit einer Petition Sofortmassnahmen für den Umweltschutz. Künst­ler*innen überklebten in der ganzen Stadt offizielle Plakat­säulen mit selber gezeichneten Plakaten zu den Geschehnis­sen. Eine Woche nach dem Brand beteiligten sich in Basel rund 10 000 Menschen an einer Grossdemonstration, an der mit Parolen wie «Tschernobâle» und «Sandobyl» Parallelen zur nur wenige Monate zurückliegenden Atomkatastrophe in der damaligen Sowjetunion gezogen wurden. Studieren­de des Konservatoriums intonierten ein «Requiem für den Rhein». Im Rahmen des «Internationalen Rheinalarms» bil­dete sich eine Menschenkette, die von Basel bis nach Frei­burg reichte. Weiter formierten sich rund 800 Menschen unter dem Namen «Aktion Selbstschutz». Ihre Arbeitsgrup­pen widmeten sich der internationalen Kooperation, juristi­schen Angelegenheiten oder der Schaffung von Alternativen im Kampf gegen die Pharmaindustrie.

Fragmente des Widerstands

Basel: Zentrum einer Chemie- und Pharmaindustrie, deren Macht und Einfluss in der Stadt durch unübersehbare Bau­werke wie den Novartis-Campus und die Roche-Türme sym­bolisiert wird. Seit jeher ist es ein ambivalentes Verhältnis, welches Basel mit seinen multinationalen Konzernen aufweist.

Da sind zum einen Widerstandsgeschichten wie jene rund um die Mobilisierung nach der Katastrophe vom No­vember 1986. Aber auch viele gewerkschaftliche Kämpfe und zahlreiche kritische Stimmen: Seien es Whistleblower*in­nen, wie während des PCB-Skandals Ende der 70er-Jahre, engagierte Medienschaffende, Naturwissenschaftler*innen oder Stimmen aus der Zivilbevölkerung. Zum anderen aber auch die Kritiklosigkeit gegenüber Pharma- und Chemie­konzernen aus Angst davor, Arbeitsplätze oder Steuerzah­ler*innen zu verlieren.

Es herrscht wieder Frieden in der Stadt

Der Personalabbau in den Konzernen und die veränder­te Situation auf dem Arbeitsmarkt in den 1990er-Jahren brachten die Kritik der späten 70er- und 80er-Jahre zum Verstummen. Basel begann sich von seinem Image als Chemiefabrikenstadt zu verabschieden. Die «schmutzige Produktion» wurde nach Osteuropa und in den Globalen Süden verlagert. Geblieben ist der Hauptsitz einer «saube­ren Chemie»: der Sitz von Verwaltung, Forschung und Entwicklung und der Akkumulation der Gewinne.

Dieser Wandel vom Produkti­onsstandort hin zum ausgebauten Forschungszentrum wollte Novartis mit einem neugebauten Campus zum Ausdruck bringen. Als «funktionale Umwidmung von einem Produktions­standort zu einem Ort der Innovation, des Wissens und der Begegnung» nannte Lampugnani, verantwortlich für die städtebauliche Planung des Novar­tis-Campus, sein Werk. Weil sich der aus der Fusion von Ciba-Geigy und Sandoz 1996 entstandene Pharmakonzern Novartis mit dem ursprünglich vorgesehenen Firmenareal nicht zufrieden geben wollte, kam ihm die Basler Regierung entgegen: 2005 ging im Grossen Rat im Schnelldurchlauf ein Geschäft über den Tisch, mit welchem Novartis für 100 Millionen Franken sowohl der Hafen St. Johann wie auch ein Teil der Hüningerstrasse – eine öffentliche Strasse – ver­kauft wurde. Für grössere Diskussionen sorgte diese Priva­tisierung öffentlichen Grunds nicht. Einziger Streitpunkt war die Frage nach dem geeigneten Standort für die ausge­lagerten Hafenanlagen.

Die Privatisierung des Werkareals St.Johanns machte den Novartis-Campus zur strikt abgeriegelten Stadt in der Stadt, inklusive eigenem Passbüro und privatem Sicherheitsdienst.

Die Basler Regierung im Dienste der Multis

Neben Privatisierungen versucht die Basler Regierung seit Beginn der neoliberalen Ära auch mit Auslagerungen, Pu­blic Private Partnerships, tiefen Unternehmenssteuern und einem Stadtmarketing im Sinne der hiesigen Konzerne im globalen Standortwettbewerb an der Spitze zu bleiben. Sie nimmt damit eine Verstärkung der Ungleichheiten sowohl zwischen den Regionen als auch im Stadtkanton selber in Kauf: eine Zunahme der Einkommens- und Vermögensun­terschiede und die Gentrifizierung der Quartiere.

