Klimabewegung Text: flow | Bild: Alexandra Stiffler

Das eigene Leben als Gegengewicht

Seit jeher ist ziviler Ungehorsam Teil der Umweltbewegung. Gerade in Zeiten der Klimaerhitzung steigt die Dringlichkeit des Widerstands – und auch die staatliche Repression dagegen. Aktionen wie die des Collective Climate Justice in Basel sind eine konstruktive Zerreissprobe.

Irgendwann rasten an diesem frischen, sonnigen Montagmorgen im Juli 2019 die Schlösser mit einem leisen Klick ein. Der eigene Hals ist fest mit dem an der Eingangstür angelehnten Fahrrad verschlossen. Zwei Tage vorher genoss man noch in entspannter Atmosphäre ein gemeinsames Nachtessen im Klimacamp in Basel. Jetzt blockieren Aktivist*innen des Collective Climate Justice (CCJ) in Basel und Zürich die Filialen der Schweizer Grossbanken und Klimasünderinnen Credit Suisse und UBS (siehe m* 446).

Mit ihren Investitionen verursachen die beiden Konzerne alleine so viel Klimagase wie der Rest der Schweiz zusammen. Ganze 82 Milliarden Dollar pumpten sie zusammen zwischen 2015 und 2019 in die fossile Brennstoffindustrie. Damit finanzierten sie zum Beispiel die berüchtigte «Dakota Access Pipeline» oder die massive Kohleförderung in Australien, das nur wenige Monate später in Flammen aufgeht. Wie lassen sich solche Machenschaften stoppen?

Eiserne Repression

Die Aktivist*innen sitzen in weisse Overalls gekleidet vor den Haupteingängen. Auch einige Nebeneingänge der Filialen sind blockiert. Velos und Topfpflanzen, Kohleberge und Haufen aus Ästen komplettieren die Aktion. Das Symbol: Die Natur, die Menschen, die Gesellschaft schlägt zurück – und schaut nicht länger zu. Anfangs versuchen einige Security-Angestellten noch die Blockade zu stoppen. Die Menschen des CCJ reagieren friedlich. Denn Gewaltanwendung ist tabu – das ist Teil des Aktionskonsenses. «Das Prinzip des gewaltfreien Widerstands ist bei unseren Aktionen zentral», sagt Marco vom CCJ. «Wir schädigen keine Menschen. Statt- dessen blockieren wir die Maschinen, Züge und Konzerne, die andere Menschen täglich zu Schaden bringen.»

Und trotzdem dauert es nicht lange, bis die Polizei mit einem Grossaufgebot aufkreuzt. Das Kapital ist in Gefahr – und der Staat reagiert mit harter Hand. Bereits stellen sich ein paar Meter von der Blockade entfernt Polizist*innen in Vollmontur auf. Polizeihunde sind vor Ort. Ein strammer Halbkreis hält Medienschaffende und andere fern. Auf mehreren hundert Metern umstellt eine Einerkolonne das Gebäude der CS.

Irgendwann wird die Aktion aufgelöst. Knapp 100 Personen werden einzeln weggeschleppt und bis zu 48 Stunden festgehalten. Der letzte – der Gefangene Nr. 49 – wird gar erst nach 23 Tagen Hungerstreik entlassen, weil er jegliche Kooperation verweigerte. So sieht die Repression gegen gewaltfreien Widerstand in Zeiten der Klimaerhitzung aus.

Hinzu kommt: Basel ist bekannt für seinen repressiven Umgang mit allem, was nicht ins hübsche Bild am Rhein- knie passt. Ungern erinnern wir uns zum Beispiel an den Schauprozess gegen die «Basel 18» (siehe m* 441), wo trotz dünner Beweislage mehrere Menschen wegen angeblicher Mittäterschaft zu drakonischen Strafen verurteilt wurden.

Aufruf zur Positionierung

Direkte Aktionen und ziviler Ungehorsam sind natürlich keine neue Erscheinungen in der Umweltbewegung. Seit Jahren setzt sie auf Störaktionen und Blockaden. Wie kompromisslos der Staat auf solche Aktionen reagiert, zeigte sich nicht zuletzt in den hart erkämpften und massiv unterdrückten Besetzungen im Hambacher Forst. Auf der einen Seite gewaltfreier Widerstand. Auf der anderen Seite die Rigide des Gesetzes.

Dabei ist ziviler Ungehorsam immer eine hochgradig symbolische Form des Widerstands – oft verbunden mit einer Störung des normalen Tagesgeschäfts. «Wir zeigen damit, dass es Menschen gibt, die sich mit ihren Körpern aktiv gegen etwas wehren», sagt Marco. Das reicht von einer vermeintlich harmlosen Aktion wie bei Rosa Parks bis zur Blockade monströser Maschinen durch Ende Gelände. «Solche Aktionen zeigen auch, dass die Mächtigen nicht einfach alles machen können. Das führt zu einer grossen Ermächtigung der teilnehmenden Menschen.»

Nicht immer sind die Symbole eingängig. Es ist einigermassen abstrakt, eine Bank zu blockieren, um auf deren klimaschädliche Investitionen aufmerksam zu machen. Trotzdem konfrontiert es die Bevölkerung mit einer Frage: Wollt ihr das?