Vor einer Aushebelung demokratischer Prozesse schreckt sie auch nicht zurück, wie der Hinterzimmerdeal aus dem Jahr 2018 sinnbildlich aufzeigt: Nachdem die «Un­ternehmenssteuerreform III» in der eidgenössischen Ab­stimmung bachab geschickt wurde, sollte der Wegfall der Privilegien von multinationalen Konzernen und damit die Gefahr des Wegzugs von Firmen aus Basel auch mit der neu­en Vorlage, der Basler Umsetzung des Bundesgesetzes über die «Steuerreform und die AHV-Finanzierung» verhindert werden. Um diese Vorlage nicht von Neuem zerpflücken zu lassen, brachte die damalige SP-Finanzdirektorin und heutige Ständerätin Eva Herzog die Parteipräsident*innen und Fraktionschef*innen der Basler Parteien von links bis rechts dazu, eine schriftliche Vereinbarung zu unterzeich­nen. Diese beinhaltete die stillschweigende Unterstützung der Eckwerte der Vorlage – mit der Konsequenz, das An­liegen ebenfalls innerhalb der eigenen Parteien und Gross­ratsfraktionen zu verteidigen. Einzig die linke Partei BastA! erklärte sich mit dem später als Hinterzimmerdeal bekannt gewordenen Beschluss nicht einverstanden. Ein Referend­um blieb erfolglos. 2018 wurde die Unternehmenssteuervor­lage schliesslich angenommen.

Gesundheit ist keine Ware

Es sind sowohl Beispiele der neoliberalen städtischen Politik wie auch Fragmente des Widerstands, die an der Konferenz «Gesundheit ist keine Ware – zu den Risiken und Nebenwir­kungen von Novartis» vom 3. bis 5. April in Basel themati­siert werden. Ziel der vom Verein MultiWatch organisierten Konferenz ist es, die Stille rund um die heiligen Kühe Basels zu beenden und mit Fokus auf dem Konzern Novartis eine breite Debatte zu profitorientierten Geschäftsmodellen rund um Gesundheit zu lancieren. Während der Zugang zu lebens­notwendigen Medikamenten einem grossen Teil der Weltbe­völkerung, insbesondere im globalen Süden, verunmöglicht oder stark erschwert wird, führen die enorm hohen Preise der Pharmakonzerne auch im globalen Norden zu einer Zweiklas­senmedizin. Das Recht auf Gesundheit verkommt zu einer Ware, die sich immer weniger Menschen leisten können.

Gleichzeitig sichern sich die Pharmakonzerne mit in­tensivem Lobbying, Patenten und korrupten Praktiken eine Vormachtstellung im Gesundheitswesen. Weitere negative Seiten der Pharmakonzerne spüren Menschen in Basel und in der Region mit den bereits angesprochenen Entlassun­gen und den Verdrängungsprozessen in den Quartieren (siehe «Die Chemie stimmt nicht»).

MultiWatch kritisiert diese Entwicklungen und will mit der Konferenz eine Plattform bieten, an der sich Betroffene, Quartierbewohner*innen, Menschen in Gesundheitsberu­fen, Arbeiter*innen und Angestellte der Pharmakonzerne, Aktivist*innen und Organisationen kritisch mit der Phar­mabranche auseinandersetzen und vernetzen können.

Weil ein Eintauchen in die Geschichte auch den Hori­zont für die Zukunft erweitern kann, wird es an der Kon­ferenz auch einen Ausstellungsraum geben, in dem man einem Zeitenstrahl entlang durch die Geschichten des Wi­derstands in Form von Filmen, Plakaten, Texten und wei­terem Material rund um die Pharma- und Chemieindustrie reisen und auch eigene Erinnerungen festhalten kann.

 


 

Gesundheit ist keine Ware – Konferenz zu den Risiken und Nebenwirkungen von Novartis. Datum: 3.–5. April 2020 16.-18. Oktober 2020, verschoben wegen des Coronavirus. Ort: HUMBUG, Klybeck-Areal (ehemals BASF), Klybeckstrasse 241/K104, 4057 Basel. Mehr Infos: www.gesundheit-ist-keine-ware.ch