Auch der Gefangene Nr. 49 versteht die Aktionen des CCJ aus dieser Perspektive. «Die Aktionen hatten nicht das unrealistische Ziel, diese Banken lahmzulegen», schreibt er in einer Mitteilung nach der Freilassung. «Vielmehr handelt es sich um eine Botschaft an alle Mitbürgerinnen.» Sie sollen sich endlich positionieren: Rücksichtslose Profitgier oder eine Zukunft für alle?

Das richtige Mittel zur richtigen Zeit

Bereits 2018 hatte das CCJ im Anschluss an das jährlich statt- findende Klimacamp den Basler Ölhafen besetzt. Hier fahren täglich Lastwagen ein und aus und befeuern damit den Konsum in der Schweiz – auf Kosten des Klimas. Aber auch andere kleinere und grössere Aktionen finden in der Klimabewegung Anwendung: Demonstrationen, Schulstreiks (siehe m* 443), Social-Media-Kampagnen, Besetzungen, Sit-Ins, Die-Ins oder Hungerstreiks.

Sie alle sind Antworten auf die Frage nach der geeigneten Widerstandsform im Zeitalter der Klimaerhitzung und zeigen die Vielfalt der Bewegung. Weil das bestehende System und die darin geltenden Gesetze zu Ungerechtigkeit und systematischer Schädigung anderer Menschen führen, sei es legitim, mit den eigenen Körpern Widerstand zu leisten, um eine gerechtere Alternative zu schaffen, sagt Marco. Und ganz ähnlich sieht es auch das Schweizer Strafgesetz, das eine Form des zivilen Ungehorsams «aus achtenswerten Beweggründen» als gerechtfertigt betrachtet.

Doch der Tanz auf dem rechtlichen Parkett ist nicht ohne Stolperfallen, geht es doch meistens gerade darum, diesen rechtlichen Rahmen zu sprengen. Die Grossbanken, Kohlekraftwerke und Autohersteller tun ja schliesslich nichts Illegales.

Die Mär der Spaltung

Gleichzeitig konfrontiert ziviler Ungehorsam eine Bewegung auch immer mit einer Identitätsfrage. Gerade weil er sich am Rande des gesetzlich Erlaubten bewegt, löst er Diskussionen aus. Wollen wir das? Sind Blockaden nicht zu «extrem»? Bringen Klimademos mit Zehntausenden überhaupt etwas? So ging auch nach den Aktionen des CCJ die Angst vor einer bewegungsinternen Spaltung um. Für manche war die Blockade der Grossbanken kontraproduktiv und zu extrem. So schnell wird die Legitimität des gewaltfreien Widerstands in Frage gestellt.

Doch Marco relativiert. «Innerhalb der Bewegung gibt es schon immer unterschiedliche Strömungen. Trotzdem versuchen wir, konsensbasiert zu entscheiden.» Beim CCJ können zum Beispiel unterschiedliche Stufen des Bedenkens eingebracht werden. Ein leichtes Bedenken bedeutet, dass die Person bei der Aktion nicht dabei sein will. Ein schweres Bedenken stellt die Aktion in Frage und sucht nach einer gut begründeten Rechtfertigung. Und im Notfall kann auch ein fundiertes Veto eingelegt werden.

Solche Formen der internen Entscheidungsfindung sind für die Solidarität zentral. Denn ziviler Ungehorsam, Blockaden und direkte Aktionen gehen für viele Aktivist*innen an die eigenen Grenzen, die je eigen ausgestaltet sind. Und manchmal darüber hinaus.

Auf der anderen Seite gibt es Kritik am Narrativ, welches das CCJ als Antwort auf die staatliche Repression entwickelte. Stets betonte das CCJ, dass diese «unverhältnismässig» und dem gewaltfreien Widerstand nicht angemessen war. Doch eine «solidarische Kritik» fragt: «Welchen strategischen und politischen Vorteil ziehen wir daraus, wenn wir gebetsmühlenartig darauf verweisen?» Die Betonung der «Unverhältnismässigkeit» impliziere doch, dass harte Repression in manchen Fällen eine legitime Antwort auf gewaltfreien Widerstand wäre. Und sie verstärke damit die von Politik und Medien gerne befeuerte Unterscheidung zwischen «guten» und «bösen» Aktivist*innen.

Für den CCJ gibt es trotzdem gute Gründe: «Wenn wir von Unverhältnismässigkeit sprechen, greifen wir das Selbstverständnis an, dass sich der Staat an seine eigenen Regeln hält.» Man wolle die Möglichkeiten der Partizipation niederschwellig halten. «Wir sind der Meinung, dass wir unsere Ausrichtung auf eine breite Partizipation nicht mit einer Spaltung der linken Bewegungen erkaufen. Diese Offenheit braucht vielmehr neue Methoden, Formen der Kommunikation und Argumentationsweisen.»

Und auch Marco sieht wenig Spaltung: «Nach der Aktion bemerkten wir eine grosse Solidarität innerhalb der Klimastreikbewegung. Wir haben zwar unterschiedliche Strategien, aber sehr ähnliche Ziele.»